Daschwingt was mit
In die deutsche Sprache werden gern jiddische Wörter eingestreut. Wenn sie ihre ursprüngliche Bedeutung behalten, ist das schön. Doch manch ein Ausdruck transportiert bis heute Antisemitismus. Der Autor Ronen Steinke erklärt, warum es auf die Wortwahl ankommt
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Von Ronen Steinke
Fun tiefn harzn heißt: aus tiefstem Herzen. A bisele masl bedeutet ein bisschen Glück. Ein Nudnik ist ein Mensch, der nervt, weil er ständig bohrt und unliebsame Fragen stellt: Nu, nu, nu, sag doch mal!
Mein Großvater hat die jiddische Sprache, voller Verniedlichungsformen, voller kleiner Perlen aus dem Hebräischen, in seiner Kindheit in Rumänien noch mit seinen Eltern und Spielkameraden gesprochen. Es sind damals Zeitungen auf Jiddisch erschienen, Romane, Gedichte.
Heute ist in Europa fast nichts mehr übrig von der alten Welt der einst fast zehn Millionen Jiddisch-Sprecher zwischen Łódź und Kiew, Riga und Iași, dem Ursprungsort meiner Familie. Es stehen noch alte, teils hübsch wiederhergerichtete Synagogen herum, aber vielerorts ist niemand mehr da, um in ihnen zu beten. Selbst in einer Großstadt wie Berlin ist das jüdische Leben heute winzig im Vergleich zu der Zeit vor dem Churbn (Jiddisch für Holocaust, abgeleitet vom hebräischen churban, Zerstörung).
Nachdem meine Großeltern gemeinsam mit anderen der deutschen Vernichtung Entronnenen nach dem Krieg nach Israel emigriert waren, hat meine Mutter das Jiddische so wie viele jüngere Israelis eher mit negativen Dingen assoziiert. Der Duktus der Unterdrückten in der Diaspora. Alt und schwach. Etwas aus guten Gründen Zurückgelassenes. Israel Joshua Singer, der ältere Bruder des Literaturnobelpreisträgers von 1978, Isaac Bashevis Singer, betitelte seine Erinnerungen an die Jugend im Shtetl Ostpolens traurig vun a velt, wos is nishto mer; von einer Welt, die nicht mehr ist.
Und obwohl Jiddisch anfangs noch lange die Mameloshn (die Muttersprache, abgeleitet von laschon, hebräisch für Zunge, Sprache) der israelischen Mehrheit gewesen sein dürfte, wurde jetzt gesellschaftlich erwartet, dass man sie hinter sich ließ. Golda Meir, Israels Ministerpräsidentin von 1969 bis 1974, hatte einen amerikanischen Akzent. Woran sich niemand störte. Shimon Peres hatte einen jiddischen Akzent. Dafür musste er Spott einstecken.
Heute wird Jiddisch im Alltag fast nur noch in ultraorthodoxen Gemeinden gesprochen. In Me’a She’arim zum Beispiel, dem Hunderttoreviertel im Westen von Jerusalem, dessen Bewohner sich auch in anderen Dingen gegen die Lebensweise der übrigen israelischen Gesellschaft stemmen. Oder in Crown Heights in New York. Aber tot ist das Jiddische deshalb auch in Europa nicht. Es lebt in tausend Redewendungen fort, die europäischen und europäischstämmigen Juden oft geläufig sind und die sie in ihre Landes-, und das heißt heute meist: Muttersprache einstreuen wie Slang.
Fun tiefn harzn: Sascha Chaimowicz, Redakteur des Zeit-Magazins, beschreibt im Vorwort zum 2018 im Duden-Verlag erschienenen Jiddisch-Wörterbuch, wie er zunächst gar nicht glauben konnte, dass sein Vater, Kind polnischer Holocaust-Überlebender, einst zu Hause Jiddisch gesprochen habe. Der Vater habe in München „jiddische Begriffe und die typische Satzstellung immer eher als eine Gag-Sprache verwendet“. So kenne auch ich das aus meiner Kindheit in Bayern. Etzes zum Beispiel, Jiddisch für Tipps (abgeleitet vom hebräischen etzah, Rat) – bei dem Wort schwang bei uns immer der leise Spott mit, dass es sich um neunmalklugen, ein bisschen überflüssigen Rat handelte.
