Sozialdemokraten und Freihandel: SPD im postfaktischen Zeitalter

Die Partei bricht zentrale Zusagen aus ihrem Konventsbeschluss. Damit konfrontiert, verbreiten Abgeordnete schlicht die Unwahrheit.

Sigmar Gabriel vor Anti-Ceta-Demonstranten

War da was? Die SPD nimmt es bei Ceta nicht so genau Foto: dpa

BERLIN taz | Um grünes Licht für Ceta zu bekommen, hatte die SPD-Führung vor dem kleinen Parteitag im September weitreichende Versprechen gemacht: „Wir erwarten, dass zunächst das Europäische Parlament umfassend berät und wo erforderlich, Klarstellungen erwirkt“, hieß es im Beschluss des SPD-Konvents zum umstrittenen Ceta-Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada.

Die Beratungen sollten „unter Einschluss der Zivilgesellschaft“ erfolgen und es solle eine „gemeinsamen Anhörung von Vertretern des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente“ zu Ceta geben.

Davon ist in der Realität nicht viel zu spüren. Das umstrittene Abkommen soll unter großem Zeitdruck noch in diesem Jahr durchs EU-Parlament gebracht werden – ohne Beteiligung wichtiger Ausschüsse.

Doch was sagen die Sozialdemokraten zu diesem Widerspruch? Das wollten auch Aktivisten der Ceta-kritischen Kampagnenorganisation Campact wissen – und schrieben an diverse SPD-Bundestagsabgeordnete, darunter Fraktionschef Thomas Oppermann. Als Antwort kamen aus deren Büros weitgehend identische Schreiben, die der taz vorliegen.

Darin wird jeder Widerspruch zwischen den Konventsbeschlüssen und der Realität bestritten. „In einer außerordentlichen Plenarsitzung im November wird sich das Plenum des Europäischen Parlaments mit Ceta beschäftigen“, heißt es in dem Schreiben. In Brüssel weiß allerdings niemand etwas von einer solchen Sondersitzung – und die Pressestelle der Fraktion räumt denn auch ein: „Das war ein Missverständnis.“

Auch die versprochene Einbindung der nationalen Parlamente werde umgesetzt, schreibt die SPD: Es werde „eine Ausschusssitzung des zuständigen Inta-Ausschusses im EP gemeinsam mit Vertretern nationaler Parlamente geben“; an dieser würden auch „Abgeordnete des Deutschen Bundestags teilnehmen“.

„Wenig Illusionen“

Tatsächlich ist am 29. November ein Treffen in Brüssel geplant. Doch dabei handelt es sich laut Einladung nicht um eine formale Ausschusssitzung, sondern um eine „informelle Diskussion“ im Rahmen eines Mittagessens. Und teilnehmen werden auch nicht „Abgeordnete“ des Bundestags, sondern genau einer.

Eingeladen sind nämlich jeweils nur die Vorsitzenden der Handelsausschüsse der nationalen Parlamente. Das ist in Deutschland der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer. Weil er verhindert ist, wird voraussichtlich der SPD-Linke Klaus Barthel teilnehmen. Der macht sich wenig Illusionen über seinen Einfluss bei diesem Termin. „Ich habe die starke Befürchtung, dass es nur darum geht, das Pflichtprogramm zu absolvieren, um Ceta dann schnell durchzuziehen“, sagte er der taz. Er will das Treffen aber nutzen, um unter Verweis auf eine entsprechende Resolution des Bundestags deutlich zu machen, „dass wir noch eine Reihe von Fragen haben“.

Die haben viele andere SPD-Abgeordnete nicht mehr. Sie sehen auch die inhaltlichen Forderungen des Parteitags zur Nachbesserung bereits als erfüllt an. „Die SPD hat dafür gesorgt, dass die in Ceta enthaltenen europäischen Standards für Verbraucher- und Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte und der Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge gewahrt bleiben“, heißt es im Schreiben an die Campact-AktivistInnen.

Das sehen nicht nur Expertinnen wie die ehemalige SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin anders. Sie hatte in einem Gutachten erläutert, dass die beschlossenen Zusatzerklärungen zu Ceta keine Rechtssicherheit bieten.

Auch Matthias Miersch, der als Sprecher der SPD-Linken den Ceta-Beschluss mitgetragen hat, hält dessen Bedingungen noch nicht vollständig für erfüllt. „Es gibt weiterhin große Fragezeichen beim Investitionsschutz und der Sanktionierung von Verletzungen der Arbeitnehmerrechte“, sagte er der taz – und warnt vor einem „Durchwinken“ des Abkommens: „Das Prinzip ‚Augen zu und durch‘ wird bei Ceta nicht funktionieren“, meint Miersch.

Auch Campact-Sprecher Jörg Haas hofft, dass die Partei das Verfahren noch überdenkt: „Die SPD steht bei den Bürgern und ihrer Basis im Wort.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.