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Rücksichtslose KampfjoggerLasst mich durch, ich bin schnell!

Ulrich Gutmair
Kommentar von Ulrich Gutmair

Die im Laufen dargestellte Fitness ist ein Statement. Der Kampfjogger ist der SUV unter den Fußgängern.

Jogger in freier Wildbahn. Einfache Fußgänger (rechts im Bild) werden da an den Rand gedrängt Foto: Julian Stratenschulte / dpa

D ie Frau ist vollkommen außer Puste. Sie trägt die bunte Funktionskleidung der Läuferinnen. Breitbeinig steht sie da, wobei der Ausdruck „stehen“ in die Irre führen könnte, denn ihre Hände hat sie auf ihre Knie gestemmt. Ihr Atem geht stoßweise. Offensichtlich ist sie die Treppen hochgerannt, die aufs Dach des Hochbunkers im Berliner Volkspark Humboldt­hain führen, wo einst 16-Jährige im Himmel über der Stadt nach alliierten Bomberflugzeugen Ausschau hielten, um sie abzuschießen.

Die Frau hat es bis ans Ende der Treppe geschafft. Sie steht nicht mitten im Weg, aber den einen Schritt zur Seite, der für alle anderen freie Bahn mit 1,50 Meter Sicherheitsabstand bedeuten würde, den hat sie nicht mehr gemacht.

Für Passanten, die nach unten wollen, gibt es nun vier Möglichkeiten: 1. Nase zu und durch. 2. Abwarten und Mitleid spüren (nein, keine Empathie, das ist nicht nur nicht dasselbe, sondern was ganz anderes, das führt hier jetzt aber zu weit). 3. Einen anderen Weg nehmen. 4. Locker bleiben und auf jene Infektiologen vertrauen, die den nicht unbegründeten Verdacht äußern, dass unsere Gesellschaft ohnehin längst in einem viel höheren Maß als angenommen durchinfiziert ist.

Immerhin ist es möglich, sich angesichts der schwer atmenden, aber an Ort und Stelle verharrenden Läuferin zu entscheiden, was man nun lieber tun möchte. Anders verhält es sich mit Kampfjoggern, die, haben sie sich erst einmal in Bewegung gesetzt, in den Parks und auf den Gehwegen den idealen Vektor ihres Laufs unbeirrt verfolgen. Sie schauen beim Laufen nicht nach links und nicht nach rechts. Wie raketengetriebene Wunderwaffen ziehen sie ihre Bahn durch die Welt. Wenn sie eng an Spaziergängern vorbeirauschen, spüren diese den Windhauch einer überlegenen Lebensform. Ausweichen ist fast unmöglich. Wir müssen diese Läufer erdulden wie eine Strafe Gottes. Sie sind die SUVs unter den Fußgängern.

Optimiere dich selbst, lautet der biopolitische Imperativ

Anthropologisch gesehen ist der Mensch ein Läufer. Ganze Theorien der Menschwerdung befassen sich mit unserer Fähigkeit, viel zu schwitzen. Unser Vorfahr Homo erectus, so lautet die These von Daniel E. Lieberman, hetzte sein Abendessen in den Hitzetod. Der Passant ist zwar kein Beutetier des Kampfjoggers, aber er fühlt sich so.

Vor über 40 Jahren, als die postmoderne Laufbewegung begann, hatte das Laufen noch einen anarchistischen Touch. Es erscheint wenig erstaunlich, dass das Joggen in den neoliberalen 1980ern seinen Aufschwung nahm, auch in den durchgetanzten 1990ern nicht außer Mode geriet und als „Laufen“ nun so populär wie nie ist. Heute hat Laufen aber den Charakter einer Pflichtübung. Bleib gesund, halt dich fit, optimiere dich selbst, lautet der biopolitische Imperativ, der uns allerorten entgegenschallt. Oder, wie es der Weltrekord-Marathonläufer Eliud Kipchoge formuliert hat: „Nur die Disziplinierten sind im Leben frei. Undiszi­plinierte sind Sklaven von Stimmungen und Leidenschaft.“

An dieser Stelle ist es aus Gründen der Differenziertheit angezeigt, den Kampfjogger von anderen Läufertypen zu unterscheiden. Dazu zählen die mal leicht übergewichtigen, mal nur nicht besonders athletischen Jogger, die eher langsam unterwegs sind. Oft machen sie kleine Schritte. Man sieht ihnen an, dass sie das Laufen nicht betreiben, um über sich hinauszuwachsen. Weder sammeln sie Daten über Körper und Route, noch besitzen sie irgendeinen Ehrgeiz, die eigenen Rekorde oder gar die anderer zu brechen.

