Ausstellung „Ruhr Ding: Klima“: Klimakunst im Kohlenpott

Die Ausstellung „Ruhr Ding: Klima“ lädt ein zur Entdeckungsreise. Ihre Werke sind an Orten in vier Ruhrgebietsstädten entstanden.

Eine Glaskuppel spiegelt sich im Wasser, der Betrachter befindet sich in der Kuppel.

Der Künstler Hayden Fowler mit „Death of Worlds“ Foto: Daniel Sadrowski/Urbane Künste Ruhr

Das Schmalblättrige Wollgras, die Quirlblättrige Knorpelmiere oder der Gewöhnliche Wacholder – all diese Pflanzen waren einmal im Ruhrgebiet ansässig. In den vergangenen 130 Jahren sind sie ohne großen Protest der Industrie gewichen, die die Landschaft über Jahrzehnte zum „Kohlenpott“ machte – ein Bild, das sich bis heute in vielen Köpfen festgesetzt hat: Von rauchenden Schloten dominierte Städte mit rußschwarzen Gebäuden und kaum Luft zum Atmen.

Es ergibt also durchaus Sinn, in diesem Gebiet eine große Ausstellung im öffentlichen Raum zum Thema „Klima“ anzusiedeln. „Ruhr Ding: Klima“ heißt sie und lädt dazu ein, die Städte Gelsenkirchen, Herne, Recklinghausen und Haltern am See ganz neu zu entdecken – und dabei auch der Knorpelmiere zu begegnen.

Das „Ruhr Ding“ als Ausstellungsformat hat sich Britta Peters ausgedacht. Sie übernahm vor drei Jahren das Ruder bei der Institution Urbane Künste Ruhr, die Kunst in den öffentlichen Raum des Ruhrgebiets bringt. Britta Peters hat davor unter anderem an der Seite von Kasper König die Skulptur Projekte Münster kuratiert.

Sie weiß also, wie man mit ortsspezifischen Kunstwerken Irritationen und Diskussionen auslösen – und Schönes schaffen kann. Ein Teil dieser irritierenden Schönheit ist die Arbeit „Death of Worlds“ des in Neuseeland geborenen Künstler Hayden Fowler, der auf das Gelände der Recklinghausener Zeche General Blumenthal eine Biokuppel gebaut hat.

Chaos Computer Club zieht in die Zeche

Die Zeche General Blumen­thal ist nicht wie viele andere ehemalige Industriegebäude im Ruhrgebiet entweder abgerissen, zu schicken Loftwohnungen oder Hochkulturorten umfunktioniert worden. Sie war bis in die 1990er Jahre in Betrieb und sieht jetzt, kurz vor der Umnutzung durch unter anderem den Chaos Computer Club, immer noch aus, als hätten die Bergleute sie gerade erst verlassen.

Man atmet den Staub und sieht den Dreck, wandert vorbei an glanzlackigen Skulpturen, deren Haptik an Jeff Koons erinnert, die aber von Monira Al Qadiri sind und vergrößerte Bohrköpfe darstellen. Durch einen schmalen Tunnel geht es in die Biokuppel und zum ersten Mal so richtig auf Tuchfühlung mit dem Thema.

Bis 27. Juni bei freiem Eintritt, aber teilweise mit Terminfensterbuchung zu erkunden. www.urbanekuensteruhr.de

In der Kuppel herrscht nämlich ein anderes Mikroklima: Es ist sehr feucht, was die Außentemperatur verstärkt, also Wärme oder Kälte stärker spüren lässt. Wasser fließt in Rinnsalen, formt die Anmutung eines Moorgebiets.

Kleine Mücken schwirren durch die Luft, ein Pilz breitet sich überall aus („Der Künstler sagt, das wäre kein Problem“, informiert die besorgt wirkende Britta Peters) und irgendwo in den verschiedenen Schattierungen von Grün zeigt sich auch zaghaft die Quirlblättrige Knorpelmiere. Der Künstler hat mit dem Botanischen Garten der Ruhr-Universität zusammengearbeitet, um die hier einst heimische Flora zu recherchieren, einige Samen fand er nur noch in Indien.

