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Gesundheitsstadtrat von Berlin zu Corona„Die haben bis zu 300 Kontakte“

Dass es in der Berliner Innenstadt mehr Infizierte gibt, erstaunt den Gesundheitsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg nicht. Er will nun Partys kontrollieren.

Feiern hilft nicht gegen Corona, deshalb will Berlin nun stärker Abstand und Masken durchsetzen Foto: Karsten Thielker
Manuela Heim
Interview von Manuela Heim

taz: Herr Mildner-Spindler, Ihr Bezirk genießt gerade nicht den besten Ruf in Sachen Corona-Pandemie. Sitzen bei Ihnen tatsächlich die ganzen Superspreader?

Knut Mildner-Spindler: Das ist alles Quatsch. Natürlich haben wir in den Innenstadtbezirken eine andere Situation als in den Außenbezirken.

Um genau zu sein, ist das Infektionsgeschehen in Mitte, Neukölln und vor allem Friedrichshain-Kreuzberg drei- bis viermal so heftig wie in den Randbezirken. Woran liegt das?

Wir haben im Moment ein Infektionsgeschehen, das sich an bestimmten Konstellationen und Orten festmacht: zum einen private Feiern und Zusammenkünfte, zum anderen das Geschehen in den geöffneten Clubs und Bars. Das konzentriert sich auf die Altersgruppe der 20- bis 35-Jährigen, und in Friedrichshain-Kreuzberg, Wedding, Tiergarten und Nordneukölln lebt nun einmal eine große Anzahl junger, internatio­naler Menschen, die wie selbstverständlich zwischen europäischen Städten pendeln und in ihrem Freizeitverhalten überall dort unterwegs sind, wo das derzeit möglich ist. Diese Situation erklärt, warum wir hier mehr Infizierte haben.

Aber auch die einschlägigen Feierorte sind ja vielfach in Ihrem Bezirk, nicht wahr?

Wir haben hier Orte, von denen wir wissen, dass es Probleme gibt. Aber auf der Liste möglicher Ansteckungsorte, die mir das Gesundheitsamt vorlegt, tauchen genauso Adressen in Treptow-Köpenick, Prenzlauer Berg oder Lichtenberg auf.

Was sind denn zum Beispiel solche Orte?

Die gebe ich natürlich nicht an die Presse weiter. Im Juni waren alle ganz spitz darauf zu erfahren, wo die Häuser sind, in denen viele Familien zusammenleben und sich angesteckt haben. Ich habe immer darauf verwiesen, dass wir zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Es wäre auch jetzt falsch, mit dem Finger draufzuzeigen und zu sagen: Der ist es gewesen.

Sie haben sich mit der Gesundheitssenatorin und Ihren Kollegen aus Mitte und Neukölln beraten. Was unternehmen sie jetzt?

Wir werden die bekannten Expositionsorte stärker kontrollieren. Uns liegen ausreichend Hinweise vor, dass die Regelungen der Infektionsschutzverordnung vielfach nicht eingehalten werden. Zum Beispiel werden keine Anwesenheitslisten geführt, obwohl das verpflichtend ist.

Es gab zum Ende der Sommerferien ja eher die Befürchtung, dass Schulen und Kitas zu Orten vermehrter Infek­tionen werden. Hat sich das bewahrheitet?

Das spielt nach unseren bisherigen Erfahrungen eine untergeordnete Rolle. Natürlich gibt es an der einen oder anderen Stelle Infektionen von Kindern, Lehrern, Erziehern und freiwilligen Hilfskräften. Es muss dann auch mal eine Lern- oder Kitagruppe vom Gesundheitsamt betreut werden. Aber das sind definitiv nicht die Hotspots, wo sich Infektionen massenhaft verbreiten.

Also zurück zu den Feiernden. Über wie viele Kontaktpersonen von Infizierten reden wir?

Das Prozedere ist ja in der Regel so: Wir haben jemandem, der sich krank fühlt und positiv getestet wurde. Und dann wird als möglicher Ansteckungsort eine private oder öffentliche, legale oder illegale Feier identifiziert. Und dann haben wir eine Liste von bis zu 300 Kontaktpersonen abzuarbeiten. Dass die Zahl der Kontakte eines einzigen Infizierten so hoch ist, das fordert die Gesundheitsämter jetzt besonders stark.

Ist die Arbeitsbelastung wieder so hoch wie zu Beginn der Pandemie?

Es ist nicht vergleichbar mit der Hochkrisenzeit März, April. Wir haben jetzt eingearbeitete Leute, die nicht mehr nach Antworten suchen müssen, was sie wie zu tun haben. Aber wir haben wesentlich mehr zu tun als im Sommer.

Sehen Sie diese Woche, in der die Corona-Warn-Ampel auf Doppel-Gelb wechselte, als Wendepunkt?

Es ist jedenfalls nicht zu erwarten, dass sich die Situation so schnell wieder ändert. Wenn die Kurve nicht wieder abgeflacht werden kann, wie es im Frühjahr gelungen ist, lässt sich schon prognostizieren, dass Berlin als Ganzes in den Bereich des kritischen Werts von 50 Infizierten pro Woche und 100.000 Einwohner kommen könnte. Wir als Bezirk sind da ja schon jetzt ganz nah dran. Wenn das so käme, wäre Berlin Risikogebiet.

