Kolumne Schlagloch: Mehr Haltung, bitte
Teile der Politik ermächtigen sich gerade des Nachrichtenwesens. Und viele Journalisten schauen einfach nur lethargisch zu.
E s ist Zeit, mal wieder ein paar Gedanken auf die Lage der vierten Gewalt im Land zu verwenden. Was wurde sie nicht malträtiert, seit Pegida durch die Straßen lief und Medienvertreter- und Institutionen sich aufs Übelste beschimpfen ließen. Die vierte Gewalt setzte sich nicht stolz zur Wehr, sie gab klein bei. Als Selbstkritik lässt sich diese Selbstbeugung nicht mehr beschönigen. Warum sich so viele durch den Vorwurf „Lügenpresse“ vor sich hertreiben ließen, bleibt das Geheimnis der verantwortlichen Medienmacher.
Die nächste Stufe, auf der sich die Medien jetzt hörnen lassen: Die Politik selbst ermächtigt sich des Nachrichtenwesens und möchte mit eigenen Newsrooms die Öffentlichkeit informieren. Das althergebrachte Pressebüro tut es natürlich nicht. Das Komische daran, wenn es nicht für die Demokratie so tragisch wäre: Auf die Idee kamen sie wahrscheinlich durch das Agieren der Medien selbst. Nachrichtensender arbeiten schon länger so, als wären sie Lautsprecher der Politiker. Geschliffene Phrasen und Statements der Politiker werden wie politische Berichterstattung gehandhabt. Polittalks inszenieren bevorzugt Duelle zwischen Parteipolitikern, statt die Konfrontation der Politik mit Experten oder Vertretern aus der Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur zu ermöglichen.
Klar denken Parteien jetzt, das mit den Nachrichten können wir auch selbst. Da kann man sich die Live-Schalte zu Unzeiten sparen, aber auch den Kauf von Medienanstalten, wie Berlusconi das noch musste. Man baut einfach die Gegenöffentlichkeit über soziale Medien und tauft den Pressereferenten zum Chef vom Dienst des Newsrooms. Vielleicht bietet Netflix ja bald den Parteien eigene Kanäle an.
Journalisten berichten so lethargisch über diese neuen Partei-Newsrooms, als ginge es hier nicht um einen Angriff auf die vierte Gewalt. Man brauche schließlich eine Strategie in den sozialen Medien, diese Plattform dürfe man nicht den Rechten überlassen. Statt das Geschehen auf den Plattformen stärker gesetzlich zu regeln, werben sie Medienschaffende mit digitalen Kompetenzen ab. Der schwache Stand der Medien zeigt sich auch daran, dass unter den aktuellen Arbeitsbedingungen die Guten kaum zu halten sind.
Zu wenig Analysen von Autoren ohne Machtinteresse
Die zu Newsrooms aufgeblasenen Pressebüros sind eine Bloßstellung der Medien und ihrer selbst verschuldeten Schwäche. Die CDU spielte das Problem mit dem Konzept „Newsrooms“ probeweise durch: Beim Werkstattgespräch zum Thema Migration im Konrad-Adenauer-Haus waren Journalisten vor Ort ausgeladen. Sie durften über Live-Streams über die Ereignisse berichten. Und das beim Thema Migration, das laut mancher Panikmacher aufgrund der Ereignisse 2015 die große Konfliktschneise für dieses Land sein soll.
Migration, das Thema, bei dem sich manche Medien selbst Vorwürfe machen, zu viel Verständnis für Humanität und Menschenrechte gezeigt zu haben. Als wäre es nicht Aufgabe der Medien, die Umsetzung von Grundrechten zu überwachen und auf Missstände hinzuweisen. Stattdessen diskutierte man, ob Menschen ertrinken zu lassen, wenn keine Rettungsstrukturen vorhanden sind, überhaupt ein Missstand ist.
Journalisten, zumal schlecht bezahlte, müssen sich fragen, welche Auswirkungen die Nähe zu potenziellen Arbeitgebern auf die Kritikfähigkeit des Journalismus hat. Unter Obama sprach man oft von Hofberichterstattung über das Weiße Haus, weil er die Journalisten in Washington um den Finger zu wickeln wusste. Auch deutschen Politikern fehlen die Kritiker, und es fehlen Medienformate, die sie mit dem breiten Meinungsspektrum konfrontieren. Es fehlen die prominent platzierten Analysen jener, die selbst kein Machtinteresse haben.
Gerade Migration ist ein Zukunftsthema. Die eine Million Menschen, die nach Deutschland kamen, waren eine Schockkonfrontation mit der Lage der Welt. Jetzt wird seitens der Politik oft so getan, als ginge es vor allem darum, die alte Verdrängung wiederherzustellen, den Europäer in seinem Privilegiertsein also nicht zu stören. Motto: Solange Migranten vor den Außengrenzen bleiben, ist das kein europäisches Problem.
Guter Journalismus verhindert sich durch Haltungslosigkeit
Unterlassung als Politik. Es wäre Aufgabe der Medien, die politischen Vertreter mit Ideen aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Kunst zu konfrontieren. Doch sie berichten vor allem über die politische Ideenlosigkeit der Verantwortlichen und fördern deren Selbstinszenierung.
ist Autorin und Kolumnistin. Bei S. Fischer erschien soeben ihr Buch SHEROES – Neue Held*innen braucht das Land. Sie twittert zum Zeitgeschehen unter @jagodamarinic.
Guter Journalismus verhindert sich derzeit durch Haltungslosigkeit selbst. Faktenbasierter Journalismus bedeutet keineswegs, ein Journalist habe zu den Geschehnissen keine Haltung. Als CNN den Menschenhandel in Libyen aufdeckte, galt es nicht nur, vom Sklavenhandel im 21. Jahrhundert zu berichten. Es galt auch, den Zuschauern zu erklären, welche Gesetze gebrochen werden und wer zu wenig tat, um all das zu verhindern. Aufgabe des Journalismus ist es eben nicht, nur ein Negativbild vor Ort zu erstellen, das man der Öffentlichkeit zu Hause eins zu eins zeigen kann.
Auf der Basis demokratischer Grundwerte muss jeder Journalist einordnen. Kritisch hinterfragen. Das heißt nicht, das Mikro hinzuhalten und vor allem die Öffentlichkeit der Verantwortlichen zu vergrößern. Es heißt, die Komplexität der Realität zu vermitteln, damit eine demokratische Öffentlichkeit sich ihre Meinung bilden kann.
Aus Angst vor sogenanntem Haltungsjournalismus lassen zahlreiche Medienschaffende derzeit zu, dass ihre Arbeit ausgehöhlt wird. Wer Newsrooms für Pressebüros hält, hat Journalismus nicht verstanden. Oder er blieb so lange verschont von kritischem Journalismus, dass er druckreife, parteiintern abgestimmte Statements für Nachrichten hält. Wenn zu viele so tun, als sei Berichterstattung ohne Haltung möglich, entmachtet sich die vierte Gewalt selbst.
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