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Kommentar Brand in ParisNotre-Dame lenkt ab

Kommentar von Lucia Parbel

Die Betroffenheit über das Feuer in der Kathedrale steht in keinem Verhältnis zur Bedeutung. Weltbewegender für die Zukunft ist die Klimakrise.

Endlich ein Problem, das man schnell lösen kann. Anders als die Klimakrise Foto: reuters

N otre-Dame brennt. Die Bilder bewegen: Rot scheint die Glut auf den beiden Türmen wider, in ihrer Mitte skelettartig die Silhouette des Baugerüsts. Frankreich und Europa stehen unter Schock. Ein Glück, dass Präsident Emmanuel Macron einen Blick für das Wesentliche hat: Er ruft den nationalen Notstand aus. Europa beweist derweil in seiner Betroffenheit und im blitzartigen Geldgeben grenzübergreifende Freundschaft. Geeint stehen wir, denn Paris’ Herz brennt.

Der kollektive Schreck mag echt sein, und dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass viele in diesen Tagen dankbar sind für eine Katastrophe, die sich lösen lässt. Denn: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sieht sich die Öffentlichkeit dank Fridays For Future mit der Klimakrise konfrontiert. Wie leicht sich nun die Mehrheit davon ablenken lässt, zeigt, wie wenig die Bewegung verstanden wurde. Darum an dieser Stelle noch einmal in aller Deutlichkeit: Die Erde brennt, nicht bloß eine Kirche.

Unsere Maßstäbe für die Beurteilung der Dringlichkeit eines Problems sollten wir deshalb grundlegend überdenken. Ein ungebremster Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlagen – im Gegensatz zum Feuer im Dach einer Pariser Kathedrale. Das sollte sich auch in der gesellschaftlichen Diskussion widerspiegeln. Es braucht eine konstruktive Debatte über neue Wege, um eine Gesellschaft aufbauen zu können, die Bestand hat.

Dieser Diskurs entsteht aber nicht. Stattdessen wird Fridays For Future lächerlich gemacht, indem sich absurde „For Futures“ gründen. Besonders bemerkenswert ist die Initiative „Reli­gions For Future“ – eine beeindruckend paradoxe Denkleistung, die hinter diesem Namen steckt. Etwas Antiquierteres als Religion und Kirche gibt es ja wohl nicht, weniger Innovationsgeist findet sich nur in den Wahlprogrammen der großen Parteien für die anstehende Europawahl.

Der Brand der Notre-Dame hat insofern Symbolcharakter – als junger Mensch darf man das ruhig ein bisschen zukunftsweisend finden.

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34 Kommentare

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  • Ach Gottchen. Frau Parbel, es herrscht Meinungsfreiheit und es ist auch niemand geschädigt worden. Also rechtlich und moralisch: schreien Sie Ihre Freude über eine abgebrannt Kirche doch einfach heraus! Dieses herumgerede und diese Nebelkerzen sind ja jämmerlich.

  • & Däh! & Zisch - Mailtütenfrisch



    “Hurra, hurra, die Kirche brennt“

    www.taz.de/Komment...in-Paris/!5586731/







    Was jamnern die Foristen nur?



    Die Jetztzeit ist Eventkultur.



    Egal, ob Anfang oder End,



    alles ist heut ein Event



    Selbst wenn die Kathedrale brennt,



    ist das auch nur ein Event.







    Und Ablasshandel ist en vogue.



    Wer einst den Fiskus gern betrog,



    kann jetzt mit Spenden Schwarzgeld waschen,



    steckt Steuernachlass in die Taschen



    und hofft auf himmlischen Gewinn.



    So macht das Kirchenbauen Sinn.“

    • @Lowandorder:

      bravó!

  • Dieses Staubkorn (bzw. noch weitaus weniger im Größenvergleich) ist aber der einzige Ort weit und breit mit Leben und mit Intelligenz.

  • Es gibt ja auch keine Milliardenspenden für besseren Feuerschutz an 10.000 anderen Kirchen.

    Mit 100.000 Euro pro Kirche ließe sich geiss etwas bewegen, von Standrohren für Feuerwahrwasser, über Feuerschotten bis zu besseren Brandmeldern.

