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Maßnahmen gegen CoronavirusZügige Forschung gefordert

Die Bundesregierung plant keine wissenschaftliche Evaluation der Anti-Corona-Maßnahmen. Dafür wird sie nun heftig von der Opposition kritisiert.

Drive-In-teststation in Lüdenscheid Foto: Markus Klümper/dpa

Berlin taz | Schulschließungen, Ausgangsbeschränkungen, Kontakt- oder Arbeitsverbote: Die drastischen Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung im Kampf gegen die Corona-Pandemie die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger derzeit einschränkt, bedürfen einer begleitenden wissenschaftlichen Evaluierung. Darüber simd sich Gesundheitspolitikerinnen und -politiker aller im Bundestag vertretenen Oppositionsfraktionen einig.

Sowohl die erwünschten als auch die unerwünschten Effekte müssten erforscht, bewertet und ins Verhältnis zueinander gesetzt werden, um die Sinnhaftigkeit und Fortführung der Maßnahmen abschätzen zu können, erklärten übereinstimmend die Fachpolitikerinnen und -politiker Detlev Spangenberg (AfD), Christine Aschenberg-Dugnus (FDP), Achim Kessler (Linke) sowie Kordula Schulz-Asche und Kirsten Kappert-Gonther (beide Grüne) auf Anfrage der taz.

Sie reagierten damit auf Aussagen des Bundesgesundheitsministeriums und des Bundesforschungsministeriums, keine eigene Begleitforschung zu den so genannten nicht-pharmakologischen Interventionen betreiben bzw. beauftragen zu wollen.

„Natürlich ist es fragwürdig, wenn eine derartige wissenschaftliche Evaluierung nicht durchgeführt wird“, sagte der AfD-Abgeordnete Detlev Spangenberg. Es sei „momentan nicht bekannt, welche Auswirkungen die Maßnahmen für Wirtschaft, Bildung und Psyche haben“.

Auch die FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus forderte eine Evaluierung. Alles andere, so die Abgeordnete, sei „äußerst bedenklich“. Allerdings werde für eine derartige wissenschaftliche Bewertung ein „quantifizierbarer Zeitraum“ benötigt, weswegen „eine solche Untersuchung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen“ könne. Wichtig sei aus Sicht der FDP, herauszufinden, ob die derzeit etwas abflachende Kurve der Corona-Infizierten „auf die Disziplin jedes Einzelnen oder auf die befristeten Einschränkungen von Bürgerrechten zurückzuführen“ sei.

Linker will unabhängige Bewertung

Deutschland, so der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Achim Kessler, sei auf die Epidemie und vor allem auf ihr Ausmaß nicht gut vorbereitet gewesen. „Schon damit dies nicht noch einmal passiert, müssen alle Maßnahmen gründlich und unabhängig dokumentiert und bewertet werden.“ Es sei „sowohl epidemiologisch als auch verfassungsrechtlich von großer Bedeutung, ob die tiefen Grundrechtseinschränkungen tatsächlich zu einem Erfolg bei der Bekämpfung der Pandemie“ führten.

Das am Mittwoch vom Bundestag beschlossene Gesetz zum Bevölkerungsschutz sehe zwar vor, dass die Regierung bis März 2021 einen Bericht vorlegen solle. „Aber“, schimpfte Kessler, „es ist nicht vorgesehen, dass auf Grundlage unabhängiger wissenschaftlicher Einschätzungen berichtet werden soll“.

Seine Fraktion fordere daher die Einsetzung eines unabhängigen Sachverständigengremiums. Dieses müsse auch eine verfassungsrechtliche Einschätzung vornehmen und die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen beurteilen.

Grüne fordert Stichproben

Auch die Gesundheitsexpertin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, hält die gesetzlich beschlossene Evaluation für „unzureichend“. „Wir fordern eine gründliche Untersuchung auch der nun eingesetzten Maßnahmen“, erklärte sie gegenüber der taz. Die Regierung müsse ein Interesse daran haben zu erfahren, „was sich bewährt hat und was nicht“.

Um beurteilen zu können, wie weit sich das Virus bereits in der Bevölkerung ausgebreitet habe, wer infiziert und wer möglicherweise immun sei, seien daneben Bevölkerungsstichproben nötig. Wenn die vorhandenen Tests hierfür noch nicht schnell und genau genug seien, dann müsse sich dies „zügig“ ändern, forderte Schulz-Asche.

Tatsächlich finden so genannte Corona-Screenings, auf die unter anderem der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach seit mehr als einem Monat drängt und die auch Mitglieder des Berufsverbands der Ärzte für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie empfehlen, in Deutschland immer noch nicht statt. Gemeint ist eine Testung von verschiedenen Kohorten bisher nicht auf das Virus getesteter Personen, die herausfinden könnte, wie weit das Virus bereits in der Bevölkerung verbreitet ist.