Parlament für Mikroorganismen

Es gibt weitere Arbeiten des „Ruhr Dings“, die sich direkt auf die Auswirkungen der Industrialisierung auf das Klima beziehen. Club Real zum Beispiel, die wie an anderen Orten zuvor am Gelsenkirchener Consol-Theater ein Parlament eingerichtet haben, in dem Menschen dort ansässige Mikroorganismen vertreten. Die Gruppe hat ausgerechnet: 800.000 Jahre würde es dauern, bis die Pflanzen auf dem ehemaligen Zechengelände den CO2-Ausstoß der Industriezeit wieder ausgleichen würden.

Beziehungsweise sind es jetzt nur noch 799.999 Jahre, denn das „Ruhr Ding“ startet wegen Corona mit einem Jahr Verspätung und ein Fassadenkletterer hat die Zahl am Consol-Theater in einer spektakulären Aktion geändert.

Doch es gibt auch Werke, die sich dem Thema Klima ganz anders nähern. Besonders spannend in Herne: Da hat die Dortmunderin Silke Schönfeld (die Kooperation mit Künst­le­r*in­nen und Institutionen vor Ort ist Britta Peters wichtig) eine alte McDonald’s-Filiale in einem eher heruntergekommenen Teil der Fußgängerzone Bahnhofstraße erfahrbar gemacht. „Familiy Business“ heißt ihre Rauminstallation, in der drei Filme laufen, die die Geschichte der Besitzerfamilie, des Fast-Food-Franchisenehmers und von Mitarbeitenden dokumentieren.

Mobiliar und Großküche sind noch original vorhanden – und so erzählt diese Station auf mehreren Ebenen vom Klima: davon, was der Klimawandel mit unserer Ernährungsweise zu tun hat; davon, wie unsere Ernährungsweise mit unserer Art zu leben und zu arbeiten zu tun hat; davon, wie der Lebensstil in einer Region wie dem Ruhrgebiet mit Wohlstand und Strukturwandel zu tun hat.

Geisterspiele im Herner Hochhaus

Voll mit diesen Gedanken betritt man den Aufzug eines der brutalistischen Hochhäuser an der Herner Kreuzkirche, deren Architektur ganz ohne künstlerische Intervention vom krassen urbanen Wandel erzählt, den die Innenstadt durchgemacht hat.

Im zehnten Stock hat die Netzkunst-Pionierin Natalie Bookchin die Rauminstallation „Geisterspiele“ geschaffen, die sich auf eine ganze verlassene Wohnung erstreckt, und darin klug und sensibel Film- und Tonmaterial aus der Welt im Lockdown aufeinander abgestimmt, als die Geräusche von Haus und Wohnung und Blicke aus dem Fenster wichtiger waren als sonst und der Planet kurz Pause hatte von diesem zerstörerischen Virus, das er sich eingefangen hat: dem Menschen.

Weil sie sicher sowieso ein Selbstläufer werden, sollen sie hier nur noch kurz, aber doch erwähnt werden: die Stationen am Silbersee II in Haltern. Wo die Menschen des Ruhrgebiets heute kurze Strandurlaubs-Nachmittage einlegen, wurde einst Quarzsand gewonnen und noch davor bestand dort ein Gefangenenlager des Ersten Weltkriegs.

An die Geschichte, die unter der Wasseroberfläche verborgen liegt und gärt, erinnern Jeewi Lees dicke Luftblasen, die ab und zu an die Oberfläche schießen. Und Skulpturen wie die Sandburg „Clouded in Vain“ von Mariechen Danz und Kerstin Brätsch, die wie ins Fantastische gesteigerter Sowjetrealismus wirkt, haben auch einfach großen Schauwert.

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