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Proteste in BelarusFriedlich kämpferisch

Immer mehr Menschen beteiligen sich an Demonstrationen gegen Präsident Lukaschenko. Der weißrussische Diktator hofft jetzt auf Hilfe von Putin.

Zusammengeschlagen von Lukaschenkos Sicherheitstruppen. Ein Verletzter zeigt die Prügelspuren Foto: Vasily Fedosenko/reuters

Kiew taz | „Mein Sohn ist nicht gestorben, mein Sohn ist gewaltsam ums Leben gekommen.“ Mit diesen Worten begrüßte die Mutter des 25-jährigen Alexander Wichor in dem Dorf Kostjukowka, nahe Weißrusslands zweitgrößter Stadt Gomel, am Sonntagmittag die über 300 Trauergäste, die um den offenen Sarg standen. Wichor war am 9. August, als im ganzen Land Zehntausende gegen die Wahlfälschungen auf der Straße waren, in Gomel festgenommen worden.

Er habe sich nicht an den Protesten beteiligt, zitiert das Portal Gomel.today die Mutter. Alexander habe gerade einen Bus besteigen wollen. Erst zwei Tage später habe sie erfahren, dass ihr Sohn zu einer Arreststrafe von zehn Tagen verurteilt worden war. Doch niemand habe ihr seinen Aufenthaltsort mitgeteilt. Am darauffolgenden Tag dann sei ihr der Tod von Alexander mitgeteilt worden.

Inzwischen hat die Mutter einen Totenschein erhalten. „Todesursache noch nicht festgestellt“, heißt es darin. Mehrmals habe ihr herzkranker Sohn in der Haft vergeblich um Medikamente gebeten, berichtet die Mutter in einer sehr emotionalen Rede vor dem offenen Sarg ihres Sohnes nahe seinem Elternhaus. Ihr Sohn, das habe ihr ein Arzt gesagt, sei bereits klinisch tot gewesen, als er auf die Intensivstation eines Krankenhauses gekommen sei. „Drei Tage lang habe ich überall mein Kind gesucht“, so die Frau.

„Ich rufe alle auf, die mein Kind in den letzten Tagen gesehen haben: melden Sie sich als Zeuge. Ich brauche Beweise, dass er ums Leben gekommen ist, weil man ihm die notwendige medizinische Hilfe verweigert hat“, sagt die kämpferische Mutter, die sich gar nicht bemüht, ihre Tränen zurückzuhalten. „Ich will all denen in die Augen schauen, die mitschuldig am Tod meines Sohnes sind, ich will Bestrafung derer, die meinem Sohn das Leben genommen haben.“

Am Samstagabend hatten sich in Gomel, so das Portal Gomel.today, Tausende vor der Bezirksverwaltung versammelt, wo sie den Rücktritt der Regierung, die Freilassung politischer Gefangener und die Bestrafung derer gefordert hatten, die den Tod von Alexander Wichor zu verantworten haben. Dutzende von politischen Gefangenen waren auch am Samstag dort entlassen worden. Ihnen hatte man offensichtlich meist eine bessere Behandlung zukommen lassen als den in der Hauptstadt Minsk Festgenommenen. Alle berichteten sie übereinstimmend, dass sie „nur“ bei der Festnahme geschlagen worden seien. In der Haft selbst sei die Behandlung korrekt gewesen.

Weil der ebenfalls in Gomel festgenommene Kirill Martschenko nicht freigelassen wurde, ist seine Mutter direkt vor der Haftanstalt in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. „Ich hungere hier so lange, bis Kirill frei ist“, heißt es auf dem Transparent, das die Mutter entrollt hat. Sie glaubt, dass man Kirill nicht freigelassen habe, weil die Folterspuren noch deutlich zu sehen seien. Ein Freund von Kirill habe ihr berichtet, dass man Kirill schwer geschlagen habe. In den Stunden, in denen sie vor dem Gefängnis verbracht habe, habe sie die ganze „Hölle“ der vergangenen Tage kennengelernt.

Gefälschte Wahlergebnisse

Am 9. August hatte Weißrussland gewählt. Nach Angaben der staatlichen Wahlkommission hatte Präsident Alexander Lukaschenko 80,1 Prozent erhalten, die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja hingegen nur 10,1. Die Opposition geht davon aus, dass Tichanowskaja zwischen 60 und 70 Prozent erhalten hat. Seit Bekanntgabe des Wahlergeb­nisses finden im ganzen Land täglich Protestveranstaltungen statt.

In den 26 Jahren von Lukaschenkos Herrschaft sind das die bisher größten und am längsten anhaltenden Proteste gegen den Diktator. Am Sonntagnachmittag formierte sich jetzt in Minsk ein „Marsch für die Freiheit“. Laut der weißrussischen Agentur Belaplan beteiligten sich rund 200.000 Menschen.

