Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen: Ein Gesetz, das krank macht

In der deutschen Fleischindustrie schuften osteuropäische Beschäftigte mit Werkverträgen – wie es die CSU wollte.

Ein LKW fährt in den Schlachthof

In diesem Coesfelder Fleischbetrieb wurden 200 Werksarbeiter mit Corona infiziert Foto: Stephane Nitschke/reuters

Sage und schreibe über 200 Arbeiter des Coesfelder Schlachthofs haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Die Landesregierung von NRW will jetzt alle 20.000 Zerleger von Schweinen und Rindern im Land testen lassen; dass dabei noch mehr Fälle herauskommen, steht zu befürchten.

Schlimm, diese Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, heißt es jetzt aus der Politik. Viel Interessanter als Empörungsroutinen ist die Frage nach den Ursachen. Die aus Osteuropa stammenden Schlachthofarbeiter sind in Deutschland meist per Werkvertrag beschäftigt, also formal selbstständig. Damit haben sie keine Rechte eines normalen Arbeitnehmers, aber dummerweise auch nicht die Freiheiten eines Selbstständigen. Für die Schlachthöfe ist das eine prima Win-Situation, für die Beschäftigten bedeutet es das Gegenteil. In den Knebelverträgen ist meist auch die Unterkunft festgelegt – Massenbehausungen, für deren oft überhöhte Kosten die Arbeiter aufkommen müssen.

Werkverträge sind in der Theorie eine praktische Sache. Wenn zum Beispiel eine Bäckerei ihr IT-System aufmöbeln will, schließt sie einen Werkvertrag mit einer IT-Spezialistin, weil die Bäckerei es selbst nicht leisten kann. Seit Jahren aber werden Werkverträge nicht nur in der Fleischindustrie massenhaft missbraucht, um Personalkosten zu drücken. Möglich ist dies durch eine Gesetzeslücke, die auch bei einer Reform von 2017 nicht geschlossen wurde. Die damalige SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles wollte darin dem Missbrauch über Scheinselbständigkeit ein Ende setzen. Sie knickte vor dem massiven Widerstand der CSU zu schnell ein; auch, weil sie vom damaligen SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel keine Unterstützung bekam.

Das konnte geschehen vor dem Hintergrund, dass sich die breite Öffentlichkeit für die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den unteren Etagen der Arbeitswelt nur wenig interessiert. Seit Coesfeld wissen hoffentlich die Letzten: Menschenwürdige Arbeitsbedingungen schützen vor Krankheit und am Ende sogar vor Tod.

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