Micha Brumlik über Juden und Muslime: „Problematische Pauschalurteile“

Die Äußerungen Josef Schusters über arabische Kultur hält Micha Brumlik für schwierig. Und die Debatte über Obergrenzen für Flüchtlinge findet er schrecklich.

Flüchtlinge knien zum Gebet nieder in einer Ecke ihrer Unterkunft.

„Muss ich befürchten, dass sie bei der nächsten Wahl AfD wählen?“ Flüchtlinge beim Gebet in einer Unterkunft in Thüringen. Foto: dpa

taz: Herr Brumlik, der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, hat mit seinen Äußerungen über Flüchtlinge aus Syrien den Vorwurf auf sich gezogen, rassistische Ressentiments zumindest zu bedienen. Wie sehen Sie das?

Micha Brumlik: Ich finde es problematisch, dass Josef Schuster ein Pauschalurteil über das abgegeben hat, was er für arabische Kultur hält – also über einen Raum, der immerhin vom Atlantik bis an den Indischen Ozean reicht.

Seine Äußerungen werfen die Frage auf, wie verbreitet solche Einstellungen in der jüdischen Gemeinde in Deutschland sind. Sind sie symptomatisch?

Ich vermute, ja. Die jüdische Gemeinschaft heute besteht ja zu etwa 90 Prozent aus Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion. Nun wissen wir aus soliden soziologischen Untersuchungen, etwa den Untersuchungen der an der Bar-Ilan-Universität lehrenden Soziologin Larissa Remenik, dass die Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion die politische Landschaft Israels tatsächlich – in einer wenn auch säkularen Weise – nach rechts verschoben haben. So darf man daraus schließen, dass dies in den jüdischen Gemeinden in Deutschland nicht wesentlich anders sein wird.

Viele Flüchtlinge entstammten „Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind“, hat der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, kürzlich der Welt gesagt, und hinzugefügt, man könne „zu dem Schluss kommen, hier handele es sich nicht um ein religiöses Problem, sondern um ein ethnisches“. Dass er zudem über eine Asyl-„Obergrenze“ sinnierte, hat ihm viel Protest eingebracht:Vergangenen Dienstag demonstrierten in Berlin etwa 70 Menschen unter dem Motto „Nicht in unserem Namen – Juden gegen Rassismus“ gegen die Äußerungen. (bx)

Einige der Wortführer des anti­muslimischen Diskurses in Europa sind jüdischer Herkunft – aber allesamt keine Einwanderer aus der Sowjetunion, sondern alteingesessen. Dazu zählen in Deutschland etwa Henryk M. Broder und der verstorbene Ralph ­Giordano, Leon de Winter in den Niederlanden oder Éric Zemmour und Alain Finkielkraut in Frankreich. Geht das Problem nicht doch tiefer?

Das ist richtig. Aber das sind doch mehr oder weniger Einzelstimmen, die nicht die Meinung jüdischer Gemeinden und Gemeinschaften repräsentieren. Ich will auch darauf hinweisen, dass Josef Schuster ausdrücklich zwischen dem Islam als Religion und dem, was er für arabische Kultur hält, unterschieden hat. Mit Leuten wie Ralph Giordano habe ich mich in den letzten Jahren heftig gestritten. Er glaubte auf seine alten Tage ein weiteres Mal, gegen etwas Faschistoides ankämpfen zu müssen, und war weder bereit noch willens, zwischen Islam als Religion und Islamismus als politischer Ideologie zu unterscheiden. Darin liegt letzten Endes das Problem. Das ist so, als würde man nicht unterscheiden wollen zwischen dem Christentum und dem Franco-Faschismus – oder zwischen Judentum und dem, was die Siedler im Westjordanland betreiben.

Früher haben sich prominente Vertreter der jüdischen Gemeinde wie Ignatz Bubis, Michel Friedman und Stephan Kramer offensiv für den Dialog mit den Muslimen eingesetzt. Sind diese Stimmen in der Defensive?

Das sehe ich nicht so. Michel Friedman setzt sich in Wort und Tat und im Fernsehen immer noch für diesen Dialog ein, und jüngere Kräfte aus der jüdischen Gemeinschaft in Berlin wie etwa die Gruppe Salaam-Schalom tun das auf ihre Weise auch heute. Es könnte aber sein, dass die alten Kämpen etwas müde geworden sind.

Der islamistische Terror – Toulouse, Brüssel und jetzt Paris – verunsichert viele Juden in Europa. Berichte über antisemitische Slogans bei Demonstrationen oder Übergriffe von arabischstämmigen Jugendlichen verstärken das noch. Sind Ängste und Vorbehalte da nicht verständlich?

68, Publizist und emeritierter Professor für Erziehungswissenschaften. Er war von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts, einem Forschungs- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust in Frankfurt am Main. Am 24. November beteiligte er sich an der Protestkundgebung in Berlin unter dem Motto „Nicht in unserem Namen – Juden gegen Rassismus“.

Die sind verständlich. Sie zeugen aber auch davon, dass man nicht genau hinschaut. Ich habe mir regelmäßig diese antiisraelischen Al-Quds-Demonstrationen in Berlin angesehen, auch die letzte im Juni dieses Jahres. Da waren, wenn ich das richtig geschätzt habe, etwa 1.300 Leute, und zwar aus dem gesamten Bundesgebiet. Demgegenüber wohnen allein in Berlin, wenn ich richtig informiert bin, über 200.000 Muslime, darunter auch sehr viel mehr Menschen aus dem arabischen Raum. Gemessen daran besteht kein großer Grund zur Beunruhigung – selbst dann, wenn wir uns nur auf die arabischen Migranten konzentrieren. Und wenn man sich ansieht, in welchen Stadtteilen in Berlin antisemitische Vorfälle zu verzeichnen sind, hat im Sommer sogar die Bild-Zeitung vermeldet, dass die meisten Vorkommnisse in bürgerlichen Vierteln wie Charlottenburg und Wilmersdorf verzeichnet wurden – und nicht etwa in Einwandererbezirken wie Neukölln.

