Ausländerbehörde in der Kritik: Tod nach der Passkontrolle

In NRW stirbt ein 51-Jähriger in einer Flüchtlingswohnung. Vorausgegangen war eine nächtliche Kontrolle durch die Ausländerbehörde.

Eine irakische Flüchtlingsfamilie in ihrem Wohnzimmer

Auch bei dieser Familie standen die Beamten plötzlich in der Wohnung Foto: N. Conti

LÜBBECKE taz | Im nordrhein-westfälischen Lübbecke hat die Ausländerbehörde in der vergangenen Woche Razzien in insgesamt acht Flüchtlingswohnungen durchgeführt. In einer dieser Wohnungen stirbt kurze Zeit später einer der Kontrollierten an einem Herzinfarkt. Flüchtlingshelfer*innen kritisieren die Aktion, die auch andere Geflüchtete re-traumatisiert habe. Das Amt gibt sich betroffen und will die Kontrollen vorläufig aussetzen. Der Flüchtlingsrat NRW glaubt, dass sie möglicherweise ohnehin rechtswidrig waren.

Sie kamen in den frühen Morgenstunden am Mittwoch, 5. Februar, erzählen drei der betroffenen Familien der taz – mit sechs oder sieben Leuten, Männern und Frauen, in dunkler Kleidung. Zwischen fünf und sieben Uhr, als die meisten noch in ihren Betten liegen und schlafen, stehen sie plötzlich in den Wohnungen. Die erwachsenen Bewohnerinnen hatten nicht einmal genug Zeit, die Kopftücher anzulegen.

Umstritten sind ein paar Details: Die Betroffenen sprechen von Taschenlampen und Haustüren, die einfach aufgeschlossen wurden. Die Beamt*innen sagen, sie hätten vorher geklingelt, ganz normal das Licht eingeschaltet und dann um die Ausweise gebeten. Allerdings hatten sie eine Mitarbeiterin der Stadt dabei, die die Wohnungen mit einem Schlüssel geöffnet hat.

Dazu glaubt die Stadt ein Recht zu haben, weil sie die Wohnungen angemietet hat. In ihnen werden Familien untergebracht, die sich entweder noch im Asylverfahren befinden oder lediglich über eine Duldung verfügen. Diese dezentrale Form der Unterbringung wird vor allem für Familien mit Kindern gewählt, denen man den Daueraufenthalt in einer Sammelunterkunft nicht zumuten möchte.

Verstörte Kinder, verschreckte Eltern

Vor allem die jüngeren Kinder, die zum Teil noch im Kindergartenalter sind, reagieren verstört auf den unvermuteten „Besuch“. Aber auch die Erwachsenen geraten in Panik. „Ich habe geglaubt, die Polizei kommt, um uns abzuschieben“, sagt eine der Frauen. Dabei versichert sie immer wieder, habe man doch nie Probleme gehabt: „Die Kinder sind gut in der Schule. Mein Mann hat Arbeit.“ Bis heute kann sie nicht schlafen, schreckt immer wieder hoch, wenn sie Geräusche oder Stimmen im Treppenhaus oder Flur des Mehrfamilienhauses hört.

Besonders hart trifft es eine iranische Familie, die im Obergeschoss eines etwas abgelegenen Zweifamilienhauses untergebracht ist. Hier wohnt eine Mutter mit ihren zwei Töchtern, die bei der Behörde als psychisch vorbelastet bekannt sind. Eine der jungen Frauen ist nach einem Suizidversuch in psychiatrischer Behandlung.

In jener Nacht hält sich außerdem der 51-jährige Freund der Mutter in der Wohnung auf, ein Iraner mit deutschem Pass. Den findet er allerdings nicht auf Anhieb als ihn die Beamt*innen aus dem Bett werfen. „Was machst Du hier, das ist kein Hotel“, habe man zu ihm gesagt, erzählt Fatemeh Bashiri, die Lebensgefährtin.

Als die Männer und Frauen von der Ausländerbehörde wieder abgezogen sind, klagt ihr Freund über Unwohlsein. Eigentlich wollte er die Mädchen zur Schule bringen, doch das schafft er nicht mehr. Er legt sich wieder hin, kurze Zeit später kollabiert er. Bashiri ruft einen Krankenwagen, doch die Reanimationsversuche der Rettungssanitäter bleiben erfolglos. Die herbeigerufene Hausärztin kann nur noch den Tod bescheinigen.

Die Mitarbeiter*innen der Behörde seien selbst sehr betroffen und fassungslos, erklärt die Pressesprecherin der zuständigen Kreises Minden-Lübbecke, Sabine Ohnesorge. Als sie die Wohnungen verlassen hätten, sei ja noch alles in Ordnung gewesen, man habe sich sogar gegenseitig einen schönen Tag gewünscht, sagt sie. Die Betroffenen und auch die im Erdgeschoss wohnende irakische Familie, die danach kontrolliert wurde, haben den Tonfall allerdings als weniger freundlich in Erinnerung.

Unverletzlichkeit der Wohnung? Gilt hier nicht

Die Behörde wolle nun intern beraten, wie man mit dieser Situation umgehe. Kontrollen dieser Art werde es erst einmal nicht mehr geben, heißt es aus dem Kreishaus. Ziel sei es gewesen, illegale Aufenthalte oder Verstöße gegen die räumlichen Beschränkungen festzustellen. Es sei in der Vergangenheit öfter vorgekommen, dass man auf Menschen stoße, die sich illegal in Deutschland aufhielten oder Verwandte in den Wohnungen übernachteten, die sich eigentlich in einer Aufnahmeeinrichtung anderswo aufhalten müssten.

Flüchtlingshelfer in Lübbecke haben sich nach dem Vorfall umgehend an die Öffentlichkeit gewandt und einen offenen Brief an den Landrat geschrieben. Sie halten das Vorgehen der Behörde für einen Skandal, vor allem angesichts der Tatsache, dass man es hier zum Teil mit traumatisierten Menschen zu tun habe.

Auch der Flüchtlingsrat NRW zweifelt daran, ob das Vorgehen in dieser Form rechtmäßig ist. „Ich würde hier erstens einen Verstoß gegen Artikel 13 des Grundgesetzes vermuten, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert und mich zweitens fragen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Immerhin erfolgte die Kontrolle ja anscheinend ohne konkrete Verdachtsmomente“, sagt Geschäftsführerin Birgit Naujoks.

Die Städte und Gemeinden pochten allerdings gern auf ihr Hausrecht oder ihre eigens beschlossenen Satzungen für die Unterkünfte – und argumentieren, dass es sich hier ja eben nicht um eigene Wohnungen handle. „Wir führen diese Debatten verstärkt im Zusammenhang mit Abschiebungen, vor allem seit der Verabschiedung des neuen Migrationsgesetzes“, sagt Naujoks. Auch hier hätten sich Bund und Länder weitreichende Befugnisse beim Betreten von Unterkünften eingeräumt – die vermutlich einer gerichtlichen Überprüfung nicht immer Stand halten würden. Aber bisher klagt eben auch niemand dagegen.

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