So wie mancher aus dem Bayerischen nur einzelne, besonders gute Wörter wie Gschaftlhuber oder deppert verwendet, so werden in vielen jüdischen Familien zumindest einzelne jiddische Wörter weitergetragen. Die Chalosches bekommen. Das heißt in Ohnmacht fallen (vom hebräischen chalasch, schwach). Aber das verwendet mein Vater nur sarkastisch. Na, kriegst du schon die Chalosches?, sagt er gern, wenn ich aus seiner Sicht überreagiere. Viele aschkenasische, das heißt auf europäische Wurzeln zurückgehende jüdische Gemeinden (áschkenas ist der jiddische Name für das mittelalterliche Deutschland) pflegen solche Wörter noch.
Was also sollte dagegen sprechen, wenn auch Nichtjuden, die diese Sprache für ähnlich liebenswert halten, mitmachen? Wenn auch nichtjüdische Sprecher*innen jiddische Wörter wie Tacheles (Klartext, kommt vom hebräischen tachlit) als Lehnwörter verwenden? Oder Zores (Ärger, kommt vom hebräischen zarot)? Oder Schlamassel (Unglück, aus der Kombination des deutschen schlimm und des hebräischen masal, Glück)? Oder schmusen (eigentlich: sich unterhalten, plaudern, auch: schmeicheln, in New York deshalb auch gebräuchlich als to schmooze, schwätzen; nur in der deutschen Umgangssprache hat es die Bedeutung von liebkosen bekommen)?
Jiddisch wird im Alltag fast nur noch in ultraorthodoxen Gemeinden gesprochen
Der deutschen Sprache tun Anglizismen gut. Manchmal ist das treffendste Wort ein englisches. Genauso tun der deutschen Sprache Jiddismen gut. Manchmal ist das treffendste Wort – Schlamassel. Wenn es gut passt, dann ist das zunächst nur ein Kompliment an die Sprache, aus der das Wort entlehnt ist.
Und es gibt sie, die Wörter aus dem Jiddischen, die nur wegen ihres Charmes in den deutschen Wortschatz übernommen worden sind. Meschugge etwa. Da ist es wie beim englischen Wort crazy, es bedeutet verrückt, klingt aber besser als der deutsche Konsonantensalat. Oder Chuzpe. Das bedeutet einfach nur Dreistigkeit. Aber der Klang! Ob man die jiddische Variante wirklich immer niedlicher findet, wie es der Literaturkritiker Rolf-Bernhard Essig nahelegt, demzufolge etwa der Satz Du hast ne Macke! (abgeleitet vom hebräischen maka für Hieb, Stoß, Plage) leichter hinzunehmen sei als Du hast nen Schlag! – Ansichtssache.
Jedenfalls aber haben Tacheles, Schlamassel, meschugge gemein, dass sie im Deutschen heute „at face value“ genommen werden. Dass sie als Lehnwörter also denselben Sinngehalt ausdrücken sollen wie im Original, im Sprachumfeld des Jiddischen. Die deutsche Sprache nimmt diese Ausdrücke auf, aber sie verbiegt sie nicht. Sie verwendet sie im Sinne des Erfinders. Das hervorzuheben ist wichtig, meine ich. Denn darauf kommt es an.
Es gibt auch den umgekehrten Fall. Und da wird es aus meiner Sicht problematisch. Ische bedeutet auf Jiddisch eigentlich nur Frau (vom hebräischen ischa, Frau). Sachlich und wertneutral. Wenn einem aber heute im Deutschen die Ische begegnet, dann ist die Bedeutung selten so wertneutral. Sondern sie hat sich verwandelt. Die Duden-Wörterbücher definieren Ische zwar als umgangssprachlich für „Mädchen, junge Frau (aus Sicht eines Jungen, jungen Mannes)“. Aber das verschweigt galant den abwertenden Beiklang in der deutschen Sprache. Niemand möchte eine Ische sein.