Kommentar Thilo Sarrazins neues Buch: Braucht kein Mensch

Thilo Sarrazin is back. Sein neues Buch „Die feindliche Übernahme“ eignet sich für Smalltalk auf einer Pegida-Demonstration – für mehr nicht.

Thilo Sarrazin

Ein verbitterter alter Mann, der aus seinem Ohrensessel im Wintergarten in den dunklen Garten schaut Foto: dpa

In Thilo Sarrazins Welt hat eigentlich nur einer recht: Thilo Sarrazin. Steif steht er in einem Raum der Berliner Bundespressekonferenz an einem Pult und liest vom Blatt. Nach seinem 2010 erschienenen Buch „Deutschland schafft sich ab“ hätten Medien versucht, ihn zur „bürgerlichen Unperson“ abzustempeln, referiert er. Nichts sei in dem Buch falsch gewesen. Hätte man seine Analysen in der Politik intensiver studiert, wäre es der SPD besser ergangen. „Es hätte keine AfD gegeben.“

Thilo Sarrazin is back. Der Mann, der mit seiner These, die Unterschicht sei genetisch bedingt dümmer als die Oberschicht, den Humus für den diskursiven Rechtsruck in der Republik schuf, ist wieder da. Und er hätte, säße er im Kanzleramt, die AfD verhindert.

Zu einer solchen Hybris muss man erst mal fähig sein. Sarrazin steht am Rednerpult, um sein neues Buch „Die feindliche Übernahme“ zu promoten. Seine wenig überraschende These ist für den Verfolgungswahn der potenziellen Kundschaft maximiert: Der Islam, so Sarrazin, überrenne die westlichen Demokratien mit einer demografischen Attacke. „Bei unveränderter demografischer Dynamik und unveränderter Einwanderung ist der Islam in Deutschland und Europa langfristig auf dem Weg zur Mehrheitsreligion.“

Sarrazin entwirft auf 495 Seiten eine dystopische, mit Dutzenden Tabellen und Statistiken gespickte Zukunftsvision. Dafür hat er den Koran gelesen und interpretiert munter drauflos – als „kundiger Laie“, wie er sagt. Was für eine Drohung! Nehme man den Koran beim Wort, sagt dieser kundige Laie also, sei er keine Religion der Toleranz oder Friedensliebe – „sondern eine Gewaltideologie, die im Gewand der Religion daherkommt“.

Für Smalltalk auf der Pegida-Demo

In der Tat: Wenn man einige Koran-Suren wörtlich nimmt, sind sie mit liberalen Demokratien unvereinbar. Aber wer tut das eigentlich – außer Islamisten und Sarrazin? Der Möchtegern-Koranausleger übernimmt hier lustigerweise die Logik eines salafistischen Predigers.

Sein Buch strotzt vor Sätzen, die für Smalltalk auf einer Pegida-Demonstration taugen. Die Muslime produzierten zu viele Kinder. Die Muslime seien unterdurchschnittlich gebildet und leistungswillig. Die Muslime seien krimineller als der Rest der Bevölkerung. Am Ende steht für Sarrazin ein Szenario, wie es Michel Houellebecq in seinem Roman „Unterwerfung“ schildert. Muslime reißen die Macht im Staate an sich, zwingen Frauen unters Kopftuch und Universitäten unter das Joch der Religion.

Der Möchtegern-Koranausleger übernimmt die salafistische Logik

Es bleibt der Eindruck: Da redet ein verbitterter alter Mann vor sich hin, der aus seinem Ohrensessel im Wintergarten in den dunklen Garten schaut – und sich von Feinden umstellt fühlt. Sarrazin tut so, als betrachte er die Zahlen wie ein Wissenschaftler. Nüchtern, unvoreingenommen und präzise. Doch in Wirklichkeit sortiert er so, dass alles in sein ideologisches Raster passt.

Originell oder neu? Nö

Sarrazin ignoriert nicht nur, dass die riesige Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime rechtstreue, hart arbeitende BürgerInnen sind. Er geht auch davon aus, dass Zuwanderer ihre Einstellungen in einer liberalen Demokratie nicht ändern. Einmal dummer Muslim, immer dummer Muslim. Auch Daten, die zeigen, dass die Geburtenraten von ZuwandererInnen in Folgegenerationen sinken, etwa durch höhere Bildung, ignoriert er.

Sarrazin benennt reale Probleme, die schon lange diskutiert werden: die Rolle der Frau in muslimischen Gesellschaften etwa oder Integrationsprobleme. Originell oder neu ist das nicht. Dieses Buch braucht kein Mensch.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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