Wie kann man einer wachsenden Entfremdung und zunehmendem Misstrauen zwischen Juden und Muslimen entgegenwirken? Welche positiven Entwicklungen sehen Sie?

Ich sehe positive Entwicklungen bei Gruppen wie der erwähnten Initiative Salaam-Schalom. Und zweitens in der menschlichen Begegnung. Zumindest die Synagoge, die ich in Berlin besuche, hat regelmäßig muslimische Besucherinnen und Besucher. Und umgekehrt lädt auch so manche Moschee nichtmuslimische und jüdische Besucher ein und sucht den Dialog. Mein Gefühl ist, dass die Medien vielleicht mehr über diese positiven Entwicklungen berichten sollten als über das, was uns besorgt.

In Israel ist die Gesellschaft nach rechts gerückt, aus der rechten Regierungskoalition kommen durchaus rassistische Töne. Wie wirkt das auf die jüdischen Gemeinden in Europa und den USA?

In Deutschland war es bislang immer so, dass sich die jüdische Gemeinschaft daran orientiert hat, wie sich die jeweilige israelische Regierung verhalten hat. Eine Distanzierung gibt es hier nicht. In den USA ist es etwas anders: Dort ist die jüdische Bevölkerung immer stärker gespalten, was ihre Haltung zu Israel und seiner Politik angeht. Dort wächst die Kritik, und auch dort gibt es einen Generationenkonflikt. Die ältere Generation um die sechzig liegt sehr auf Regierungslinie, während jüngere Leute eher auf Distanz gehen und versuchen, einen eigenen, kritischen Standpunkt zu vertreten.

Sehen Sie die Gefahr, dass diese Kulturkampf-Rhetorik der israelischen Rechten auch auf die jüdischen Gemeinden in Europa abfärbt?

Ja, das ist ein Problem. Einerseits lehnen die Gemeinden es völlig zu Recht ab, für die israelische Politik in Haftung genommen zu werden. Andererseits fühlen sie sich im Zweifelsfall doch eher gedrängt, diese Politik in irgendeiner Weise zu verteidigen oder richtigzustellen. Andererseits fällt nun auf, dass sich insbesondere rechtspopulistisch gestimmte Kreise neuerdings massiv für Israel einsetzen oder zumindest so tun, als ob. Bei mancher Pegida-Demonstration waren Israel-Fahnen zu sehen. Politiker der FPÖ in Österreich fahren dann und wann in die besetzten Gebiete und in die Siedlungen. Und neuerdings gibt sich sogar Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National, der früher einmal antisemitisch war, sehr israelfreundlich.

Haben Sie selbst gar keine ­Befürchtungen, dass sich durch die Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan bestehende Konflikte verschärfen könnten?

Nein. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass wenig bis ungebildete junge Männer die Mehrheit bilden, wie oft gesagt wird – wenn die irgendwann mal Deutsch können und irgendwo mehr oder weniger gut entlohnt arbeiten, was soll da passieren? Muss ich befürchten, dass sie bei der nächsten Wahl AfD wählen? Oder dass hier in Deutschland eine islamistische Partei entsteht, die in die Parlamente kommt? Dazu fehlt es mir an Fantasie, das sehe ich überhaupt nicht. Der Antisemitismus, den es in Deutschland zweifelsohne gibt, hat übrigens mit den schon lange hier lebenden palästinensischen Jugendlichen und mit den Asylbewerbern aus dem ­Libanon qualitativ und quantitativ vergleichsweise wenig zu tun. Die spielen da eigentlich keine Rolle, wie wir durch die Sozialforschung wissen.

Sie sind selbst ein Kind von Flüchtlingen. Wie finden Sie die Debatte über Obergrenzen fürs Asyl?

Ziemlich schrecklich. Meine Mutter verdankt ihr Leben dreierlei verschiedenen Gruppen von Menschen, die ihr geholfen haben: einmal französischen Nachbarn, die sie 1942 in Paris nicht der Polizei preisgegeben haben. Dann einem syrischen Studenten, der meiner Mutter und Schwester bei der Flucht aus Paris in die Schweiz geholfen hat. Und schließlich Schweizer Polizisten im Kanton Genf, die meine Mutter nicht zurückgeschickt haben. Deshalb unterstütze ich Angela Merkel voll und ganz, wenn es darum geht, großzügig Flüchtlinge aufzunehmen.

Die CDU plant jetzt, eine gesetzliche Integrationspflicht einzuführen, um Einwanderer unter anderem zu verpflichten, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Was halten Sie davon?

Das ist ein völlig sinnloser Vorschlag. Um das effektiv überprüfen zu können, müsste man etwa nach erfolgter Einbürgerung das Wahlgeheimnis aufheben. Außerdem wäre diese Pflicht, nachdem die Einwanderer deutsche Bürger geworden sind, verfassungswidrig, da Deutsche ja auch nicht getestet werden. Man könnte natürlich, wie das in den USA praktiziert wird, dem Einbürgerungsakt eine Prüfung vorschalten, in der die Einwanderer zeigen müssen, dass sie die deutsche Verfassung kennen. Bei Nichtbestehen dieser Prüfung würde die Einbürgerung eben nicht stattfinden. Diese Prüfung sollte aber ebenso wiederholt werden können wie die Führerscheinprüfung.

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