Polizeibericht zu Übergriffen in Köln: „Chaotisch und beschämend“
Der interne Bericht eines Polizeibeamten offenbart die Überforderung der Polizei. Auch die Aggressivität der Täter wird beschrieben.
Der „viel zu geringe Kräfteansatz, fehlende Führungsmittel und Einsatzmittel“ hätten „alle eingesetzten Kräfte ziemlich schnell an die Leistungsgrenze gebracht“, heißt es in dem Einsatzprotokoll, dessen Authentizität die Bundespolizeidirektion Sankt Augustin der taz bestätigte. Die Einsatzkräfte hätten nicht aller Übergriffe und Straftaten Herr werden können, „dafür waren es einfach zu viele zur gleichen Zeit“.
In drastischen Worten beschreibt der Oberkommissar die „chaotische und beschämende Situation“ in der Silvesternacht. Feuerwerkskörper jeglicher Art und Flaschen seien wahllos in die Menge gefeuert worden. „Frauen mit Begleitung oder ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne ‚Spießroutenlauf‘ durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann.“ Aufgewühlte Passanten seien auf die Beamten zugelaufen und hätten „über Schlägereien, Diebstähle, sexuelle Übergriffe an Frauen usw.“ berichtet.
Selbst das Erscheinen der Polizeikräfte hätte „die Massen nicht von ihrem Tun“ abgehalten. Im Gegenteil: Nahmen die Beamten „Hilferufe von Geschädigten“ wahr, seien sie „z. B. durch Verdichtung des Personenringes/Massenbildung daran gehindert“ worden, „an die Betreffenden zu gelangen“. „Geschädigte/Zeugen wurden vor Ort, bei Nennung des Täters bedroht oder im Nachgang verfolgt.“
Aus dem Protokoll des Polizisten
Erteilte Platzverweise seien folgenlos geblieben: „Betreffende Personen tauchten immer wieder auf und machten sich einen Spaß aus der Situation.“ Eine Ingewahrsamnahme sei „in dieser Lage aufgrund der Kapazitätsgrenzen nicht in Betracht“ gekommen. Auffällig sei „die sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Maßnahmen“ gewesen.
Während es in der schriftlichen Darstellung der Kölner Polizei vom Dienstag noch heißt, nach der Räumung des Bahnhofsvorplatzes um Mitternacht hätte sich die Situation zunehmend beruhigt, zeichnet der interne Bundespolizeibericht ein anderes Bild. Danach sei es im weiteren Einsatzverlauf „immer wieder zu mehrfachen körperlichen Auseinandersetzungen vereinzelter Personen wie auch Personengruppen, Diebstählen und Raubdelikten an mehreren Ereignisorten gleichzeitig“ gekommen.
Außerdem seien „zahlreiche weinende und schockierte“ Frauen und Mädchen bei den eingesetzten Beamten erschienen und hätten sexuelle Übergriffe geschildert. Immerhin hätten im Bahnhof jedoch aufgrund der ständigen Präsenz der Einsatzkräfte und aufmerksamer Passanten „vollendete Vergewaltigungen verhindert werden“ können.
Parlamentarisches Nachspiel
Die Schilderungen in dem Einsatzprotokoll decken sich mit zahlreichen Betroffenen- und Zeugenaussagen – weichen allerdings in ihrer Dramatik von der bisherigen offiziellen Version der Kölner Polizei ab. Wie ist das möglich? Am Donnerstag musste Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers zum Rapport bei NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) antreten.
Am kommenden Montag beschäftigt sich der Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags auf einer Sondersitzung mit dem Kölner Silvesterdesaster. „Aus Respekt vor dem Parlament werde ich für die Öffentlichkeit zunächst bis zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Details zur Einsatzvorbereitung und zum Einsatzverlauf erläutern“, teilte Albers mit.
Nach Angaben der Kölner Polizei ist die Zahl der Strafanzeigen inzwischen auf 170 gestiegen. Dabei geht es in 117 Fällen um sexuelle Übergriffe – zumeist in Kombination mit Diebstahl oder Raub. Zwei Vergewaltigungen wurden angezeigt. Wie viele Frauen und Männer tatsächlich zu Schaden gekommen sind, sei bisher unklar und werde noch überprüft, sagte eine Polizeisprecherin der taz. Oft bezögen sich die Anzeigen auf mehrere Opfer. Deren Zahl liegt dementsprechend höher als die der Anzeigen. Sehr viele der Geschädigten stammen nicht aus Köln.
Größe der Tätergruppe unklar
Weshalb die Zahl der angezeigten sexuellen Übergriffe in den letzten Tagen stark angestiegen ist, erklärte die Sprecherin mit der neuen Gewichtung der Ereignisse. Manche Anzeigen hatten zunächst keine sexuelle Handlung beinhaltet. „Als Beispiel: Ein Schlag auf den Po ist vielleicht als nicht so schlimm bewertet worden“, erläuterte sie. „Das ist erst auf gezielte Nachfrage jetzt herausgekommen.“ Bei ersten Vernehmungen hätten sich die Beamten noch nicht auf Sexualdelikte konzentriert. „Auf der Wache war in der Nacht das Ausmaß nicht klar“, sagte die Sprecherin.