    Wenn u.a. in Venedig oder bei de Elbphilharmonie erst mal größere Schäden durch gestiegenes Meerwasser entstanden sind, wird dann auch wieder Geld in die Hand genommen...

  • Die Zukunft muss ja nicht unbedingt fortschritlich sein. Wir haben auf ganzer Linie eine gesellschaftliche Rückwärtsbewegung. Freiheitsrechte werden überall eingeschränkt und sind Bewegungen wie Feminismus wandeln sich von der Forderung von Gleichheit zur Stärkung konventioneller Rollenverteilung. Homosexuelle wetteifern darum möglichst vollständig das konservative Lebensmodell Ehe leben zu können. Im linken Parteienspektrum wurde vor einigen Jahren noch Machtansprüche von Religionen komplett abgelehnt. Heute machen sie sich für Vorrechte der Muslime stark.



    Von der Rückwärtsgerichtetheit des rechten Spektrums ganz zu Schweigen - aber die Rechten stehen seit jeher für eine Blockade des gesellschaftlichen Fortschritts.



    Ja - Religionen sind die Zukunft - leider.

  • Whataboutism

  • Wie titelte der Postillion so schön:

    >>Menschen im Jemen wünschten, sie wären abgebrannte gotische Kathedrale

  • und es sollte uns gleichzeitig zeigen, dass manche menschen zuviel geld verdienen, und dass der staat hier mal besser nachhakt und seine gesetze so aendert, dass familien nicht mal eben 200mio uebrighaben. wie war das noch mit der finanztransakationssteuer, besteuerung von grosskonzernen, steuerschlupfloecher, steueroasen, panama papers, paradise papers, -------------

  • 9G
    93649 (Profil gelöscht)

    Schämen sollten sich die Leute, dass eine Milliarde mal so eben für die Restaurierung eines alten Gebäudes gespendet wird, anstatt zu spenden, um zu verhindern, dass Menschen hungern und an leicht heilbaren Krankheiten sterben müssen.

    • 9G
      91491 (Profil gelöscht)
      @93649 (Profil gelöscht):

      Wie wahr!



      Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als das ein Reicher in den Himmel kommt.



      Da wird mal kurz die Portokasse gelehrt.



      Reicht sicher für eine schöne Bronzetafel



      in der fertigen Kathedrale.



      Mein Gott sind wir fromm!

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Whataboutism!

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Danke an Frau Parbel für diesen grandiosen Kommentar!

  • Der Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlagen. Aber warum sollten wir uns für den Erhalt der Lebensgrundlagen einsetzen, wenn alles was unserer Leben ausmacht, angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel für null und nichtig erklärt wird? Wenn alles was das Leben lebenswert macht, bedeutungslos ist, dann ist es auch sinnlos, sich für den Erhalt der Lebensgrundlagen einzusetzen.

  • Seit mal nicht so naiv. Notre Dame brennt, natürlich wird darüber berichtet und so emotional wie möglich, weil jeder schon mal ein Selfie davor gemacht hat. Leute, nichts neues im Westen sag ich dazu. Ebenso dieser Artikel hier. Die gibt es dann immer als Sahnehäubchen danach. So ich geh jetzt Dinner for one gucken, das ist auch immer das selbe.

  • Stimmt. Alles, was nicht mit Klimarettung zu tun hat ist im Vergleich unwichtig und darf höchstens kurz am Rande thematisiert werden....

    Nach der Logik ist auch der Klimawandel, ja unser ganzer Planet und sein Wohlergehen unwichtig. Denn wir sind im Universum in etwa so wichtig wie ein Staubkorn bei mir im Haus.

  • Gut die Hälfte aller Artikel in Medien wie SPON, Zeit online oder taz haben inzwischen zum Inhalt, wie Menschen gefälligst empfinden sollen, wenn ihnen nicht von Vornherein ihre Wahrnehmung abgesprochen wird. Das Wesen des Journalismus ist jedoch in erster Linie die Information, nicht der Kommentar und schon garnicht Bevormundung. Denken und Schlussfolgerungen ziehen können wir allerdings - noch - selbst.

