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Arbeitsbedingungen an HochschulenSie wollen nicht mehr Hanna sein

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Die Arbeit an Unis ist prekär. Um das zu ändern, braucht es für alle qualifizierten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Aussicht auf eine unbefristete Stelle.

Demo gegen Kurzzeitverträge an Hochschulen Anfang 2020 in Kassel Foto: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

D as Video, das seit Tagen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen in Rage bringt, ist hübsch gemacht. Darin ist eine animierte Doktorandin im weißen Kittel und mit Brille zu sehen – Hanna, eine Biologin. Vor rund drei Jahren hat das Bundesbildungsministerium das Video veröffentlicht, um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz – kurz WissZeitVG – zu erklären.

Mit dem Gesetz wollte die Bundesregierung die prekäre Arbeitssituation von Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­r:in­nen verbessern. In dem Erklärvideo hört sich das jedoch ganz anders an. Befristete Verträge werden dort als innova­tions­fördernd gelobt, Entfristungen als unsozial gebrandmarkt. Wer schon während oder nach der Promotion eine Stelle auf Lebenszeit erhält, so kann man das Video verstehen, verbaut der nachfolgenden Generation die Karrierechancen.

Für Nachwuchswissenschaftler:innen, die sich über Jahre von Vertrag zu Vertrag hangeln, muss das wie blanker Hohn klingen. Unter dem Hashtag #IchBinHanna berichten sie von Zukunftsängsten, Leistungsdruck und unmöglicher Lebensplanung. Viele von ihnen sind 35 Jahre oder älter.

Von den prekären Arbeitsbedingungen an Hochschulen weiß der Bund schon lange – und dennoch ändert er kaum etwas daran. Im Gegenteil: Mit den Milliardenzuschüssen, die er über die Exzellenzstrategie und andere Förderprogramme verteilt, kettet er Hochschuljobs an Förderlaufzeiten. Dass die Unis solche Drittmittel gerade deshalb gerne nehmen, ist kein Geheimnis: Sie stärken ihr Profil, ohne dauerhafte Personalkosten zu verursachen.

Anteil der befristeten Stellen seit 2010 quasi konstant

Kein Wunder, dass der jüngste Bundesbericht zum wissenschaftlichen Nachwuchs Anfang des Jahres feststellen musste: Der Anteil der befristeten Stellen im akademischen Mittelbau hat sich zwischen 2010 und heute quasi nicht verändert. Bei den unter 45-Jährigen liegt er bei 92 Prozent, bei den unter 35-Jährigen sogar bei 98 Prozent.

Was es nicht besser macht: Die Zahl der Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­r:in­nen steigt seit Jahren stark. Immer mehr Hochqualifizierte müssen um die wenigen unbefristeten Stellen buhlen. Die berufliche Unsicherheit bei Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­r:in­nen lässt sich mittlerweile sogar an der Geburtenrate ablesen.

Will die Politik die prekären Zustände an den Unis wirklich ändern, muss sie allen qualifizierten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen die Aussicht auf eine unbefristete Stelle ermöglichen – und zwar nicht nur jenen Glückspilzen, die mit Anfang 40 auf einen Lehrstuhl berufen werden. Weil das wenig wahrscheinlich ist, werden sich die Hochschulen an die Forderung frustrierter Wis­sen­schaft­le­r:in­nen gewöhnen müssen: Wir wollen nicht Hanna sein.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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15 Kommentare

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  • Die Alternative ist, höchstens noch 1/10 der jetzigen DoktorandInnen zur Promotion zuzulassen. Die Absolventen hätten dann bessere Chancen im Wissenschaftsbetrieb. Dh wenn man mit 23-25 den Master abgeschlossen hat, kann man dann mit der Promotionsstelle in die weitere Lebensplanung gehen. Dann gibt es aber weniger Konkurrenz um die Spitzenplätze, Professuren. Ob das die Wissenschaft wirklich fördert? Nun, in einigen Ländern funktioniert das. Aber die sind vielleicht auch bei den Professuren international durchlässiger und auch kompetitiver.

    • @fly:

      Und wer steht dann im Labor fuer den Prof und macht die Wissenschaft? Der Mittelbau fehlt. Welcher Postdoc soll den Masterstudenten anleiten? Das macht nicht ein Professor, das macht #ichbinHanna



      So wird das nichts mit Innovation, Kontinuität.

