piwik no script img

Kriminalisierung auf MaltaExempel statuieren

Der Öltanker El Hiblu wollte 108 aus Seenot Gerettete zurück nach Libyen bringen. Drei junge Männer wehrten sich. Jetzt droht ihnen lebenslange Haft.

Der Öltanker El Hiblu sollte 108 Flüchtlinge zurück nach Libyen bringen – doch die wehrten sich Foto: Roberto Runza/Imago

Berlin taz | Auf Malta droht drei jugendlichen Flüchtlingen lebenslange Haft. Ihnen wird vorgeworfen, den Kapitän des Öltankers „El Hiblu“ dazu gezwungen zu haben, sie und 105 weitere Menschen nicht nach Libyen, sondern nach Malta zu bringen. Italien und Malta hatten dies als „Piraterie“ und „Terrorismus“ bezeichnet.

Am 25. März 2019 war ein Schlauchboot mit 108 Menschen von Gasr Garabulli in Libyen abgelegt. Das Boot verlor nach einiger Zeit Luft, wurde jedoch von einem Flugzeug der EU-Anti-Schlepper Mission Eunavfor Med entdeckt. Deren Kommando wies den in der Nähe fahrenden Öltanker El Hiblu an, die Menschen aufzunehmen.

Die El Hiblu war auf dem Weg nach Tripolis. Italienischen Medienberichten zufolge soll die Besatzung des Marineflugzeugs die El Hiblu Crew weiter angewiesen haben, sich mit der libyschen Küstenwache zu koordinieren und die Menschen nach Libyen zu bringen.

Doch als die Geretteten bemerkten, dass sie wieder zurück fuhren, brachten sie den Kapitän dazu, den Kurs zu ändern und Richtung Malta zu fahren. Wie genau sie das geschafft haben, ist unklar. Ein Sprecher der libyschen Küstenwache hatte behauptet, sie hätten die nur aus wenigen Männern bestehende Crew mit Werkzeugen bedroht und so zur Umkehr gezwungen.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Video El Hiblu

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Niemand verletzt, nichts beschädigt

„Niemand wurde dabei verletzt, nichts wurde beschädigt,“ heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Erklärung verschiedener Seenotrettungs-Organisationen. „Sie sind weder Piraten noch Terroristen. Sie sind einfach Menschen, die nach Hilfe und einem sicheren Ort gesucht hatten.“ Es gehe „ganz klar darum, dass die Malteser ein Exempel statuieren wollen.“

Italien und Malta kündigten damals an, dem Schiff die Einfahrt in ihre Gewässer zu verweigern. Als die El Hiblu 30 Seemeilen vor Malta lag, nahm Maltas Militär Kontakt zu dem Kapitän auf. Dieser habe erklärt, keine Kontrolle mehr über sein Schiff zu haben.

Er und die Mannschaft seien von den Migranten gezwungen worden, Kurs auf Malta zu nehmen, gab das Militär später an. Ein maltesisches Patrouillen-Schiff stoppte die El Hiblu. Eine Spezialeinheit der Marine stürmte das Schiff, unterstützt von zwei Schnellbooten und einem Hubschrauber.

Nach der Stürmung steuerte der Kapitän die El Hiblu in den Hafen von Valletta. Die Polizei nahm dort drei der Schiffbrüchigen fest: Einen 15- und einen 16-jähriger aus der Elfenbeinküste sowie einen 19-jährigen aus Guinea. Die übrigen Flüchtlinge und Migranten kamen in ein Aufnahmelager auf Malta. Italiens Innenminister Matteo Salvini sprach von einem „Piratenakt“.

Auf Kaution frei

Am 30. März 2019 wurden die drei laut Amnesty International wegen insgesamt 9 Straftatbeständen, darunter drei „terroristischen Aktivitäten“ angeklagt, unter anderem der „gewaltsamen Übernahme eines Handelsschiffs und Einschüchterung“. Das Mindeststrafmaß hierfür liegt bei sieben, die Höchststrafe bei 30 Jahren, in schweren Fällen lebenslang.

Die drei plädierten bei einer Vorverhandlung auf „nicht schuldig“ und kamen in Untersuchungshaft. „Die drei gelten offenbar als die Rädelsführer, weil sie während der Protestaktion übersetzt und zwischen Crew und Schiffbrüchigen vermittelt hatten“, heißt es in dem Solidaritätsaufruf vom Freitag.

Am 21. November kamen die drei auf freien Fuß. Der Stiftungsfonds zivile Seenotrettung zahlte ihre Kaution. Die Freigelassenen müssten sich jetzt täglich auf der Polizeiwache melden und mindestens 50 Meter Abstand zu Hafen, Ufer und Flughafen von Malta halten.

Das UN-Büro für Menschenrechte in Malta forderte die Justiz auf, die Hauptanklagepunkte fallen zu lassen. Der Sprecher des Verbandes Deutscher Reeder, Christian Denso, sagte, er halte den Vorwurf der Piraterie für verfehlt. Denn hier hätten Menschen ja nicht den Vorsatz gehabt, Schiffe zu überfallen und auszurauben.

Auch Amnesty International erklärte, es betrachte die Vorwürfe als „unangemessen“ und forderte die Staatsanwaltschaft auf, sie zu überdenken. „Der Versuch zu verhindern, nach Libyen zurück geschickt zu werden, muss als Notwehr und lebensrettender Akt gewertet werden“, sagt Jelka Kretzschmar von der NGO Sea Watch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Auf keinen Fall nach Libyen zurück, auf keinen Fall länger in den Hungerlagern in Libyen!



