Gesunde Ernährung: Fragwürdige Fleisch-Studie

Fleisch ist doch nicht so ungesund wie bisher angenommen. So lautete das Fazit einer Studie. Ernährungsforscher widersprechen vehement.

Schnitzel und Pommes auf einem Teller

Möglichst wenig Fleisch: Das ist auch gut fürs Klima Foto: Paul Hanna/reuters

MÜNCHEN taz | „Fleisch und Fleischprodukte sind nicht ungesund und falls doch, dann nur in sehr geringem Maße“ – das ist das Fazit einer Studien-Reihe der sogenannten NutriRECS-Forschergruppe, die Anfang Oktober in den Annals of Internal Medicine veröffentlicht wurde. Die Beweislage aus Studien zu Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs und Sterblichkeitsraten wäre also nicht so eindeutig, dass man seinen Konsum an Schnitzel, Würstchen & Co. verringern müsse, wie es etliche Fachgesellschaften weltweit raten. So empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), höchstens 300 bis 600 Gramm rotes Fleisch und Wurst pro Woche zu essen, da sonst das Risiko für Darmkrebs erhöht sei. Der World Cancer Research Fund (WCRF) hält drei Portionen Fleisch von Schwein, Rind, Kalb oder Lamm pro Woche für das gesundheitliche Maximum.

Die Nachricht sorgte nicht nur für reichlich Medienecho, auch die Wissenschaftsgemeinde war aufgebracht. Laut der New York Times sollen einige Wissenschaftler bereits im Vorfeld der Publikation auf die Herausgeber der Annals of Internal Medicine eingewirkt haben, um die Veröffentlichung zu verzögern.

Harvard-Forscher haben parallel zur Veröffentlichung gewarnt, dass diese Ergebnisse die Ernährungswissenschaft unglaubwürdig machen würde sowie generell das Vertrauen in die Wissenschaft schmälern könnte. Und auch das Max-Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe kritisiert, dass die Schlussfolgerung, Erwachsene könnten weiterhin so viel rotes Fleisch und Wurst essen wie bisher, in Anbetracht der Prävalenz ernährungsmitbedingter Erkrankungen kontraproduktiv sei.

Wie kann es sein, dass sich Wissenschaftler dermaßen widersprechen? Das internationale Forscherteam, bei dem auch Wissenschaftler der Cochrane-Vereinigung beteiligt waren, besah sich sogenannte Beobachtungsstudien, aber auch Interventionsstudien genauer: randomisierte Kontrollstudien. Beobachtungsstudien können Hinweise auf eine Ursache-Wirkungs-Beziehung geben, diese aber nie beweisen, da nicht alle indirekt wirkenden Faktoren herausgerechnet werden können.

Interventionsstudien sind dagegen Studien, bei denen die Teilnehmer eine bestimmte Ernährungsweise für eine Zeit lang befolgen müssen. Sie sind schwierig durchzuführen, da sich wenige Menschen vorschreiben lassen wollen, was sie auf ihrem Teller haben, zudem sind sie teuer, wenn sie auf längere Zeit angelegt sind. Das NutriRECS-Forscherteam fand denn auch nur 12 randomisierte Kontrollstudien zu Fleisch und Gesundheit, die zudem ihrer Meinung nach qualitative Mängel aufwiesen.

Das Studiendesign passt nicht

„Das Bewertungssystem, das die Forschergruppe angewendet hat, ist ideal dafür, um die Wirksamkeit von Medikamenten zu testen. Für Lebensstilfaktoren wie Ernährung, Sport oder Rauchen ist es jedoch schwer anzuwenden“, sagt Tilman Kühn, Epidemiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). „Denn wie will man etwa viele Tausende Menschen über einen langen Zeitraum dazu bringen, viel oder wenig Fleisch zu essen?“ So waren die 12 analysierten Interventionsstudien teils auch gar nicht auf Fleischreduktion ausgerichtet. Die miteinbezogene Studie der WHI (Women’s Health Initiative) zielte etwa darauf ab, die Wirkungen fettarmer Ernährung zu erforschen. „Hier wurden nachträglich Daten zum Fleischverzehr extrahiert, das ist methodisch bedenklich“, meint Kühn.

Bei Fleisch ist tatsäch­lich nicht klar, welche Inhaltsstoffe der Gesundheit schaden

Zudem werden Ernährungsempfehlungen nicht nur aus epidemiologischen Studien extrahiert. In-vitro-, Tier- und Humanstudien, die mechanistische Erklärungen liefern können, sind wichtige Puzzleteile, um ein klares Bild zu ergeben. In Sachen Fleisch ist zwar tatsächlich nicht endgültig klar, welche Inhaltsstoffe möglicherweise der Gesundheit schaden. Allerdings gibt es einige Theorien. So zeigen etwa Studien des DKFZ, dass Menschen, die viel Fleisch essen, erhöhte Biomarker bestimmter Röststoffe, wie sie beim Braten und Grillen entstehen, im Blut schwimmen haben. Und diese Menschen hatten ein erhöhtes Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken.