  • Konstante Anzahl Stellen und immer mehr Nachwuchswissenschaftler buhlen um die Stellen lese ich hier. Sollte die Forderung dann lauten, dass es mehr Stellen geben soll?



    Nein, das kann kein Ziel sein. Auch der Wissenschaftsbetrieb unterliegt personellen Grenzen. Nur weil jemand wissenschaftllich arbeiten will kann doch "der Staat" nicht entsprechende Stellen schaffen und Lebensentwürfe per Wunschjob erfüllen.



    An was es mangelt ist, dass die Leute nach ihrem Promotion nicht den Sprung in die Wirtschaft wagen (wollen) oder ihre Expertise auch in eine Selbstständigkeit umwandeln. Hier ein Sprungbrett zu basteln hielte ich für sinnvoller. Zumal das der Hintergrund der Assistentenstellen ist. Temporär und Sprungbrett nach draußen.



    Auch das Argument, dass die, die die befristeten und limitierten Jobs besetzen die nachrückenden Studies blocken und Innovationen verhindern ist nicht von der Hand zu weisen. Gleichwohl: In dieser Situation zu stecken ist nat. belastend, die Lösung liegt aber auf der Hand: Raus aus der "Bequemlichkeit" und Job außerhab der Uni suchen.



    Mich wundert eher, dass diese natürlicherweise intelligenten Leute nach mehr Staat rufen der unbefristete und mehr derlei Jobs schaffen soll zu Lasten derjenigen die nachkommen. Letztlich egoistisch. Es ist doch immer der gleiche Käse: Bist du drin in irgendeinem Berufslevel hast du Vorteile und willst noch mehr davon. Bist du draußen, hast du es umso schwerer überhaupt reinzukommen. Jeder auf seinem Niveau: Vom Studi zum Doktoranden zum Zeitvertragler zum Festangestellten zum Prof zum Verwaltungsbeamten, usw...

    • @Tom Farmer:

      Du hättest Recht an einer Uni mit Luxusversorgung. Genau das Gegenteil ist aber der Fall: derdie Dauerstellen im Mittelbau wurden genau mit diesen Argumenten in den letzten Jahrzehnten praktisch auf Null runter gefahren. Das heißt, dass das Rad alle 3 Jahre von Doktoranden neu erfunden werden muss. Die politische Wunschvorstellung scheint ein Institut mit einem Prof und einer möglichst großen ausbeutbaren Menschenmasse in Zeitverträgen zu sein. Diese fehlende Kontinuität führt dann z.B. dazu, dass Geräte neu beantragt werden, die eigentlich noch von der vorletzten Generation im Keller stehen oder das KnowHow im 3Jahresrhythmus neu erarbeitet werden muss. Letzten Endes eine gigantische Verschwendung von Geld und Personen im Namen der "Innovation".

      • @kischorsch:

        Ja, das der deutsche Wissenschaftsbetrieb mittlerweile extrem inneffizient und ineffektiv ist steht außer Frage. Obwohl noch nie soviel Geld in Unis, Hochschulen, FhG, MPI, Leibniz etc., plus hunderte von Instituten in Form von >> 50% staatsfinanzierten GmbHs gepumpt wurde.



        Die Korrelation zwischen dieser Ineffektivität und Zeitverträgen ist aber eher gering.



        Das forcieren von Zeitverträgen ist eher eine Reaktion der Politik darauf das Dauerstellen und viel Geld nicht eben dazu geführt hat das DE Innovationsweltmeister ist. Der Wissenschaftsbetrieb selbst hat auch keine Lösungen anzubieten. Zumal dort auch eine gewisse "für die Kapitalisten in der Industrie zu arbeiten ist bäh" Haltung vorherrschend wurde.

      • @kischorsch:

        Ich habe deshalb so argumentiert da oben explizit steht, dass seit 2010 bis heute die Stellen im Mittelbau praktisch die gleichen Anzahl beträgt. Sie schreiben auf Null gefahren. Dann sollte man diesen Sachverhalt wohl erst mal klären und wer eben jetzt auf diesen Stellen sitzt oder eben auch nicht wenn die gar nicht da sind.



