Kommentar Organspende-Debatte: Warum Jens Spahn diesmal Recht hat
Niemand sollte sich genötigt fühlen, nach seinem Tod Organe zu spenden. Doch die Politik kann verlangen, dass sich alle mit dem Thema beschäftigen.

W ir reden zu wenig übers Sterben. Davon zeugen nicht nur Fälle wie der gerade vor dem Bundesgerichtshof beschiedene, bei denen alte Menschen mangels Patientenverfügung mit Magensonden künstlich am Leben gehalten – man möchte sagen: ins Leben gesperrt – werden. Davon zeugt auch die aktuelle Debatte über Organspenden.
Die sogenannte Widerspruchslösung, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einführen möchte, kann dazu beitragen, dass sich das endlich ändert. Natürlich ist es, wie Spahn ganz richtig sagt, ein Eingriff in die Freiheit eines Menschen, von ihm zu verlangen, der Entnahme seiner Organe nach seinem Hirntod aktiv zu widersprechen oder sie ansonsten durch Nichtäußerung der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Aber drunter wird es leider nicht gehen.
Es müsse weiterhin die Freiheit geben, sich mit dieser Frage nicht zu beschäftigen, argumentierte taz-Autorin Barbara Dribbusch in ihrem Kommentar. Aber zu welchem Preis wird diese Freiheit genutzt? Es kann nicht sein, dass das Unbehagen von Millionen gegenüber dem Thema Tod dazu beiträgt, dass jeden Tag drei Menschen sterben, die auf ein Spenderorgan gewartet haben.
Niemand sollte sich genötigt fühlen zu spenden. Aber die Politik kann im gesellschaftlichen Interesse verlangen, dass sich alle der Auseinandersetzung mit der Thematik verpflichtet fühlen. Freundliches Nachfragen beim Behördengang oder Arztbesuch allein wird das nicht gewährleisten. Die Notwendigkeit aktiven Widerspruchs samt Ultimatum hingegen schon.
Wir alle können plötzlich auf ein Spenderorgan angewiesen sein, genau wie wir von heute auf morgen zu Pflegefällen werden oder den Hirntod erleiden können. Für diese Fälle entschieden vorzusorgen, ist nicht nur im eigenen Interesse. Es nimmt auch eine – vorher, in Zeiten des Glücks, unvorstellbare – Last von Partnern und der Familie, die sonst unter zeitlichem und moralischem Druck stellvertretend handeln müssen.
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