Debatte Direkte Demokratie: Siegeszug des Populismus

Referenden retten nicht die Demokratie. Im Gegenteil, Detailfragen mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten, fördert rechten und linken Populismus.

Eine junge Frau hält ein Schild, auf dem "Si" steht

Hält auch nichts von Referenden: Eine Frau protestiert gegen das „No“ bei der Abstimmung in Kolumbien Foto: imago/Xinhua

Das Scheitern der Volksabstimmung in Ungarn ist eine Sensation. Und scheint auf den ersten Blick all diejenigen zu bestätigen, die seit Jahren mehr direkte Demokratie fordern. Der ungarischen Bevölkerung war eine Suggestivfrage vorgelegt worden, und mehrheitlich blieb sie dem Referendum fern, das Quorum wurde nicht erreicht. Toll. Das zeigt doch, dass direkte Demokratie funktioniert, oder?

Ja, toll. Und, nein, es zeigt eben nicht, dass direkte Demokratie funktioniert. Im Gegenteil. Das Referendum ist nur deshalb gescheitert, weil eine Mehrheit beschlossen hat, nicht daran teilzunehmen. Nicht einmal die Gegnerinnen und Gegner der Fragestellung haben geglaubt, dass eine Kampagne für ein Nein hätte erfolgreich sein können. Offenbar zu Recht. Sie haben stattdessen darauf gesetzt, bewussten Widerstand mit apolitischer Faulheit zu verknüpfen. Klug.

Aber das deutet zugleich auf ein grundsätzliches Problem von Volksabstimmungen hin: Fast immer geht es dabei um die Frage, wie eine populistische Position abgewehrt werden kann – fast nie darum, eine differenzierte Meinungsbildung im Hinblick auf ein komplexes Problem zu ermöglichen.

Wer schon immer gegen „die da oben“ war, hat bei einem Referendum eine ziemlich risikofreie Möglichkeit, die zu ärgern, die er oder sie ablehnt. In einer Volksabstimmung wird ja nicht darüber entschieden, wer die nächste Regierung bildet, sondern stets nur eine Detailfrage. Warum also nicht die Gelegenheit nutzen, angestauten Frust rauszulassen?

Rechte und rechtspopulistische Bewegungen haben das Referendum entdeckt, um sich das Mäntelchen einer demokratischer Gesinnung umzuhängen. Teile des linken Spektrums reagieren mit verwirrter Empörung: War die Forderung nach mehr direkter Demokratie nicht stets ihr Vorrecht gewesen – um dem Einfluss von Lobbyisten oder korrumpierten Abgeordneten entgegenwirken zu können?

Mal eben den Euro rückgängig machen?

Doch auch die Linke war nie gefeit vor den Verlockungen, die Populismus bietet. Der Versuch, einen – ungerichteten – Ärger gegen die Herrschenden zu entfesseln, ist ihr wahrlich nicht fremd. Aber wenn Wut erst einmal entfacht ist, kann man nie so genau wissen, wogegen sie sich richtet. Wie zahlreiche historische Beispiel zeigen.

Rechtspopulistische Bewegungen gewinnen weltweit an Zulauf. Wenn man ihnen Einhalt gebieten will, wird man genau hinschauen müssen, worauf das Prinzip der parlamentarischen Demokratie eigentlich gründet. Nämlich darauf, Macht – und damit die Möglichkeit, weitreichende Entscheidungen zu treffen – für einen genau definierten Zeitraum zu delegieren. Wahlen sollen einen Kurs entscheiden, nicht etwa Detailfragen.

Das kommt den Interessen der vielen entgegen, die keine Zeit haben – oder, was übrigens auch legitim ist, keine Lust –, sich in alle Einzelheiten politischer Fragestellungen einzuarbeiten. Sei es die Entscheidung, ob Ethikunterricht besser ist als Religionsunterricht, ob die Einführung des Euro rückgängig gemacht werden oder ob die Sonne künftig um die Erde kreisen sollte.

Ein Genuss, das Parlament zu ärgern

Natürlich ist das letzte Beispiel polemisch. Aber unterstellen wir einmal, darüber würde ein Referendum abgehalten: Möchte irgendjemand darauf wetten, dass die Frage nicht zumindest 20 Prozent begeisterte Ja-Stimmen erhielte? Und sei es auch nur, weil manche es genießen würden, das Parlament zu ärgern?

Kornfelder und ein Kaff: In der Einöde Minnesotas wünschen sich viele Jugendliche Trump als Präsidenten. Unsere Autorin hat ein Jahr dort gelebt und ihre Eindrücke aufgeschrieben. Die Geschichte lesen Sie in der taz.am wochenende vom 08./09. Oktober. Außerdem: Christine Nöstlinger spricht über Feminismus, Ehe und wie die Figur der feuerroten Friederike geboren wurde. Und unser Hauspsychologe Christian Schneider hat AfD-Chefin Frauke Petry besucht. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wer die parlamentarische Demokratie erhalten möchte, sollte jetzt Parteien und staatliche Institutionen unterstützen. Allerdings nur unter einer Bedingung: Parteien müssen weiterhin voneinander zu unterscheiden sein.

Wer das Gefühl hat, seine oder ihre Wahlentscheidung spiele keine Rolle, wird nach Alternativen suchen. Also, beispielsweise, nach mehr direkter Demokratie. Die Verantwortung für einen Siegeszug des Populismus sollte die politische Klasse nicht bei der Bevölkerung abladen.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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