        Ich kann dsa leider nicht beurteilen, meine Promotion liegt ca. 25 Jahre zurück. Damals gabs neben drei Profs, etwa 7 Festangestellte (z.T. extern finanziert durch Bundesswehr oder Fraunhofer) plus 2 Zeitverträgler plus 7 Doktoranden, also so erinnere ich mich. Das würde ich sagen war schon für alle recht planbar.

      • 3G
        37621 (Profil gelöscht)
        @kischorsch:

        @neue Räder: Guter Punkt.

        Gleichzeitig werden administrativ-technische Stellen gestrichen oder in weniger höher-dotierte Stellen kondensiert. Neue Stellen werden nur auf Zeit besetzt (außer in den Stäben, "man kriegt ja sonst keine guten Leute").

        Mehr Aufgaben landen bei Professoren, Doktoranden, Sekretären (Fraun immer mitgedacht), die leider nicht wissen, daß das zu bestellende Großgerät schon zweimal im Keller steht.

    • @Tom Farmer:

      Die Qualität der Forschung und der Lehre hängt direkt an den Arbeitsbedingungen. Es braucht so oder so mehr Stellen, da es auch immer mehr Studierende zu betreuen gibt. Eine Möglichkeit unbefristete Stellen zu schaffen wäre die Schaffung von Lektorenstellen, die vor allem in der Lehre eingesetzt werden. Das wird schon seit Jahren gefordert und ist zur Qualitätssicherung der Bildung dringend notwendig. Das Argument, dass unbefristete Stellen den Nachwuchs blockieren ist übrigens Unsinn. In jedem anderen Bereich (z.B. bei Lehrern) werden vor allem unbefristete Stellen besetzt und der Nachwuchs kommt trotzdem nach, weil nämlich auch Leute in den Ruhestand gehen.

  • Letztlich ist das Problem, dass mehr Menschen eine wissenschaftliche Karriere machen wollen, als benötigt werden. Wäre das Angebot an Arbeitskräften für die Wissenschaft nicht erheblich höher als die Nachfrage, würden die Arbeitgeber auch nicht mit solchen Befristungen durchkommen. So hat halt entweder der Nachwuchs keine Chance reinzukommen oder man hat nie wirklich einen sicheren Arbeitsplatz. Da weckt aber vielleicht auch die Uni falsche Erwartungen, wenn man so tut, als wäre jeder Student ein kleiner Wissenschaftler.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Nicht nur an den Unis gibt es jede Menge befristete Verträge, v.a. auch in den Forschungsinstituten. Daneben natürlich die Unbefristeten.



    Das ist eine klare Spaltung der Gesellschaft und im höchsten Maße unsozial.



    Zumal das St. Florians-Prinzip sehr deutlich wird, wenn es zur Auflösung einer Abteilung kommt. Solidarität gibt es nicht, nicht einmal ansatzweise.



    Das System gilt in ganz Europa. Ein schwachsinniges System.

    Ich konnte mir noch nicht einmal eine neue Mietwohnung leisten, weil ich nicht wusste, ob ich im nächsten Jahr noch einen Job habe. Familie gründen - totale Fehlanzeige.

    Meine alte These: Politiker schaden mehr als sie nützen.

  • Jede Generation spielt das auf ein Neues durch. Ich hatte mich gegen die unsägliche Hochschulreform von Rot-Grün in den Jahren 2000/2001 engagiert. Dieses Projekt und viele andere der damaligen Rot-Grünen-Regierung führten zu einer bleibenden Entfremdung von diesen beiden Parteien. Nur so als Hinweis an die Strategen bei Grüns und SPD für den Abend des 26.09.21, wenn die schlechten Ergebnisse von SPD und die die überraschend schwachen Zugewinne von Grün erklärt werden müssen. Viele Menschen erinnern sich noch an diese Regierungszeit ...

    Zurück zur Hochschule: Auch ich fand keine Festanstellung in den frühen 2000er Jahren in der Hochschule und konnte feststellen, dass es auch außerhalb der Universität sehr zufriedenstellende Arbeitsplätze gibt.

    Bei Stellenbesetzungen erlebe ich es inzwischen, dass die Wunschkandidatin häufig absagt, weil sie etwas Besseres gefunden hat, auch der 2.-Platzierte ist oft schon woanders und dann muss man hoffen, dass der 3.-Platzierte noch Interesse hat. Der jetzige Stellenmarkt ist überhaupt nicht vergleichbar mit der Situation in den frühen 2000er-Jahren.