„Man wüsste dann, ob social distancing überhaupt den gewünschten Effekt erzielen kann“, sagt der Bioethiker Strech. Und man könnte Antworten auf die Fragen geben, die sich auch in China stellen: Gibt es dort kaum noch neue Diagnosen wegen der effektiven nicht-pharmakologischen Interventionen? Oder vielleicht, weil bereits die Mehrheit der Bevölkerung infiziert ist, aber keine Symptome zeigt?

Virologe Drosten widerspricht

Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, der auch die Regierung berät, widersprach am Donnerstag dem Eindruck der Untätigkeit. Die Planungen, solche Kohorten aufzubauen, liefen „fieberhaft“ und in ganz Deutschland, versicherte Drosten, es gebe ein hohes Interesse daran, sie durchzuführen; allerdings brauche ihre Organisation „ein paar Wochen Vorlauf“. Andernfalls generiere man „nur anekdotische Daten“, warnte Drosten.

Auch warte man auf so genannte Antikörpertests, die aufgrund ihrer höheren Sensitivität für Kohortenstudien besser geeignet seien als die zurzeit vor allem verfügbaren Rachenabstrichtests. Aber dann werde es ganz sicher losgehen. „In der Zeit nach Ostern“, versprach Drosten, dürfe mit vielen Daten gerechnet werden, auch zur Verbreitung des Virus unter Krankenhausbeschäftigten sollten dann Forschungsergebnisse vorgelegt werden, federführend sei hier das Institut für Virologie der Universität Köln.

Verständnis dafür, dass nicht alle wünschenswerten Daten unmittelbar zur Verfügung stehen könnten, äußerte die grüne Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, mahnte aber zugleich: „Gesundheit ist keine Privatsache. Wir benötigen dringend mehr Wissen darüber, wie sich diese Maßnahmen auf den Verlauf der Pandemie, aber auch auf uns als Gesellschaft auswirken.“

Ähnlich argumentierten Abgeordnete der Großen Koalition. Die SPD-Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis sagte der taz, „es wäre eine vertane Chance, wenn wir uns bei den Erkenntnissen aus der Krise ausschließlich auf einen Bericht des Robert-Koch-Instituts beschränken würden“. Neben virologischen Einschätzungen sei Forschung zu psychosozialen Folgen wünschenswert. Es komme darauf an, „schnell, qualitätsgesichert und schlagkräftig zu handeln“, forderte der forschungspolitische Sprecher der Union, Albert Ruppert. „Forschungspolitisch müssen wir alles daransetzen, die Prozesse zur Bewältigung der Pandemie so optimal wie möglich zu steuern.“

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16 Kommentare

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  • Das ist wohl nur das Klingelspiel, zu dem was dann kommt:

    Hochfahren, hochfahren, hochfahren!

  • Ich glaube es nicht. Die "drastischen Maßnahmen" laufen gerade mal 5 Tage und nicht seit 5 Monaten schon. Ich finde diese Aufregung über die vermeintlichen "Freiheitsbeschränkungen" nicht nur überzogen, sondern verantwortungslos. Und was die Wirkung der Maßnahmen angeht: Es wurde mehrfach gesagt und geschrieben, dass man das frühestens 2 Wochen nach Beginn der Maßnahmen sagen kann. Also: schon ruhig bleiben, keine Panik machen und die 2 Wochen abwarten.

    • @Jossi Blum:

      Ich sehe das ähnlich wie Sie. Aber mittlerweile denke ich, dass die Verantwortlichen sehr wohl auch evaluierende Maßnahmen umsetzen sollten, um eine Feinabstimmung der Grundrechtseinschränkung vornehmen zu können. Ich wundere mich, dass das nicht zur Debatte steht. Deshalb finde ich die Kritik der Opposition mehr als angebracht. Sobald Technische Maßnahmen zur Verfügung stehen, in Form von Tests, könnte man zB auch Regionen, die nicht stark belastet sind, wieder auflockern. Meine Mum dreht zu Hause bereits nach fünf Tagen durch und in ihrer Stadt gibt es aktuell nur 17 Infizierte Personen, die alle unter Quarantäne stehen. So könnte sie auch mal länger als 10 Minuten auf einer Parkbank alleine platz nehmen..

      • @Maiskolben:

        Sorry, aber unterschiedliche Maßnahmen je nach Bundesland, Ortschaft oder Stadtbezirk verwirren nur. Eine Evaluierung kann doch frühestens in 2 Wochen erfolgen. In Berlin steigt angeblich die Kurve der Neuinfektionen nicht mehr ganz so steil an . Es ist klar, dass man die Maßnahmen nicht über Monate aufrechterhalten wird können. Tatsächlich müssten nun massenweise Schnelltests durchgeführt werden, die die Firma Bosch entwickelt haben und ab April zur Verfügung stehen soll. Die Menschen nur auf Verdacht in Quarantäne zu stecken, weil sie Symptome haben ohne sie zu testen, ist irrsinnig. Es soll ja viele Infizierte geben, die keine bis nur sehr milde Symptome entwickeln, aber herumlaufen und u.U. andere anstecken.