Nach wie vor unklar ist die Größe der Tätergruppe. Zwar hielten sich in der Silvesternacht mehr als 1.000 Menschen am Hauptbahnhof auf, wie viele davon Straftaten begingen, sei jedoch ungewiss. Das gilt insbesondere für jene – nach Zeugenaussagen „nordafrikanisch“ aussehende – Gruppe, die mit einer brutalisierten, sexuell übergriffigen Form des „Antanz“-Tricks Frauen beraubt und beklaut haben: Es könne durchaus sein, dass es sich hier „nur um 10 bis 20 Täter handelt“, sagte die Sprecherin.
Nach Angaben des Bundesinnenministerium hat die Bundespolizei bislang 31 namentlich bekannte Tatverdächtige festgestellt, davon hätten 29 eine ausländische und zwei die deutsche Staatsbürgerschaft. Wie ein Sprecher des Ministeriums am Freitag in Berlin mitteilte, wurden neben den beiden Deutschen neun algerische, acht marokkanische, vier syrische, fünf iranische, ein irakischer, ein serbischer und ein US-amerikanischer Tatverdächtiger ermittelt. 18 der 29 Ausländer hätten den Status als Asylbewerber. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe beziehen sich überwiegend auf Diebstahls- und Körperverletzungsdelikte. Sexualdelikte seien bisher nicht mit den Asylbewerbern in Verbindung gebracht worden, sagte der Ministeriumssprecher.
Handyvideos aus der Silvesternacht
Bei der Bundespolizei seien zwar drei Strafanzeigen wegen Sexualdelikten, die als „Beleidigung auf sexueller Basis“ eingestuft worden seien, eingegangen. Tatverdächtige seien in diesen Fällen aber bisher nicht ermittelt worden. Der Sprecher betonte, seine Angaben beschränkten sich auf den Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei, die ihrem Auftrag gemäß nur innerhalb des Kölner Hauptbahnhofs sowie bis zu einer Entfernung von 30 Metern auf dem Vorplatz eingesetzt war.
Die Kölner Polizei hat Ermittlungsverfahren gegen 21 Tatverdächtige eingeleitet. In der Nacht zum Freitag nahm sie am Breslauer Platz hinter dem Hauptbahnhof zwei junge Männer nicht-deutscher Herkunft fest. Bei ihrer Durchsuchung stellten die Beamten Handys sicher, auf denen Videos und Fotos aus der Silvesternacht gespeichert waren. Unter anderem sollen sexuelle Übergriffe auf Frauen zu sehen sein.
Außerdem wurde ein Zettel gefunden, der handschriftlich verfasste Übersetzungshilfen in deutscher und arabischer Sprache enthält. Das Spektrum der Übersetzungen reicht von „Ich scherze mit Ihnen“ über „Ich will fucken“ bis „Ich töte Sie“. Die beiden Männer, die nach Polizeiangaben aus dem nordafrikanischen Raum stammen und im Alter von 16 und 23 Jahren sind, sollen am Samstag dem Haftrichter vorgeführt werden.
Ähnliche Taten in anderen Städten
Bereits seit vergangenem Sonntag befinden sich zwei Männer in Untersuchungshaft, die am frühen Sonntagmorgen mehrere Frauen bedrängt und per „Antanz“-Trick einen Reisenden bestohlen haben sollen. In den Taschen und Jacken der Verhafteten fanden die Beamten sowohl das Handy des Geschädigten als auch weitere Mobiltelefone und ein Tablet, für die kein Eigentumsnachweis erbracht werden konnte. Ob die beiden Männer auch in Zusammenhang mit den Vorfällen der Silvesternacht stehen, ist allerdings nach wie vor unklar.
Das zur Aufklärung der Kölner Ereignisse eingerichtete Ermittlungsteam wurde inzwischen von 10 auf knapp 80 Beamte verstärkt. Auch in Hamburg wurde eine Ermittlungsgruppe eingerichtet. Dort hatte es auf der Reeperbahn und am Jungfernstieg vergleichbare Vorfälle wie in Köln gegeben. In der Hansestadt wurden bislang 70 Strafanzeigen wegen sexueller Belästigung gestellt. In 23 der genannten Fälle sind die Frauen auch bestohlen oder beraubt worden. Zudem sind zwei Fälle von Körperverletzung angezeigt worden. Mit Blick auf Köln sagte ein Hamburger Polizeisprecher: „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass es da Verbindungen gibt.“
Auch in Berlin, Stuttgart, Düsseldorf, Nürnberg und weiteren Städten gab es ähnliche Taten, allerdings in weit geringeren Umfang.
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