Sie haben vielleicht das Gefühl, sie bewegten sich zu wenig. Vielleicht möchten sie auch drei Kilo abnehmen. Diese Läufer sind sympathische Gesellen, weil sie auf bescheidene Weise die menschliche Unvollkommenheit repräsentieren.

Ebenfalls nicht gemeint sind die in sich gekehrten, mönchischen Asketen. Sie laufen auf elegante, weil effiziente Weise weder zu schnell noch zu langsam, da sie gewohnt sind, größere Strecken zurückzulegen. Sie haushalten mit ihren Kräften und vermitteln den Eindruck, dass sie mit sich im Reinen sind. Diesen Menschen bei ihren religiösen Übungen zuzusehen, kann beim Betrachten eine innere Ruhe hervorrufen.

Der Kampfläufer performt seine Haltung zum Leben

Es gibt unter den Leistungsläufern, die nur aus Knochen, Sehnen und Muskeln bestehen, eine gewisse Herablassung den locker trabenden, ein bisschen zu dicken Amateurjoggern gegenüber. Das führt uns auf die Spur, was den Kampfjogger ausmacht, den man also womöglich besser als Kampfläufer bezeichnen sollte. Wie der Asket läuft der Kampfläufer nicht einfach, er performt seine Haltung zum Leben. Vor allem aber hat der Kampfläufer einen Plan und ein Ziel. Er betreibt etwas, das mit dem schönen alten deutschen Wort Ertüchtigung präzis beschrieben ist.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Der SUV unter den Fußgängern hat anders als der Asket seinen Blick nicht nach innen gerichtet, weil er beim Laufen zu sich selbst kommt, sondern weil ihn die Verbesserung seiner Performance interessiert. Zugleich will der Kampfjogger aber auch in seinem optimierten Dasein wahrgenommen werden. Während der Asket beim Laufen oft unbemerkt bleibt, weil er nicht nur eins mit sich, sondern auch mit der Welt ist und also in ihr verschwindet wie ein Vogel, eine Maus oder eine Biene, projiziert der Kampfläufer mit jedem strammen, federnden Schritt seine optimierte Existenz hell strahlend in die Welt hinaus. Der Kampfläufer lässt sich nicht übersehen.

Seine im Laufen dargestellte Fitness ist Selbstversicherung und Statement: Seht her, ich bin stählern. Ich bin gerüstet. Ich ertüchtige mich, weil ich tüchtig bin. Ich bin autonom und falle dem Gesundheitssystem nicht zur Last. Mein Körper ist Gegenstand meiner rationalen Lebensführung, so wie alles, was ich anfasse. Ich mache das, wozu ihr faulen Säcke euch nicht aufraffen könnt, weswegen es nur folgerichtig ist, dass ihr Hartz IV bezieht und ich mir demnächst eine Eigentumswohnung kaufen werde.

Der Kampfläufer zweifelt nicht. Er weiß, was er tut. Was er einmal angefangen hat, führt er konsequent zu Ende. Davon hält ihn auch kein Virus ab.

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Ulrich Gutmair
Kulturredakteur
Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert. Aktuelles Buch: "'Wir sind die Türken von morgen'. Neue Welle, neues Deutschland". (Tropen/Klett-Cotta 2023).
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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es scheint tatsächlich so zu sein, als könne das menschliche Gehirn nicht gleichzeitig joggen und 1,5 Meter Abstand halten. Kurven zu laufen, scheint dem Jogger an sich sowieso völlig unmöglich. Keuch, keuch, schnauf, schnauf.

  • Selten von so einem blöden Vergleich gelesen! Das neue Feindbild: Menschen, die etwas für ihre Gesundheit tun.

  • Ohje, die taz und ihre Verständnisprobleme mit dem motorisierten Individualverkehr und hier ganz besonders mit den SUV's...

    Bekanntermaßen verführen SUV's aufgrund Ihrer Größe und Höhe sogar eher zu einer gelasseneren Fahrweise.