In vielen Städten des Landes waren bereits am Samstagabend Menschen gegen Lukaschenko auf die Straße gegangen, darunter auch in Brest, Witebsk, Bobruisk. Am Montag wollen auch Mitarbeiter der Technik des staatlichen Fernsehens vom 1. Kanal sich den Streiks anschließen. Der Sender wird wohl jedoch weiterhin in seinen Programmen fortfahren.

Auch in anderen Städten wird gestreikt. In Gomel berichten Arbeiter des Werkes Gomselmasch, das unter anderem Mähdrescher herstellt, von gezieltem Druck, den die Betriebsleitung ausübe, um Streiks zu verhindern. So berichten Arbeiter des Werkes dem Portal Gomel.today, man habe sie aufgefordert, schriftlich zu erklären, dass man sich an Streiks nicht beteiligen werde. Wer sich beschwere, dem drohe man mit Entlassung. Auch die Gewerkschaften ließen streikbereite Arbeiter im Stich, klagen die Arbeiter.

Anhänger von Lukaschenko auch auf der Straße

Unterdessen demonstrierten, erstmals in dieser Woche, im Zentrum von Minsk Anhänger von Präsident Lukaschenko. 10.000 sollen es gewesen sein, meldet die Menschenrechtsorganisation Charta 97. Wie dünn die Basis ist, auf die sich Präsident Lukaschenko noch stützen kann, zeigt auch eine Erklärung der Belarussischen Orthodoxen Kirche, die der Russischen Orthodoxen Kirche unterstellt ist. In vorsichtigen Formulierungen verurteilt sie Folter, Gewalt, Erniedrigungen und Verhaftungen ohne rechtliche Grundlage. Gleichzeitig bietet sie Betroffenen Unterstützung durch Freiwillige der Kirche an.

Unruhe herrscht auch unter belarussischen Diplomaten. So hat Pawel Mazukewitsch, zeitweiliger Geschäftsträger von Belarus in der Schweiz, das Vorgehen gegen die Proteste kritisiert. Zuvor hatte der weißrussische Botschafter in der Slowakei, Igor Lesch­tschenja, das Vorgehen der belarussischen Sicherheitskräfte verurteilt. Diese würden „in einem toleranten Belarus des 21. Jahrhunderts Traditionen des NKWD wiederaufleben lassen“. Das NKWD war das frühere sowjetische Innenministerium.

Unterdessen erklärte Präsident Lukaschenko, er lehne Neuwahlen ab und er habe mit Russlands Präsident Putin gesprochen. Der habe ihm umfassende Hilfe bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit der Republik Belarus zugesagt, sollte diese angefragt werden. In etwas vorsichtigerer Formulierung wird dies vom Kreml nach einem zweiten Telefonat der beiden Präsidenten bestätigt.

Weißrussland ist wirtschaftlich stark von Russland abhängig. 40 Prozent der produzierten Waren gehen nach Russland, pünktlich zur Präsidentschaftswahl wurde das neue weißrussische Atomkraftwerk in Os­trowez mit atomaren Brennstäben bestückt. Und die kommen natürlich aus Russland. Gebaut wird das 10 Milliarden Dollar teure Kraftwerk vom russischen Atomkonzern Rosatom, der dieses fast vollständig mit Krediten finanziert.

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15 Kommentare

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  • Leider, leider bin ich noch nicht so optimistisch was einen positiven Ausgang der Revolution angeht (wenn man sie schon so bezeichnen kann), Weißrussland ist in Putins Fängen und der ist Lukaschenkos stärkste Versicherung. Auf eine Wiederholung des Ostukraine- Szenarios hat der Westen keine Lust, die Weißrussen sind sicher auch nicht scharf drauf. Deshalb befürchte ich dass sich der Westen mit Putin auf irgendeinen Kuhhandel einlässt (wie er auch damals in der Ukraine auf dem Tisch gelegen hat) à la: der Lukaschenko verspricht freiwillig in einem Jahr zurückzutreten und Neuwahlen auszuschreiben. Bis dahin hat L. natürlich Zeit das Haus zu bestellen und alle Strukturen hinüberzuretten, obendrauf als Sahnehäubchen gibt es noch Generalamnestie und Senatorenposten auf Lebenszeit oder so was in der Art. Und Merkel und Macron werden natürlich brav nicken, weil Sie ohnehin kein Druckmittel in der Hand haben. Gut, Sie könnten sagen, sie ziehen in Erwägung, zur Rettung des Weltklimas, doch zukünftig auf russisches Gas zu verzichten und die Sanktionen gg. Russland effektiver zu gestalten (wo aber auch andere wie Basti und Viktor davorstehen). Aber das wird nicht passieren und Wowa weiß das auch. Sollte mich sehr freuen wenn ich mich täusche. Damit es noch was wird, sollte der Westen sich jeglicher Händel enthalten die etwas anderes als freie Wahlen und freie politische Betätigung der Weißrussen beinhalten. Finger weg irgendwelche Versprechungen abzugeben, dass Weißrussland niemals Mitglied von EU und NATO werden würde. Das ist ganz allein souveränes Entscheidungsrecht der Weißrussen. Und darüber hinaus steht in der KSZE- Schlussakte, dass alle Staaten das freie Recht haben Mitglied zu werden wo sie wollen. Hier eine Ausnahme zu schaffen, hieße es wieder vollkommen in Frage stellen. Die Weißrussen haben eigentlich nur eine Chance durchzukommen: Die Straßen zuzustellen bis Lukaschenko geht. Und wenn dann doch die grünen Männchen kommen alle strategischen Orte vorher besetzen.

