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Zwischen den Fronten

Gemengelage Regierungstruppen, Rebellen, Kurden, IS – und ihre Unterstützer: die Akteure und Fronten des Krieges sind zahlreich

Andreas Zumach

ist seit 1988 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf. Er schreibt über internationale Politik, Menschenrechte und Kriege. 2015 erschien sein Buch „Globales Chaos – machtlose UNO“.

von Andreas Zumach

Syrische Regierung und ihre ausländischen Unterstützer

Aufseiten der Regierung von Präsident Baschar al-Assad gibt es insgesamt 200.000 bis 220.000 militärische Kämpfer: Die größten Verbände sind die regulären Bodentruppen und Luftstreitkräfte der syrischen Armee und die Einheiten der Nationalen Verteidigungsgruppen (National Defence Forces). Hinzu kommen diverse lokale Milizen und paramilitärische Verbände, Kämpfer der libanesischen Hisbollah, Mitglieder der iranischen Al-Quds-Einheiten sowie schiitische Milizen aus dem Irak.

Russland unterstützte die Regierung seit Beginn des Bürgerkriegs mit Waffen- und Munitionslieferungen und seit dem 30. September 2015 auch mit Luft- und Raketenangriffen vorwiegend auf Stellungen islamistisch-salafistischer Oppositionsmilizen. Mit Inkrafttreten der Waffenruhe am 27. Februar stellte Russland diese Angriffe weitgehend ein. Anfang dieser Woche kündigte Moskau den weitgehenden Abzug seiner Luftstreitkräfte an. Regierungstreue Kämpfer kontrollieren derzeit weitgehend das gesamte westliche Drittel Syriens von Azaz an der Grenze zur Türkei über Aleppo, Idlib, Homs, Damaskus bis Daraa an der südlichen Grenze zu Jordanien.

Rebellen/Bewaffnete Oppositionsgruppen und ihre ausländischen Unterstützer

Der Oppositionsszene, die außerhalb der vom „Islamischen Staat“ (IS) kontrollierten Gebiete gegen die Regierung Assad kämpft, gehören 65.000 bis 80.000 Kämpfer an; die meisten in der Koalition der salafistischen Islamischen Front. Die beiden stärksten Gruppen in dieser Koalition sind die Islamische Bewegung Freier Männer der Levante (Aharar al-Scham) mit 15.000 bis 20.000 Kämpfern und die Armee des Islam (Dschaisch al-Islam) mit 8.000 bis 10.000 Mitgliedern.

Weitere 10.000 Kämpfer finden sich in lokalen islamistischen Gruppen, die eng mit der Islamischen Front kooperieren. Dasselbe gilt auch für die über 20.000 Kämpfer der Unterstützungsfront für das syrische Volk (Dschabat al Nusra). Der syrische Arm des Al-Qaida-Netzwerks wird vom UNO-Sicherheitsrat offiziell als „Terrororganisation“ eingestuft, die ebenso wie der „Islamische Staat“ von der Waffenruhe ausgenommen ist und weiter militärisch bekämpft werden darf.

Tatsächlich kämpfen die Mitgliedsgruppen der Islamischen Front jedoch fast überall in Kooperation mit dem Al-Qaida-Ableger. Aus diesem Grund stuft Russland Mitgliedsgruppen der Islamischen Front als weiter zu bekämpfende Terrororganisationen ein, während der Westen diese Gruppen als politisch legitime und militärisch relevante Teile der Opposition gegen Assad betrachtet.

Politisch, finanziell sowie – durch Waffenlieferungen und Ausbildung – militärisch unterstützt werden die Mitgliedsgruppen der Islamischen Front wie auch der Al-Nusra-Front von Saudi-Arabien, Katar und anderen Golfstaaten, sowie von der Türkei, den USA und anderen westlichen Ländern. Und dies, obwohl ausnahmslos sämtliche Mitgliedsgruppen der Islamischen Front wie auch al-Nusra erklärtermaßen nicht für eine säkulare Demokratie in Syrien kämpfen, sondern für einen religiösen Gottesstaat mit mehr oder weniger demokratischen Strukturen unter dem islamischen Recht der Scharia.

Freie Syrische Armee und Kurden

Die im Oktober 2012 von desertierten Soldaten der Regierungsstreitkräfte gebildete Freie Syrische Armee (FSA) und andere bewaffnete Oppositionsgruppen, die für eine säkulare Demokratie kämpfen, sind nach fünf Jahren Bürgerkrieg weitgehend marginalisiert und verfügen nur noch über 3.000 bis 5.000 Kämpfer.

Viele frühere Mitglieder der FSA haben sich inzwischen islamistischen Rebellengruppen angeschlossen oder kämpfen im Norden Syriens gemeinsam mit den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG), dem bewaffneten Arm der Partei der Demokratischen Union (PYD).

Die 25.000 bis 30.000 YPG-Kämpfer kontrollieren fast die gesamten kurdisch besiedelten Regionen an der Grenze zur Türkei. Am Donnerstag rief die PYD eine eigene Föderation für die drei kurdischen Grenzregionen Kobani, Afrin und Dschasire aus. Während die YPG mit Luftunterstützung der USA die Milizen des IS aus einigen Regionen zurückdrängen konnte, bekämpfen seit Anfang Februar die Streitkräfte der Türkei Stellungen der Volksverteidigungseinheiten YPG im syrischen Norden mit Luft- und Artillerieangriffen. Die Regierung Erdoğan betrachtet die YPG als Verbündete der von ihm ebenfalls militärisch bekämpften kurdisch-türkischen Arbeiterpartei PKK.

„Islamischer Staat“

Der IS verfügt in Syrien über rund 30.000 Kämpfer, neben Syrern auch viele aus nordafrikanischen, nahöstlichen und europäischen Ländern. Er kon­trolliert etwa 50 Prozent des syrischen Territoriums. Finanziell, logistisch und militärisch unterstützt wurde der IS in der Vergangenheit von Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten sowie – weil der IS auch gegen die syrischen Kurden kämpft – von der Türkei.

Im Irak verfügt der IS über weitere rund 20.000 Kämpfer. Die USA führen mit Unterstützung einiger europäischer und nahöstlicher Staaten sowie Australiens bereits seit August 2014 einen massiven Luftkrieg und setzen gegen den IS im Irak und seit September 2015 auch in Syrien Spezialtruppen am Boden ein.

Die Luftkriegskoalition verschoss in über 11.000 Einsätzen mehr als 41.000 Bomben, Drohnen und Raketen gegen den IS.

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