    • @freibadbea:

      "Bekanntermaßen verführen SUV's aufgrund Ihrer Größe und Höhe sogar eher zu einer gelasseneren Fahrweise." (Freibadbea)



      Was jemand unter einer "gelasseneren Fahrweise" versteht, der in seinem Logo eine Kriegerin mit Kalaschnikow führt, das möchte ich lieber erst gar nicht näher erfahren.

  • Wer schneller ist hat Vorfahrt, fragen sie doch mal einen Radfahrer. Der Rest der Welt hat gefälligst zur Seite zu treten wenn er nicht will, daß er zur Seite gerempelt werden muß.

  • Soll das der dumme Vergleich zum Sonntag sein?



    Dicke Menschen sind dann LKWs?



    Ü80 = Oldtimer?



    Drucker die mit dem Bleifuß?



    Taz-Moderatoren Polizeiautos :-) ?



    Chefredakteure = Mercedes SKlasse



    mit Ossibackground = Trabant



    und Kulturredakteure nur schnöde VW-Golfs ?

    • @Rudolf Fissner:

      "... und Kulturredakteure nur schnöde VW-Golfs?"

      Nein! Kulturredakteure sind definitiv ein Citroen SM. Avantgardistisch, ausschließlich ästhetischen Werten verpflichtet und extrem verspielt, wo es zur Zweckerreichung auch einfacher ginge. Und doch - oder gerade deshalb - können sie keine Klientel zufriedenstellen, fahren sich schwerfällig, aufgrund der vielen Details sind sie mit Fehlern und Mängeln gespickt und lassen sich noch nicht einmal leicht reparieren. Eine klassische, wenn auch schöne Fehlkonstruktion.

      P.s.: Wenn sich hier ein Kulturredakteur mit Sport befasst, so scheint es, als würde sich ein SM auf einen Bundeswehrübungsplatz wagen. Schon nach sechs Metern steckt er unrettbar fest und kommt ohne fremde Hilfe keinen Zentimeter mehr weiter. "Schuster, bleib bei deinen Leisten" mag zwar ein hilfreicher Tipp sein, so etwas versteht ein in ästhetischen Sphären gefangener SM jedoch nicht.

    • @Rudolf Fissner:

      Ich finde den Vergleich passend. Fährt hier jemand selbst SUV und fühlt sich ertappt?

      • @Cochino:

        "Fährt hier jemand selbst SUV und fühlt sich ertappt?"

        Keine Ahnung. Warum wollen Sie hier alle gleich durchleutet haben?

    • @Rudolf Fissner:

      Ich verstehe Ihre Vorbehalte, auch wenn ich Ihre Vergleichsliste herrlich pointiert finde. Konkret zu dem SUV-Vergleich: Natürlich sind nicht alle SUV-Chauffeure rücksichtslose Idioten. Auch nicht alle – positiv formuliert – Leistungsjogger. Aber viele SUVler fahren nach dem Motto "ich bin größer, schneller und stärker, also hau ab auf die rechte Spur". Es hat einen Grund, warum sich jemand ein Auto kauft, das weniger Innenraum bietet als ein Kombi, aber das viel mehr kostet und breiter, höher und viel stärker motorisiert ist, als nötig. Aber es geht ja um Jogger. Und die sind gerade jetzt nach meiner persönlichen Erfahrung oft rücksichtsloser unterwegs als normale Spaziergänger. Gern zu zweit nebeneinander (auch in der Stockentenvariante) brauchen sie 2/3 des Weges. Den Abstand zu den schwer schnaubenden Kampfmaschinen können Frau und ich auch im Gänsemarsch nicht halten. Aber die schauen stur geradeaus. An die Regeln halten oder gar rücksichtsvoll sein ist was für Minderleister. Wir sind die wichtigen Powermenschen und an Corona erkranken sowieso nur die Schwächlinge wie ihr ernsthaft. Also geht aus dem Weg, Ihr Luschen. Von daher finde ich die Story samt SUV-Vergleich äußerst gelungen, auch wenn letzterer bewusst überspitzt. Deswegen steht ja auch „Kommentar“ drüber und nicht „Bericht“. Das ist solide Pressearbeit.

    • @Rudolf Fissner:

      Und Foristen?

      • @Jim Hawkins:

        Rollstuhlfahrer!

        Alte weiße Männer, sozusagen die Mega-SUV Variante unter den sich selbstständig Fortbewegenden

  • Was hat so ein Stammtischgehabe in der Taz zu suchen? Es besteht nur aus Vorurteilen, Verallgemeinerungen und Selbstbeweihräucherung.