    Irgendwann muss man sich damit auseinandersetzen, dass eine Promotion/Habilitation nicht automatisch zur Festanstellung in der Universität führt. Generationen vorher mussten damit auch fertig werden.

  • "Was es nicht besser macht: Die Zahl der Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­r:in­nen steigt seit Jahren stark. Immer mehr Hochqualifizierte müssen um die wenigen unbefristeten Stellen buhlen. Die berufliche Unsicherheit bei Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­r:in­nen lässt sich mittlerweile sogar an der Geburtenrate ablesen."

    Unangenehme Wahrheit ist halt: Es geht hier um die Herausbildung von herausragender Kompetenz in einem bestimmten Fachgebiet. Die besten Dr. werden schließlich als Prof. oder zumindest als ständiger Dozent an die Unis berufen, nach dem sie in (befristeten Projekten) Ihre besonderen Stärken bewiesen haben. Nicht alle schaffen das.

    Das Mittelmaß geht dann leer aus wenn sie es bis dahin nicht geschafft haben Ihre Kompetenzen in einem anderem Berufszweig als der der Uni zu suchen. Dem muss man sich einfach klar sein. Ein anderes Model wäre m.A. nach weder möglich noch erstrebenswert. Bei Festanstellungen bleiben die Lehrstellen für Jahrzehnte blockiert. Durch die befristeten Verträge bleibt die Tür für talentierten Nachwuchs offen.

    • @Alfred Sauer:

      > Unangenehme Wahrheit ist halt: Es geht hier um die Herausbildung von herausragender Kompetenz in einem bestimmten Fachgebiet.

      Warum besonders gute Leute ausgerechnet durch besonders schlechte Bedingungen angezogen werden sollen, müssen Sie mir mal erklären.

      Ein weiteres Beispiel für die unterirdischen Bedingungen sind die Graduiertenkollegs, wo die Leute Stipendien statt eine Teilzeitstelle und Gehalt bekommen. Klingt gut? Die Stipendien sind sozialversicherungsfrei, das wirkt sich stark mindernd auf die Rente aus. Außerhalb der Unis würde man von Sozialbetrug sprechen.

      Bei den Drittmitteln und den An-Instituten (d.h. forschenden Firmen auf dem Unigelände) ist es auch so, dass die günstig Arbeit für die Unternehmen erledigen. Also noch mal ein Weg, billiger an die Leistung der Doktoranden und Wissenschaftler zu kommen.

    • @Alfred Sauer:

      "Die besten Dr. werden schließlich als Prof. oder zumindest als ständiger Dozent an die Unis berufen"



      Das hat leider mit der Realität nicht unbedingt etwas zu tun: Die sich am besten ans System angepassten Nachwuchswissenschaftler, die sich gut vermarkten können werden berufen. Das geht nicht unbedingt immer nach Leistung (wie in vielen anderen Bereichen leider auch).



      Und dann sind die Spitzenforscher Profs und dürfen statt zu Forschen hauptsächlich Drittmittel beschaffen und neue Doktoranden und Postdocs einarbeiten. Wären noch pro Prof 5 Mittelbauler da, könnten wenigstens diese das tun, was sie am besten können: Forschen. Der Prof kann dann die Vermarktung übernehmen. So wie es jetzt ist bleibt es eher bei der Vermarktung, weil es keine Mittelbauler gibt.

      • @sjanss:

        "Die am besten ans System angepassten"

        Naja, eher die, die sich am besten anschmiegen an die, die ihnen die sehr guten Abschlüsse und Stellen verschaffen. Mir ist eine Person bekannt, die 25 Jahre lang studierte und promovierte (Titelerwerb vor kurzem im 25. Jahr) und währenddessen in unzähligen DFG-Projekten untergebracht wurde. Inzwischen in der Verwaltung der Universität geparkt, ebenfalls über ein Drittmittelprojekt der Mentoren. Nicht gerade das, was einem als Student als Vorbildforscher vermittelt wird, aber wohl gerade deshalb erfolgreich.

        Ganz nach dem Friede-Springer-Prinzip.