    Kein Wunder, dass die Presse in Schwierigkeiten steckt.

    • @Trango:

      Sie haben auch insoweit recht, als es keine wissenschaftliche oder demoskopische Untersuchung gab, ob tatsächlich ein Ablenkungseffekt eintritt.

  • Ich fände es auch gut, wenn die Leute weniger ablenken würden sondern die Themen beständig und konsequent oben haben, die WIRKLICH relevant sind (bzw. DAS eine Thema). Aber es wird geeifert und gestritten über Kitaplätze, Wohnungspreise, Populisten und andere politische Quer- und Falschdenker, Überbevölkerung, Diskriminierung, Postkolonialismus, Straßennamen, Rentenhöhen, chemische Verseuchungen, Plastikmüll, Ausbeutung, technische Umwälzungen, Atomkraft und Atomraketen etc. etc. etc.

    Vollkommen dekadent. Vielleicht sollte man es gesetzlich verankern, dass sich alle mehr auf DIE Wahrheit konzentrieren. Die Leute sind so leicht abzulenken.

    • @Markus Michaelis:

      Und wer bestimmt, was DIE Wahrheit ist? Achja, da war mal was: Das Wahrheitsministerium -> 1984

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Die breite und lange Berichterstattung und die tief erschütterten Kommentare haben mich gewundert. Alles SEHR hochgehängt, viel Tränendrüse, Abendland und Europagedusel. Fragte mich, ob wirklich alle (außer mir) eine tiefe emotionale Bindung an Paris haben?



    Ich meine, dass vermutlich nicht. Für viele Osteuropäer z.B. ist Frankreich weit weg und die Skandinavier sind wenig katholisch.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Ach du liebe Zeit. Glaubt jemand, dass wegen des Brandes eine Schülerin weniger freitags auf die Straße geht?

    Bloß weil einen etwas mitnimmt, bedeutet ja nicht, dass man das Denken einstellt.

    Also, immer schön cremig bleiben.

  • Alles was einer Realitätsleugnung dient ist dieser Tage gewünscht.



    Unbequeme oder latent gefährliche Realitäten anzuerkennen sind mit Unannehmlichkeiten verbunden. Wer will das schon?



    Ja gut, und Kulturgüter außerhalb Europas sind eh weniger zu beachten. Also: Milliarden von Euros nach Paris für eine Kirche! Symbole sind halt teuer, nicht nur beim Kauf von Eheringen o.ä.

  • "Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sieht sich die Öffentlichkeit (...) mit der Klimakrise konfrontiert"

    Konfrontiert wird die Öffentlichkeit mit dem Klimawandel und seinen Folgen ständig, bei jeder Gelegenheit und zwar seit mind. einem Jahrzehnt. Zu der obigen Behauptung kann man sich nur versteigen, wenn die Dauerberieselung der Öffentlichkeit mit dem Thema bislang nicht den gewünschten Effekt hatte.

    "Die Erde brennt"

    Das ist mindestens sachlich falsch.

  • Kann man so sehen, muss man nicht so sehen.

    Es ist nun mal einfacher Einzelereignisse mit Lösungsmöglichkeiten zu verarbeiten.

    Der Klimawandel ist kein Einzelereignis und die Lösungsmöglichkeiten sind begrenzt.



    Zudem ist das Ziel des Kommentar auch ein anderes:

    "...um eine Gesellschaft aufbauen zu können, die Bestand hat.."

    Wieso ist das Ziel eine beständige Gesellschaft? Das Einfrieren einer Gesellschaft auf einen bestimmten Stand? Konservativer geht es eigentlich nicht mehr.

    Der Klimawandel, genauer der menschgemachte Klimawandel, wird nicht zum Erlöschen aller menschlicher Gesellschaften führen. Er wird die Umgebung, wie wir sie kennen, verändern.

    Und ja, es ist ein wichtiges Anliegen.

    Aber wenn jede menschliche Regung unterdrückt werden soll, solange der Klimawandel nicht gelöst ist, bleibt nur der Abschied von der Erde (was ironischerweise den Klimawandel lösen würde).

