Kritik an Greta Thunberg: Keine Heilige, aber eine Visionärin

Die Debatte über Thunberg ist infantil. Weder kann noch muss sie allein die Welt retten. Von der Überhöhung ihrer Person profitieren ihre Gegner.

Klimaaktivistin Greta Thunberg winkt von einem Schiff

Warum sollte Greta die Welt alleine retten sollen? Foto: ap

BERLIN taz | Greta Thunberg hat das Lebensgefühl vieler Menschen in einem Satz zusammengefasst: „Ich will, dass ihr in Panik geratet!“ Weil der Klimawandel uns zerstört, und die meisten Menschen fressen weiter, als hätten sie damit nichts zu tun. Wer die apokalyptische Dringlichkeit, das Vorwurfsvolle, die Aufforderung zum revolutionären Handeln teilt und sieht, wie eine junge Frau mit klaren Worten die verderbte Welt vor sich hertreibt, die uralten Erzählungen von Schuld und Sünde triggert und für eine gute Sache nutzt, der liebt sie. Wem diese Ökos schon immer auf Nerven gingen, der hasst sie.

So werden Ikonen geboren: Die öffentliche Thunberg ist eine Projektionsfläche, ein Medienphänomen, sie radikalisiert, sie entlarvt viele vermeintliche Klimaschützer als Maulhelden. Einfach weil sie es kann: Sie muss nichts umsetzen, keine Kompromisse schließen, keine Wahlen gewinnen. Genau darin liegt ihre größte Stärke und ihre größte Verletzlichkeit.

Klimaschutz ist ein moralischer Imperativ geworden, ein Dauerappell und die Beilage zu jedem verdammten Schnitzel. Niemandem ist der Döner aus dem Mund gerissen worden, keine Mallorcareise ist einen Cent teurer, aber ein Teil der Öffentlichkeit fühlt sich eben in seiner inneren Ruhe behelligt.

Die vorgetragenen Argumente werden denn teilweise grotesk. „Das Gefühl, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen, fördert die Intoleranz und – im schlimmsten Fall – die Aggressivität“, schreibt der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler mit Hinweis auf Fleischsteuerdebatten auf Zeit Online. Zwar sind durch vernünftige Argumente begründete, moralische Standpunkte die Grundlage jedweden Diskurses – doch das kann man schon mal vergessen, wenn es um die Wurst geht.

Ein Meisterstück der Dema­gogie lieferte der Journalist Christopher Caldwell in der New York Times ab, der behauptet, Greta Thunberg sei im Konflikt mit der Demokratie selbst, weil ihre Argumente keine Alternativen zuließen. Klimawandel sei zwar eine Gefahr, „aber zu sagen, ‚Wir können nicht warten‘, heißt, sich ein ebenso gravierendes Problem einzuhandeln“, schreibt er. Weil eben viele Menschen andere Prioritäten als das Klima hätten.

Klimaschutz ist nun ein Dauerappell und die Beilage zu jedem verdammten Schnitzel

Caldwell nennt also ein Argument Thunbergs, das der Dringlichkeit, als schlicht nicht zulässig. Ein Muster, das sich in Deutschland wiederfindet: Da ist die Freiheit selbst in Gefahr, allein wenn diskutiert wird, Konsum zu verteuern. Natürlich kann sich eine Gesellschaft nach Austausch der Standpunkte auf weniger Billigwurst und weniger Billigflüge einigen.

Das Problem ist, dass den meisten Gegnern dieser Maßnahmen nicht in den Kopf will, dass politische Positionen, die sie immer vertreten haben, die Klima­krise nicht lösen: Technologie und freie Märkte allein reichen nicht. Aber wenn der intellektuelle Stolz verletzt ist, muss wohl die Freiheit bedroht sein. Das nennt sich dann weltanschauliche Pfadabhängigkeit.

Thunberg wirkt wie ein Katalysator, sie beschleunigt die gesellschaftliche Reaktion auf solche Denkfehler. Das Problem ist, dass nun Thunberg selbst als moralische Instanz wahrgenommen wird. Die Überhöhung ihrer Person treiben auch ihre Gegner lustvoll voran. Sie sei gehypt und instrumentalisiert: „Von weltweiten Massenmedien, linken Aktivisten, Umweltaktivisten, Geschäftemachern, Medienmachern, selbst von der radikalen Antifa und (…) von jedem grünen Parteienpflänzchen“, schreibt Birgit Kelle auf Focus Online.

Scheitert die Ikone Thunberg an ihrem eigenen Anspruch, so der Gedanke, werden die moralischen Appelle hinter dem Klimaschutz an sich als heuchlerisch entlarvt. Dass, wie die taz enthüllte, für Thunbergs Atlantiküberquerung im Segelboot mehrere Flüge von Begleitpersonen nötig sind, ist tatsächlich ein Problem: Thunberg hat sich in ihren Bemühungen, es allen recht zu machen, verrannt. Ihr Team hat einen Fehler gemacht. Doch das kann ihr nur guttun – nur Heilige machen keine Fehler.

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