taz-Übernahme durch Klima-Aktivist*innen: Anfang oder Ende
Die Klimabewegung hat viel geschafft, politische Erfolge sind aber ausgeblieben. Aktivist*innnen übernehmen die taz und sagen: Es braucht mehr Radikalität.
D ie Klimakrise ist längst zur Realität geworden und bedroht auch Menschenleben. Trotzdem ist unsere Gesellschaft immer noch nicht bereit, den Fakten ins Auge zu blicken. Das wurde wieder einmal besonders deutlich, als Wirtschaftsminister Peter Altmaier Anfang September seine „Klimacharta“ ankündigte, mit der er Deutschland bis 2050 klimaneutral machen will. Altmaier wurde dafür viel gelobt, sein Vorschlag „historisch“ und „Klimakehrtwende“ genannt, manche warnten sogar davor, das Programm sei zu radikal.
Was in der öffentlichen Debatte dagegen systematisch ausgeblendet wurde, obwohl es bekannt sein sollte: Die Klimakrise ist inzwischen so dringlich und fortgeschritten, dass die Ziele dieser „Klimacharta“ immer noch völlig unzureichend sind.
Denn die Realität hat längst die schlimmsten Befürchtungen übertroffen, sodass selbst wissenschaftliche Worst-Case-Szenarien nach oben korrigiert werden müssen. Das gilt vor allem bei den Kipppunkten im Klimasystem, deren Effekte in den Prognosen des Weltklimarats IPCC lange gar nicht erst mitgerechnet wurden. Heute weiß man, dass der Permafrostboden bereits begonnen hat zu tauen – und damit Milliarden von Tonnen CO2 freiwerden, die wiederum weitere Kipppunkte aktivieren und damit die Erde um mehrere Grad erwärmen werden. Unter solchen Umständen wäre das Überleben der Menschheit völlig ausgeschlossen.
Wir sitzen also auf einer tickenden Zeitbombe und müssen so schnell wie möglich handeln. Angesichts dessen ist das Ziel, bis 2050 Emissionsneutralität zu erreichen, völlig unsinnig. Ist man realistischer, dann gibt es nur zwei Optionen: sofortige Klimakehrtwende oder Untergang.
Regierungen weltweit beweisen regelmäßig, dass sie darauf keine Antworten liefern werden, Altmaiers „Klimacharta“ ist dabei nur eine weitere Bestätigung. Während wir auf eine Wand zufahren, geben diejenigen, die uns davor schützen sollten, noch extra Gas. Wenn aber Machthabende nicht einmal das fundamentalste aller Rechte – das Recht auf Leben – garantieren können, bedeutet das nicht die größte denkbare Legitimationskrise? Macht das aktiven Widerstand nicht unausweichlich?
Genau diesen Widerstand versucht die Klimabewegung zu organisieren. Sie hat in den letzten Jahren wichtige Arbeit geleistet, hat aufgeklärt, diskutiert und gekämpft – und damit die Klimakrise auf die politische Tagesordnung gerückt. Realpolitische Erfolge aber gab es bis jetzt nicht zu verbuchen.
Wir müssen also Wege finden, wirksamer zu werden, und das schnell. Denn wir handeln unter massivem Zeitdruck. Was bis jetzt geschehen ist, war entweder nur der Anfang des Widerstandes oder aber es war der Anfang vom Ende.
Aus der Bewegungsforschung weiß man, dass gut organisierte 3 bis 5 Prozent der Bevölkerung ausreichen, um einen gesellschaftlichen Wandel zu erreichen. Zwar sprechen sich in aktuellen Umfragen 97 Prozent der Menschen für eine schnellere Energiewende aus, doch was bringt eine solche passive Zustimmung? Wenn nur ein Bruchteil dieser Mehrheit selber aktiv wird, würde „Klimagerechtigkeit“ nicht mehr so sehr nach naiver Utopie klingen.
Außerdem müssen wir hinterfragen, ob bisherige Protestformen tatsächlich den viel zitierten „politischen Druck“ ausgeübt haben. Wenn selbst das lächerliche Klimapäckchen und der katastrophale Kohlekompromiss nach den und trotz der größten Demonstrationen in der deutschen Gesichte verabschiedet wurden, dann sind die Demos wohl zu leicht zu ignorieren gewesen. Statt weiterhin die eigene Meinung auf der Straße nur symbolisch kundzutun, in der Hoffnung, dass dann eine Wählerwanderung stattfindet, müssen wir andere Hebel finden, die Entscheidungsträger*innen direkter erreichen.
Nach dem Konzept Schulstreik sind andere Formen der Bestreikung längst überfällig. Da die Klimakrise keinen Teil der Gesellschaft unberührt lässt, ist auch ein Generalstreik eine Idee, die wenigstens ernsthaft diskutiert werden sollte.
Für all das ist es unabdingbar, einen anderen Maßstab für Radikalität zu entwickeln. Zwar ist dieses Wort immer noch negativ besetzt – ursprünglich aber bezeichnete es nichts anderes, als ein Problem an der Wurzel zu packen. Wenn alles auf dem Spiel steht, dann ist radikal einfach nur vernünftig.
Gerade die Coronakrise hat gezeigt, dass die große Mehrheit bereit ist, „radikal“ zu sein, um Menschenleben zu schützen – vorausgesetzt, die Gefahr wird ernst genug genommen.
Und damit das auch in Bezug auf die Klimakrise endlich geschieht, dafür tragen unter anderem die Medien enorme Verantwortung, der sie bis jetzt leider oft noch nicht gerecht werden. Zu oft werden die entscheidenden Fakten ignoriert (wie das Beispiel Altmaier zeigt) oder nur am Rande erwähnt, relativiert oder dekontextualisiert. Zu selten wird die Klimakrise auch als Systemkrise dargestellt, werden Möglichkeiten aufgezeigt, aus dem bestehenden System auszubrechen. Dadurch wird die kollektive Verdrängung weiter gefördert.
Um das zu ändern, schreiben wir als Klimaaktivist*innen am Donnerstag für die taz. Wir wollen aufzeigen, wieso, wofür und womit die Bewegung kämpft, und damit nur einen Anfang liefern, damit künftig jeder Tag Klimatag ist.
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