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Zum Zweiten.

    Ich habe bereits frühzeitigt, als sich abzeichnete, dass keine Menschenleben zu beklagen waren, die Frage gestellt: wer profitiert von diesem Brimborium des aufgeblähten NICHTS? Ich hätte auch fragen können: wo ist die Angemessenheit in der Berichterstattung geblieben? Wo das passende Maß zwischen Ereignis und Würdigung?

    Jetzt freue ich mich, dass ich nicht der einzige Mensch bin, der dies so sieht. Und werde für jeden Kommentar dankbar sein, der diese AufmerksamkeitsLENKUNG hinterfragt. Psychologisch Ausgebildete: was fällt Euch zum Thema ein?

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Dafür braucht es nur wahrlich keine Psychologen. Medienunternehmen sind Wirtschaftunternehmen und haben als solches das Ziel Geld zu verdienen. Eine brennende weltweit bekannte und beliebte Touristenattraktion ist nun mal gut für den Umsatz. Nicht mehr und nicht weniger. Letztendlich haben wir alle es in der Hand dies zu unterstützen oder eben nicht.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @JoWall:

        Reicht mir als Erklärung nicht aus. Sorry.

        Die Debatte - nicht nur in diesem Forum - zeigt mir, dass der Brand von Notre Dame eine Chiffre für etwas Anderes ist, das vielschichtiger ist als eine brennende beliebte Touristenattraktion. Das reicht nicht aus für die gezeigten Emotionen.

  • "Die Erde brennt, nicht bloß eine Kirche."

    Frau Parbel, die Erde liegt immer noch paar Grad *unter* ihrem langfristigen Durchschnitt. Wie konnte sie bloß diese dauerhafte Hitze aushalten und nicht "verbrennen"?

    Ansonsten - man muss nicht unbedingt gläubig sein, aber wenn man die Betroffenheit angesichts des Brandes von Notre Dame nicht versteht, dann muss man ein Geschichstbanause sein...

  • Ach Du liebe Zeit ... dann sind 99% der Berichterstattung wohl überflüssig, wir machen nur noch Klimawandel und Klimakatastrophe ...



    Und natürlich kein Olympia mehr, keine WM mehr, keine EM mehr, das lenkt nur ab ... 2 Wochen Berichterstattung über ein banales Sportereignis und gleichzeitig stirbt das Klima und der Planet wird munter weiter zerstört, kommt nicht mehr in die Tüte!

    • 8G
      84935 (Profil gelöscht)
      @export:

      Ganz ohne Ironie: die Ressourcenverschwendung und Umweltzerstörung durch solche sportliche Großereignisse ist durchaus diskutabel. Auch der Aspekt der Völkerverständigung ist m.E. hier kein Legitimationsgrund, denn in letzter Zeit geht es hier doch mehr um nationale Konkurrenz und das Repräsentationsbedürfnis irgend welcher Despoten.

  • Danke. Ich finde die Berichterstattung zu ND auch überzogen, auch wenn es mich betroffen gemacht hat. Es kam kein Mensch zu Schaden (zumindest habe ich nichts derartiges gelesen) und ein wesentlicher Teil der Bausubstanz konnte erhalten werden.

    Warum man dies als Anlass nimmt um auf FFF hinzuweisen und gleich noch Religions-Bashing zu betreiben, weiß ich nicht. Man hätte auch den Brexit, den Hunger in vielen Ländern der Welt oder sonst was nehmen können. Es gibt dringendere Probleme. Diese Aussage hätte wohl gelangt.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Schön. Geht doch!

  • Sowas darf man gerade nicht sagen, sorry. Macron soll sagen, dass Notre Dame in fünf Jahren wieder aufgebaut sein wird, er soll aber nicht sagen, dass Frankreich in fünf Jahren wieder aufgebaut sein wird. Stinkreiche Franzosen werden gelobt, dass sie hunderte Millionen für die Restaurierung aufbringen wollen, aber nicht dafür kritisiert, dass sie nichts für die Zukunft der chancenlosen Jugendlichen ausgeben wollen. Und so weiter.