Im Grunde haben die NutriRECS-Forscher nur offengelegt, was in der Ernährungswissenschaft schon lange bekannt ist: Epidemiologische Studien können nie abschließend belegen, dass Fleisch ungesund ist. Wenn man sich das Gesamtbild besieht, spricht aber doch einiges dafür. Gleichsam können die NutriRECS-Forscher auch nicht belegen, dass Fleischverzehr völlig ungefährlich ist. Sie geben sogar zu, dass ein leicht verringertes Risiko für Volksleiden bestehen könnte, wenn der Fleischverzehr – in Deutschland liegt er derzeit bei rund 150 Gramm pro Tag – auf drei Portionen pro Woche gesenkt wird.

Und solche kleinen Risikominderungen sind für Gesundheitswissenschaftler von Bedeutung, schließlich zählen Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Todesursachen. Wenn also auch nur wenige Erkrankungen verhindert werden können, wäre das ein Plus für die öffentliche Gesundheit.

Ungewöhnliche Empfehlungen

Zu kritisieren wären die NutriRECS-Wissenschaftler auch, da sie nicht nur Meta-Analysen vorlegen, sondern auch noch Ernährungsempfehlungen geben. „Das ist sehr ungewöhnlich und eigentlich die Aufgabe von Fachgesellschaften“, meint MRI-Forscher Bernhard Watzl. „Zudem berücksichtigen Ernährungsempfehlungen mehrere Aspekte und beschränken sich nicht ausschließlich auf den Zusammenhang zwischen Ernährung und Erkrankungsrisiko.“

Sie beinhalten etwa zunehmend auch Aspekte der Nachhaltigkeit. Und rotes Fleisch ist nun mal das Lebensmittel mit dem größten ökologischen Fußabdruck. Zudem sprechen auch die teils qualvollen Verhältnisse in der modernen Tierproduktion nicht für einen ausschweifenden Fleischverzehr.

Kritikwürdig ist auch, dass die NutriRecs-Forscher eine Frage stellen, die so in der Ernährungsforschung eigentlich nicht mehr gestellt wird. Denn klar ist, dass einzelne Lebensmittel nicht den großen Unterschied machen, sondern dass Ernährungsmuster zählen. So gilt die mediterrane Ernährung, die Nordic Diet, aber auch die japanische Ernährung als lebensverlängernd und keine dieser Ernährungsweisen verzichtet auf Fleisch.

Ballaststoffe und wenig Zucker

Sicher ist hingegen: Eine Ernährung mit viel Fleisch und Wurst sowie Zucker, Weißmehl und gesättigten Fetten (auch aus Palm- oder Kokosöl) aus Fertiglebensmitteln ist ungesund, weil gesunde Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Vollkorn oder Nüsse dann definitiv zu kurz kommen. Wer viel Fleisch, vor allem unbearbeitetes Fleisch, isst, aber gleichzeitig ballaststoffreich und zuckerarm, der hat ein geringeres Krankheitsrisiko.

Diese Art der Ernährung ist aber sehr selten. In zahlreichen Studien wurde belegt, dass Fleisch-Fans meist auch sonst keine guten Ernährungsgewohnheiten haben. Zudem rauchten sie öfter, tranken häufiger Alkohol, bewegten sich weniger und hatten eher ein paar Pfunde zu viel. Am gesündesten waren auch nicht die Vegetarier, sondern Menschen, die wenig Fleisch essen. Denn diese hatten den günstigsten Lebensstil. Und dies ist relevant: „20 Prozent der Todesfälle sind auf das Rauchen zurückzuführen, während nur rund 6 Prozent auf das Konto ungesunder Ernährung gehen“, so Kühn. Sinnvoll ist ein „Weniger Fleisch“ auch nur dann, wenn die Kalorienlücke nicht mit Pizza, Keksen oder Fleisch-Imitaten aufgefüllt wird.

Und noch etwas lässt die aktuelle Studienreihe in einem zweifelhaften Licht erscheinen: „Das konzertierte Vorgehen der Forscher, mehrere Studien gleichzeitig zu veröffentlichen, wirkt wie ein PR-Coup“, meint Kühn. „Zumal der Studienleiter Bradley Johnston nicht ausreichend offengelegt hat, dass er vor einigen Jahren von der Ernährungsindustrie gefördert wurde.“ Der WCRF oder die DGE sind hingegen unabhängig von kommerziellen Interessen. „Es wird mit großer Sicherheit keine Änderungen bei den Ernährungsempfehlungen geben“, meint denn auch der Krebsforscher Kühn.

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