Streit um Kurzvideo-Plattform: TikTok im geo­politischen Visier

Die aus China stammende Video-App ist die beliebteste App der Welt. Für die US-Regierung ist sie eine Bedrohung. Was steckt dahinter?

Das Tiktok-Symbol auf einem Smartphone-Diskplay

Ein Mädchen hält ein Smartphone mit dem Schriftzug von TikTok auf dem Bildschirm Foto: Jens Kalaene/dpa

PEKING taz | Kurze Tanzeinlagen, dadaistische Sketche oder putzige Katzen-Clips: Wer sich durch den schrillen Videokosmos von TikTok klickt, bekommt eine Ahnung davon, warum die chinesische App derzeit bei Jugendlichen die beliebteste Plattform überhaupt ist. Heiter geht es zu, schrill und nie langweilig.

Die analoge Welt der Realpolitik erscheint dazu im krassen Kontrast: Corona stürzt die Weltwirtschaft in eine schwere Rezession, unterschwellige Konflikte zwischen Staaten treten offen zutage.

TikTok scheint nun zum jüngsten Opfer geopolitischer Fronten zu werden. Dabei handelt es sich jedoch nicht um irgendeine beliebige Onlineplattform, sondern die beliebteste App der Welt: Laut der Analysefirma App-Annie, die Downloadzahlen sowohl für den Google Play-Store als auch Apples App-Store misst, wurde im ersten Quartal 2020 keine App öfter heruntergeladen als TikTok. WhatsApp und Facebook folgen lediglich auf Platz zwei und drei.

Hinter TikTok steht das Unternehmen ByteDance aus Peking. Das 2012 gegründete Start-up gilt mit rund 100 Milliarden Dollar als wertvollstes seiner Art. Der Umsatz betrug letztes Jahr 17 Milliarden Dollar, Tendenz steigend. Kein Wunder, schaffen doch die sich schnell hintereinander reihenden Kurzvideos die ideale Umgebung für Werbeschalten. Zu bisher 60.000 Mitarbeiter*innen sollen weitere 30.000 in diesem Jahr kommen.

Gründer ist erst 37 Jahre alt

Über den ByteDance-Gründer ist wenig bekannt: Zhang Yiming ist in der südöstlichen Provinz Fujian geboren, hat Informatik studiert und schafft es mit seinen 37 Jahren laut Forbes schon in die Liste der zehn reichsten Chinesen.

Vor seinem kometenhaften Aufstieg hat der schmächtige Unternehmer mit der Nerd-Brille auch Niederlagen einstecken müssen: Für kurze Zeit heuerte Zhang Ende der nuller Jahre bei Microsoft an, doch kündigte er schon bald, da er sich durch die strenge Unternehmenskultur eingeengt fühlte. Sein erstes eigenes Start-up scheiterte.

Zhangs prophetische Meisterleistung bestand jedoch darin, schon früh die Abwanderung der Nutzer auf mobile Endgeräte vorauszusehen. Zudem erkannte er die Schlüsselrolle künstlicher Intelligenz bei der Auswahl nutzerrelevanter Inhalte.

Donald Trump scheint wohl auch persönlich Rache zu nehmen

Doch nun wird das Unternehmen zu einem zweiten Fall Huawei. Nach einem Grenzkonflikt zwischen China und Indien mit Dutzenden getöteten Soldaten hat Indien die führenden chinesischen Apps verboten, darunter TikTok. Für die Video-App war Indien bis dahin der mit Abstand größte Markt.

Und jetzt folgt womöglich bald der zweitgrößte Markt – die USA. Im US-Kongress wurden schon Gesetzentwürfe gebilligt, die es Regierungsmitarbeitern verbietet, TikTok auf ihren Handys zu nutzen.

Trumps Feldzug gegen TikTok ist auch persönliche Rache

Die Vorwürfe gegen die chinesische App folgen einem bekannten Muster: Washington fürchtet, dass der in Peking ansässige Mutterkonzern ByteDance die Nutzerdaten an Chinas Regierung weiterleiten und chinesische Propaganda und Missinformation verbreiteten könnte.

Dabei scheint Donald Trump wohl auch persönlich Rache zu nehmen: Als er in Oklahoma vor wenigen Wochen eine Wahlkampfrede hielt, blieben die Ränge in der Veranstaltungshalle überraschend leer. Tausende TikTok-Nutzer, vorwiegend K-Pop-Fans, hatten sich über die App untereinander abgesprochen, massenweise Tickets zu ordern, ohne tatsächlich kommen zu wollen. Trump blamierte sich vor auffallend leeren Rängen.

Er hat jetzt bereits auf Facebook Anti-TikTok-Werbung geschaltet, die behauptet: „TikTok wurde auf frischer Tat dabei ertappt, auszuspionieren, was sich im Arbeitsspeicher meines Smartphones befindet.“ Dass dies bei vielen US-Apps ebenfalls der Fall ist, wird verschwiegen.

Trump macht auch keinen Hehl daraus, ein Verbot von TikTok als taktische Wirtschaftssanktion zu nutzen: „Es ist ein großes Unternehmen. Schauen Sie, was mit China mit diesem Virus geschehen ist, was sie diesem Land und der ganzen Welt angetan haben, ist eine Schande.“

ByteDance versucht jetzt vor allem sich ein internationales Image zu verpassen, das potenzielle Verbindungen zu Chinas Kommunistischer Partei vergessen machen soll: So wurde der frühere Disney-Vorstand, Kevin Mayer, als neuer CEO rekrutiert und eine ganze Horde PR-Lobbyisten angeheuert.

TikTok hat wenig Handhabe gegen Peking

Doch kommt TikTok aus seinem Herkunftsdilemma nicht heraus: Sollte Peking tatsächlich Informationen von dem Start-up anfordern, gäbe es praktisch keine rechtliche Grundlage, dagegen vorzugehen.

Pekings langen Atem hat auch schon ByteDance Gründer Zhang gespürt: Die erste Nachrichtenapp von ByteDance wurde von den Behörden verboten, Zhang selbst gab in einer öffentlichen Entschuldigung zu, die App „sei nicht mit den sozialistischen Grundwerten vereinbar“ – und gelobte Besserung. Damals versprach Zhang, die Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei „weiter vertiefen“ zu wollen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.