  • Hier ein erschütternder Bericht eines russischen Journalisten, der in Minsk während der Demonstrationen verhaftet wurde.

    Vorab eine Triggerwarnung. Die geschilderten Geschehnisse sind sehr brutal:

    www.dekoder.org/de...folter-augenzeugen

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Werden wir in Deutschland objektiv über den Status Quo in Weißrussland informiert?

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Was meinen Sie genau damit?

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Ja, Sie können dazu viele Quellen nutzen.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      gähn, nein ist in Wirklichkeit natürlich alles andersrum; Sascha und Wowa sind die letzten Verteidiger der Freiheit und des waren Volkswillens und die Demonstranten in Minsk sind alle bezahlt. Und die Hämatome haben sie sich wahrscheinlich auch noch aufgemalt, weiß doch jeder dass weißrussische Gefängnisse wie Ferienlager sind mit jeden Tag köstlichen Piroggen und Birkensaft auf dem Speiseplan.

  • In NRW tobt ja grade der Kommunalwahlkampf.



    Eine einmalige Chance mal etwas mehr über den Charakter der OB-Kandidaten zu erfragen.

    z.B. "Welche Aktion ihrer Partei gegen die Menschenrechtsverletzungen in Weißrußland finden sie am Besten ?"

    oder



    "Wann findet hier am Ort die nächste Aktion ihrer Partei gegen die Menschenrechtsverletzungen in Weißrußland" statt"

    Da die Kommunalkadidaten idR nicht so umfassend psychologsich geschult sind wie den "Bundesgranden" dürften die Antworten augenöffnend sein.



    Allerdings fürche ich, dass von der "Handzahmpresse" niemand solche Fragen stellt ...



    Es sei denn Tilo Jung liesst hier mit ...

  • Friedlich bleiben. Wenn wir das hinkriegen sind wir die Sieger, brauchen nicht einmal einen Krieg. Und ehrlich gesagt, zum besseren Verständnis, wozu genau braucht ein Staat einen Machtapparat?

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @Picard:

      Weil genug Idioten in der Gegend rumrennen.

  • Wichtig ist die Misshandlungen der Opfer zu dokumentieren.



    Damit auch hier in Deutschlang nachher keiner der entscheidenden Politiker sagen kann: "Davon habe ich nichts gewusst. Solche Sachen wurden höchstens mal hinter vorgehaltener Hand erzählt. Aber eher um uns Angst zu machen"

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Bolzkopf:

      Das interessiert doch niemanden und selbst was sollen deutsche Politiker machen? Das deutsche Volk will in Ruhe konsumieren und von Zeit zu Zeit Placebo Politik für Flüchtlinge und Klimawandel aber wirkliche positive Veränderung oder für Dinge einstehen wollen die Deutschen nicht.

  • Ich tippe mal darauf, dass in absehbarer Zeit eine Demonstration in Weißrussland stattfinden wird, bei der auf beiden Menschen erschossen werden.

  • Lieber Herr Lukaschenko,

    wir haben gehört, dass Sie zu wenig Hörige haben, die FÜR Sie demonstrieren.



    Wie sind denn so die Tarife, was zahlen Sie?



    Gibt's vielleicht einen Bonus, wenn wir es schaffen, einen oder mehrere Ihrer Gegner niederzuknüppeln?



    Wie sieht's aus mit Folter, machen Sie das nur oder Ihre Gegner auch?



    Ist man dagegen versichert?



    Wenn das mal vorbei ist, kann man vielleicht auf einen gutbezahlten Posten hoffen?

    Mit einem zünftigen "Geschäft ist Geschäft" grüßt

    VDA (Vereinigung Deutscher Arschkriecher)

  • Wie blöd kann man als Diktator sein... Leute die man foltert muss man vor dem Freilassen auch brechen... selbst die Amerikaner wissen das

    • @danny schneider:

      waren nur zu viele auf einmal, die dann auch noch in aller Öffentlichkeit blutig geschlagen wurden und hinterher standen tausende Mütter vor den Gefängnistoren, da wird sich auch der härteste Diktator überlegen ob er die auch noch niederknüppelt und damit die Lunte ans Pulverfass legt.