Bereiten Sie sich denn darauf vor?

Wenn es mit dem Infektionsgeschehen so weitergeht, wäre die Konsequenz, sich zu fragen: Beschränken wir die Größe privater Zusammenkünfte und Veranstaltungen sowie die Öffnungszeiten von Einrichtungen? Wir gucken da auch, wie andere Städte, etwa München, handeln.

Am Freitag soll es ein Treffen von Gastronomen und Bezirksvertretern geben zur Frage, wie die Gastronomie durch Herbst und Winter kommt …

Einer besorgten Gastronomin habe ich gerade geschrieben, dass sowohl ich als auch der Senat die Maßnahmen zur Eindämmung so mäßig wie möglich gestalten werden. Es geht darum, die wirklichen Entstehungsorte an der Wurzel zu packen und nicht die gesamte Gesellschaft in die Mitverantwortung zu nehmen.

Also Clubs und Privatfeiern und nicht die Restaurants?

Uns sind keine Infektionen nach dem Besuch von Res­taurants bekannt. Das sind genauso wenig Hotspots wie Kitas und Schulen. Es ging los an den Party- und Feierorten und jetzt sind es wieder die Party- und Feierorte. Darauf werden wir reagieren müssen.

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6 Kommentare

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  • Meiner Beobachtung nach liegt die Rücksichtslosigkeit vieler Party people schlicht daran, dass sie in Berlin kaum ältere Menschen kennen und vor allem auch keine Familie haben. Ich sehe das im eigenen Freundeskreis. Die Expats, deren alte Eltern auf einem anderen Kontinent wohnen, empfinden die Notwendigkeit, sich einzuschränken, einfach nicht, weil sie ihrer Solidarität mit den Risikogruppen sozusagen kein Gesicht geben können. Die kennen halt nur Gleichaltrige, die höchstwahrscheinlich keinen schweren Krankheitsverlauf haben, wenn sie sich infizieren. Und gut, eine gehörige Portion Egoismus und Hedonismus ist natürlich auch dabei.

  • RS
    Ria Sauter

    Manchmal kommt man schon ins Grübeln aufgrund der absurden Situation.



    Ich gehöre zur Risikogruppe, bin 50 % schwerbehindert. Beides sieht man mir nicht an.



    Ich muss leider viel mit dem Bus unterwegs sein. Um die Abstandsregeln einzuhalten blockiere ich den Platz neben mir mit einer Tasche. Aufgrund dessen werde ich übelst beschimpft .



    Meine Nachfrage beim Coronadienst meines Landes ergab, dass ich den Sitz nicht blockieren dürfe und sich Leute neben mich setzen dürfen.



    Viele tragen keine Maske, meistens ältere Männer oder ganz junge Männer und Frauen aus einem anderen Kulturkreis.



    Hier sitzen sehr viele Menschen zusammen, sehr lange Zeit.



    Wie soll man da eine Ansteckswelle nachvollziehen können.



    Sehr oft kommen einem Zweifel an manchen Massnahmen und der Sinnhaftigkeit.



    Das ist völlig absurd und irre!

  • Warum gab es vom Bezirk nicht mehr klare Ansagen an die beschriebene kosmopolitische Szene? Wo bleibt das kreative und kritische Denken der jungen Menschen? Ist "Party machen" nun ein unabdingbares Menschenrecht? Gerade die Linke sollte doch wissen, daß es am Ende die am meisten trifft, die zu den schwächeren Schichten der Bevölkerung gehören und denen doch eigentlich ihre Solidarität zu gelten hätte!

    • @Toni Zweig:

      Ich glaube nicht, daß die jungen Leute bei den Parties alle "Linke" sind. Das ist wohl eher einfacher Hedonismus und eine verinnerlichte Rücksichtslosigkeit, die diese jungen Leute von den Älteren vermittelt bekommen.

      • @kditd:

        Das glaube ich durchaus auch nicht; der Bezug zur Linken ergab sich aus dem Interview mit einem linken Politiker, den ich dahingehend in der Pflicht sehe!

    • @Toni Zweig:

      Nicht alles was links und kosmopolotisch unterwegs ist hat ein wirklich ausgeprägtes politisches Bewusstsein. Auch in der linken Szene gibt es viele Mitläufer und eine Party ist zunächst erstmal kein politischer Akt. Und dann gibt es natürlich noch die denen das bewusst ist aber trotzdem feiern gehen, vielleicht mit schlechtem Gewissen aber auch nur bis zum dritten Bier. Es ist doch letztendlich ähnlich wie bei dem Klimawandel, am Ende bin ich manchmal ein Egoist. Es kann sogar sein dass ich mich davor an alle Coronaauflagen gehalten habe und dann gehen Freunde auf einmal auf eine Party und eigentlich sehnt man sich auch seit Monaten danach. Ist das vernünftig und verantwortungsbewusst. Auf keinen Fall, aber ich glaube garnicht mal so abwegig und in gewisser Weise menschlich.