    Die EU und die UN haben dort Sklaverei festgestellt und nun weigern sie sich die Flüchtenden aufzunehmen.



    Hauptsache auf taz.de nicht auch noch Kommentare, die eine Abschiebung in die weitere Folter fordern.



    Widerstand gab es auch in Ellwangen - gegen die Abschiebung.



    Ja Notwehr.

    • @nzuli sana:

      Danke. Bis auf wenig Ausnahmen wimmelt es hier mal wieder von Trollen. "Selber schuld, wenn sie sich in Seenot begeben", etc.

  • In Artikeln außerhalb der Taz bekommt man mehr Details und damit auch einen besseren Eindruck, was möglicherweise so passiert sein könnte.

  • Mal was anderes. Manchmal erinnert mich die Berichterstattung hier doch sehr an die "Bild"-Zeitung. Ein Verweis auf drohende lebenslange Haft im Untertitel erzeugt sicherlich Interesse und Empörung auf Seiten des Lesers, erscheint aber beim Weiterlesen arg aufgebauscht. Immerhin sind die Angeklagten auf freien Fuß und die Mindeststrafe ist deutlich niedriger. Diese Art die Aufmerksamkeit des Lesers zu generieren ist schlichtweg schlechter Journalismus.

  • 9G
    95309 (Profil gelöscht)
  • 9G
    95309 (Profil gelöscht)

    Der Ethiopian-Airlines-Flug 702 war ein Flug der Ethiopian Airlines mit einer Boeing 767-300 mit dem Kennzeichen ET-AMF, die am 17. Februar 2014 mit der Androhung von Gewalt auf dem Flug von Addis Abeba nach Rom von Copilot Hailemedhin Abera Tegegn entführt wurde. Das Flugzeug flog daraufhin am Ziel Rom vorbei weiter nach Genf. Sein Ziel war es, in der Schweiz politisches Asyl zu beantragen. Der Copilot ließ sich nach der Landung ohne Widerstand festnehmen, nachdem er aus dem Cockpitfenster geklettert war. Das Flugzeug war nach dem Abweichen vom Flugplan von zwei Eurofightern der Aeronautica Militare begleitet worden.

    • @95309 (Profil gelöscht):

      Das ist ein naheliegender Vergleich. Ähnlich dem LOT-Flug der in den 70-ern in den Westen entführt wurde. Die "Flugzeug-Entführer" haben nach der Landung Asyl beantragt. Meines Wissens wurden sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Weit unterhalb lebenslänglich. Wenn die maltesische Justiz unabhängig ist, wird sie das auch aus dieser Perspektive anschauen.



      Für die jungen Leute hat es sich so oder so nicht gelohnt. Sie müssen damit rechnen, nach der Haftstrafe in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden.

  • Nach deutschen Recht wäre das jedenfalls nach § 316c



    Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. Dieser Regelt für "Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr



    (1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer Gewalt anwendet oder die Entschlußfreiheit einer Person angreift ..., um dadurch die Herrschaft über ... ein im zivilen Seeverkehr eingesetztes Schiff



    zu erlangen oder auf dessen Führung einzuwirken".

  • Gut 100 Migranten bringen sich in Seenot.



    Ein Tanker rettet sie.



    Drei gerettete Teenager zwingen die Besatzung mit Gewaltandrohung statt den näher gelegenen Ausgangshafen Malta anzulaufen.



    Dafür werden sie in Malta angeklagt.



    Amnesty international, der Seenot-Fond, und die UN unterstützen sie.

  • Wenn ich einen Busfahrer auf einer vorgegebenen Route unter Gewltandrohung dazu bringe, mich direkt vor die Haustuer zu bringen, werde ich dann erst durch die Verurteilung "kriminalisiert"?

    Das Schiff war jedenfalls auf dem Weg nach Tripolis.

    • @meerwind7:

      Welche Not würde dich denn dazu bringen ihn dazu zu nötigen? Die AfD-Narrative haben Löcher, vielleicht überdenkst du sie einmal. Du bist doch so für "Leben retten".

      • @Hampelstielz:

        Für die Erkenntnis, dass die "Kriminalisiuerung" nicht durch eine Verurteilung erfolgt, braucht man kein AfD-Narrativ.

        • @rero:

          Diese Art des Beispiels war voll und ganz AfD-Stil. Busfahrt nach Hause mit Flucht zu vergleichen, dazu noch etwas Bequemlichkeit ("direkt vor die Haustür") eingerührt und schon wird die Suppe braun.

  • Das ist mir von allen Seiten alles zu einfach eingeordnet.

  • Kidnapping als Notwehr gegen Abschiebung?



    Was kommt als nächstes? Körperverletzungen oder gar schlimmer - alles durch den eigenen Fluchtstatus gerechtfertigt?



    Die Flüchtlingshilfe diskreditiert sich mit solchen Auslegungen selbst.

  • Der Tanker fuhr nach Libyen und rettete die drei vor dem Ertrinken.

    Und als Dank bedrohen sie die Besatzung, damit sie dahin kommen, wo sie hinwollen?

    Das Framing überzeugt mich nicht.

    Und die Bedrohung wird mit Sicherheit nicht nur mit Schimpfwörtern gewesen sein, auch wenn der Artikel dazu lieber nichts sagen möchte.