taz-Sonderausgabe zu Utopie: Fuck the Dystopie
Es kann eigentlich nur schlimmer werden, denken viele. Das stimmt nicht. Um handlungsfähig zu werden, müssen wir an eine utopische Zukunft glauben.
![Eine junge Frau trägt Kopfhörer, eine karierte Winderjacke mit Hoodie und zeigt mit beiden Händen den Stinkefinger Eine junge Frau trägt Kopfhörer, eine karierte Winderjacke mit Hoodie und zeigt mit beiden Händen den Stinkefinger](https://taz.de/picture/6608192/14/33913548-1.jpeg)
W ir sind jung. Und wir haben Angst. Meine Generation steht vor einer Klimakrise, unsere Lebensgrundlagen verschwinden, Hass, Kriege und Rechtsruck bedrohen unser Zusammenleben. Die Generationen vor uns, das seid unter anderem ihr Gen Xler und Boomer, haben mit ihrem Hunger nach Wachstum unsere Welt zerstört. Ihr habt die Grundlage für den gesellschaftlichen Zerfall und den Rechtsruck gelegt. Und nicht nur das, ihr habt uns auch die Hoffnung genommen: Eine schlechte Zukunft scheint alternativlos.
Die Welt ist ein Horrorhaus, das habt ihr uns früh beigebracht. In den Jahren, in denen wir aufgewachsen sind, habt ihr eine Popkultur geschaffen, die nur negative Zukünfte zeigt. „Wall-E“, „Matrix“, „Avatar“, „Maze Runner“, „Tribute von Panem“ – sie alle bilden eine Zukunft ab, in der die Natur zerstört wird und Kapitalismus oder Technik die Herrschaft über die Welt an sich gerissen haben. Und das in viel schlimmerer Form als in der Gegenwart.
![Illustration von Ali Arab Purian Illustration von Ali Arab Purian](https://taz.de/picture/6606259/14/20231027Utopie-660x660-1.jpeg)
🐾 Von der Kneipe an der Ecke bis zum solidarischen Garten in Bogotá: Junge Autor*innen haben sich auf die Suche nach utopischen Ideen begeben. Die dabei entstandenen Artikel haben sie in einer Sonderausgabe der taz veröffentlicht.
Ihr habt zwar auch Superheld*innen geschaffen wie Spiderman, Batman und Wonder Woman, mit denen wir uns identifizieren sollen. Doch auch sie leben in Welten, die voller Gewalt sind. Was bei uns ankommt: Die Zukunft kann nur schlechter werden, deshalb seid froh über das, was ihr habt, und beschwert euch nicht so viel.
Was ihr uns nie gegeben habt, sind Perspektiven auf eine bessere Welt. Umweltschutz? Schadet der Wirtschaft. Soziale Gerechtigkeit? Zu teuer. Kommunismus? Hatten wir doch schon, funktioniert nicht. Anarchismus? Wirst du jetzt radikal, oder was?!
So habt ihr eine Generation herangezogen, die darauf gepolt ist, einen Kampf gegen diese Zukunft zu führen. Es stimmt, Angst ist wichtig, um die Dringlichkeit zu verstehen. Denn wir brauchen Aktivist:innen, die sich gegen die Räumung von Dörfern einsetzen. Wir brauchen Angstgefühle im Angesicht der Krisen, damit wir schneller handeln. Wir brauchen auch eine Berichterstattung, die uns zeigt, wie schlecht es der Welt geht, damit wir Mitgefühl entwickeln können.
Doch der Kampf gegen den Status quo allein reicht nicht mehr aus, es braucht auch einen Kampf für etwas. Man kann nichts abschaffen, wenn es keine Ideen gibt, wie man es ersetzen kann. Solange wir keine Vorstellung davon haben, wie toll die Zukunft sein könnte, bleiben wir handlungsunfähig.
Von Selbstwertgefühl zum Gemeinschaftswertgefühl
Wir brauchen deshalb Ideen und Vorstellungen für die Zukunft. Manche von ihnen dürfen völlig unrealistisch und voller Fantasie sein. Das ist Teil des kollektiven Brainstormings. Radikale Ideen und Umbrüche gehören zu unserer gesellschaftlichen Weiterentwicklung dazu.
Neuseeland führte 1902 als erstes Land das Frauenwahlrecht ein. Die USA schafften 1865 die Sklaverei ab. Es wird wieder Zeit für große Umbrüche, die uns voranbringen. Die Veränderung kann bei uns selbst anfangen. Unser erschöpftes Selbstwertgefühl hing bisher davon ab, wie viel wir produzieren, wie schnell wir funktionieren und wie weit wir uns steigern.
Wir brauchen neue Ziele: wie gut wir im Einklang mit der Natur leben und wie liebevoll wir miteinander umgehen zum Beispiel. Statt Selbstwertgefühl brauchen wir ein Gemeinschaftswertgefühl.
Wir dürfen von uns selbst und anderen Menschen nicht mehr verlangen, dass sie sich an ein ungerechtes System, den Kapitalismus, anpassen. Stattdessen müssen wir das System verändern, damit es zu den Menschen passt und uns nicht mehr kollektiv bricht. Denn ökologische Nachhaltigkeit kann nur gelingen, wenn wir uns auch sozial verändern.
Wie das alles funktionieren kann? Dazu haben wir recherchiert. Junge Autor:innen haben sich auf die Suche nach Utopien gemacht: Manche von ihnen gibt es schon im Kleinen, Lokalen, andere existieren in unseren Köpfen und warten auf ihre Umsetzung. Wir schauen dorthin, wo Menschen ihre eigene kleine Anarchie bauen. Wir begeben uns in einen utopischen Garten, in dem eine liebevolle Nachbarschaft entsteht. Wir erforschen, wie wir mit Gewalt in Gruppen besser umgehen können. Wir suchen nach Alternativen zu den antiquierten Erwartungen, die noch immer an Männer gestellt werden. Lasst euch inspirieren. Unsere Zukunft gestalten wir.
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