Zeitung sucht Hitlers linke Vergangenheit: Hufeisenweitwurf mit der „Welt“

Die „Welt“ lässt ihren Haushistoriker aus dem Bunker – und plötzlich ist Adolf Hitler ein Linker. Das ist keine zufällige Schnurre, sondern Ideologie.

Schwarz-weiß-Foto, Hitler sitzend mit Hunde

Adolf Hitler (links!) meditiert über Pläne zur Weltrevolution Foto: ap

Die Welt muss an der Frontlinie zur bolschewistischen Vorhölle, wo Enteignung, Dieselverbote, Zwangsvegetarismus und Genderhalbwesen drohen, auch theoretisch vorlegen. Diese Aufgabe übernimmt der Geschichtsredakteur der Zeitung mit einer These so steil, dass die Titanic fast Tantiemen verlangen könnte.

Adolf Hitlers kurzes Engagement in einem Soldatenrat der Münchner Räterepublik wird als Beleg genommen, dass der spätere Reichskanzler mal linksextrem und, zumindest zu diesem Zeitpunkt, keineswegs Antisemit gewesen sei.

Mal ganz unabhängig davon, ob einzelne jüdische Köpfe der Räterepublik, wie in dem Beitrag insinuiert, ihre Anhänger*innen des Antisemitismus wirklich unverdächtig machen, ist der Versuch, Hitler und den Nationalsozialismus im Wortsinne auszubürgern, doch sehr durchschaubar. Schlagen die Rechten über die Stränge (Weltkrieg, Holocaust), sind sie eigentlich verkappte Linke und haben bei Stalin ihr Handwerk gelernt. Was wiederum allem Linken mindestens eine 8 auf der nach oben offenen Hitler-Skala zuordnet.

Die Hufeisentheorie, nach der politische Einstellungen sich an ihren extremen Enden links und rechts so ähnlich sind, dass sie sich beinahe berühren, hat schon so manche krude Blüte getrieben. Herausragende Floristin an diesem Beet ist Erika Steinbach, die gern betont, dass es schließlich NationalSOZIALISMUS heiße.

Delegitimierung des Linken

Zweifellos war der deutsche Faschismus auch eine Wohlfahrtsdiktatur. Die ständigen Versuche, alles Linke durch die bizarrsten Vergleiche zu delegitimieren, tragen aber weder zur Erklärung vergangener noch gegenwärtiger Phänomene bei. Das ist auch nicht der Sinn solcher Rhetorik. Die soll einzig und allein alle Kritik an den gegebenen Verhältnissen vernebeln und für generell unzulässig erklären.

Darf man aber Hitler einen Linken nennen, wie es die Welt nun ganz kühn behauptet? Gewiss, man darf das. Man muss es sogar, wenn es darum geht, das politische Koordinatensystem für künftige Verteilungskämpfe zu präparieren.

Die gewollte Unschärfe in der Beschreibung von links und rechts definiert mit Hitler als Kontaktpunkt der Hufei­senenden die politische „Mitte“ als neutralen Beobachtungspunkt. Dort lässt sich dann bequem ein Hochsitz zur Jagd auf jeden Dissens zum Status quo einrichten. Waidmanns Heil, liebe Kolleg*innen!

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