        • @Jossi Blum:

          Ich habe den Eindruck sie sollten den Text noch einmal aufmerksam lesen. Es ist keine Kritik an den Maßnahmen und auch nicht daran das keine Daten zur Verfügung stehen sondern daran das von staatlicher Seite schlicht keine begleitende Forschung geplant ist um die Wirksamkeit solcher Maßnahmen für den weiteren Verlauf und ähnliche Ereignisse in der Zukunft zu bewerten.

          Natürlich kann jeder Forschung in Auftrag geben, aber in einer solchen Situation ist es die Verantwortung des Staates Daten zu erheben die später eventuell nicht mehr erhoben werden können und dafür sorge zu tragen das wissenschaftlich auf gut deutsch gesagt richtig auf die kacke gehauen wird. Kommt direkt an zweiter Stelle nach dem Schutz der Bevölkerung bzw. sogar an erster Stelle da es eine aktive Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung, heute und in Zukunft, darstellt.

          Der Umgang damit ist nichts anderes als ein Skandal, der allerdings völlig untergehen wlund wenig zur Kenntnis genommen werden wird. Auf solch fatale Fehlentscheidungen die in Zukunft viele Menschenleben kosten könnten sollten reihenweise Rücktritte erfolgen.

  • Uns fehlen die Kommentare von ROBEArt HABECK UND ANNALENA BAERBAUM als Orientierung. Wer weiss Bescheid darüber???

  • Typisches Fingerzeigen.

    Wissenschaftliche Evaluation wird nicht von Politikern, sondern von Wissenschaftlern gemacht. Es hindert niemand die Oppositionsparteien, qualifizierte Forschungseinrichtungen zu beauftragen.

  • Soso - und die Fraktion der Sozialdemokraten ?



    Schweigt?

  • Ich finde es einleuchtend das eine Beurteilung der Maßnahmen nicht sofort erfolgen kann !! wir in Deutschland stehen ja noch vergleichsweise gut da.

    Was ich nicht verstehe ist warum niemand an Hochfrequenzstrahlung als ungünstigen Faktor für ein funktionierendes Immunssystem denkt!! Es könnte auch eine Maßnahme sein Mobilfunk- und W Lan Strahlung zu reduzieren. Dann würden es vielleicht mehr Leute auch ohne Intensivstation schaffen. Anstelledessen gibt es Homeoffice (meist mit W- Lan) , digitales Lernen etc, Ausbau des G5 Netzes überall



    Es geht um einen rationalen Diskurs zu diesem Thema



    www.diagnose-funk....detail&newsid=1541

    • @Maika L:

      Richtig. Ich verstehe zum Beispiel auch nicht, warum niemand an Kartoffelchips als ungünstigen Faktor denkt.

      Wer übermäßig Kartoffelchips konsumiert, überhört wegen der lauten Kaugeräusche oftmals einen sich anschleichenden Virus und kann aufgrund meist adipöser Körpereigenschaften nicht mehr schnell genug weglaufen um einem Angriff zu entgehen.

      Würde man den Konsum durch staatliche Kontrolle reduzieren, könnte man das verhindern. Stattdessen verhängt man Ausgangssperren und zwingt somit treibt somit große Teile der Bevölkerung in die Kartoffelchipsabhängigkeit.

      Einfach unverständlich, dass momentan scheinbar niemand an diesem Diskurs interessiert ist.

  • „momentan nicht bekannt, welche Auswirkungen die Maßnahmen für Wirtschaft, Bildung und Psyche haben“.



    Das wird man in drei Monaten, oder so, sehen.

    Die Situation bietet sich nicht für eine qualitative wissenschaftliche Evaluation an. Es fehlen die Ausgangshypothesen, die Vergleichsgruppen und präzise Daten (zB Verhalten des Einzelnen). Aber egal, hinterher wird es eh heisssen, das wäre besser gewesen, das hätte man anders machen müssen. Man kann Rückschlüsse ziehen, zB im Vergleich mit Taiwan oder was in Ischgl falschgelaufen ist, aber wissenschaftlich sollte man es nicht nennen. Das weckte falsche Hoffnungen und belastet die Wissenschaft, weil es immer angreifbar ist.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Die notwendigen Daten gehen ja nicht verloren aber irgendwie haben wir gerade andere Sorgen.

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Es existieren Daten zur Dunkelziffer der Infizierten? Ich glaube eher nicht, oder?

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @Maiskolben:

        Nein, weil das ist eine Dunkelziffer, findet man die Dunkelziffer heraus ist sie keine Dunkelziffer mehr. Aber die Testkapazitäten werden ja ausgebaut

        • @83379 (Profil gelöscht):

          Für mich gehört die Evaluierung der Fallzahlen in der breiten Öffentlichkeit zur Vollständigkeit der getroffenen Maßnahmen, um eben die Dunkelziffer zu kennen. Komisch, wenn das nicht mit "eingeplant" wurde. Ich hoffe also auch auf einen Ausbau der Testkapazitäten.

  • Karlitschek und Spahn. Bankkaufleute unter sich.