piwik no script img

taz-Salon in Bremen zum UkrainekriegLieber Gulag als Tod

Wie spricht man über Krieg? Vielleicht am Besten aus einer Position der Unsicherheit. Beim taz Salon haben drei Ex­per­t*in­nen ihr Zagen offengelegt.

Roman Dubasevyc, Susanne Schattenberg und Tamina Kutscher beim taz Salon zum Ukrainekrieg

Bremen taz | Eine unmögliche Frage ist es, die dieser taz Salon in Bremen gestellt hat – die nach der „Möglichkeit von Frieden“. Sie liegt auf der Hand, aber, ach, sie ist so schwierig, so unbequem, dass man manchmal schlucken muss im Verlauf dieses Abends.

„Ich mache diesen Salon aus einer Position der Unsicherheit“, sagte Benno Schirrmeister, „als popeliger Regionalredakteur, der trotzdem nicht nur reden mag über Waffensysteme und Artillerie.“ Es ist nicht die schlechteste Position, um über den Krieg zu sprechen mit diesem starken Podium: Da ist Tamina Kutscher, Chefredakteurin der Online-Plattform dekoder.org, die versucht, der russischen, der ukrainischen, der belarussischen Zivilgesellschaft das Wort zu geben: Dekoder veröffentlicht und übersetzt Texte von dissidenten Jour­na­lis­t*in­nen und Posts aus sozialen Medien.

Da ist Susanne Schattenberg, Direktorin der Bremer Forschungsstelle Osteuropa, deren Länderberichte, so Schirrmeister, „vielleicht die wichtigste deutschsprachige Quelle für Hintergrundinfos aus den früheren Ostblockstaaten“ sei. Und da ist schließlich Roman Dubasevych, der an der Uni Greifswald einen von nur zwei Ukrai­nistik-Lehrstühlen in Deutschland innehat – und an diesem Abend ein fast kompromissloses Plädoyer für das Überleben hält.

Geballte Kompetenz also. Alles­wis­se­r*in­nen aber wollen sie gar nicht sein, eher gibt es Zweifel, Fragen, Abwägen. Niemand gibt vor, vor dem Angriff vom 24. Februar genau gewusst zu haben, was passieren würde. „Ich habe eine Woche vorher gehofft, dass über Diplomatie noch was geht“, sagt Kutscher. Und Schattenberg, die kannte natürlich Putins Vision einer russifizierten Ukraine, die der Präsident vor einem Jahr veröffentlicht hatte. „Aber das schien Theorie“, gibt sie zu. „Ich hätte nie gedacht, dass er das umsetzt.“ Einen offenen Angriffskrieg mit all seinen Risiken hätte sie dem vermeintlich nüchternen Kalkulator Putin nicht zugetraut.

Frieden ist nicht gleich Frieden

Kann man angesichts dieses imperialistischen Strebens einen Frieden mit Russland sinnvoll wollen, fragt Moderator Schirrmeister, fragt später, emotional, auch im Publikum eine Frau. Denn dass ein Frieden ein Frieden wäre, daran haben Schattenberg und Kutscher erhebliche Zweifel: Eine „Donbassisierung“ der gesamten Ukraine unter russischem Einfluss fürchtet Kutscher – ein Schreckensregime, in dem Oppositionelle verhaftet und ermordet würden.

Am Ende müsse man die Diskussion um die Möglichkeit von Frieden den Ukrai­ne­r*in­nen überlassen, ist sich Kutscher mit Schattenberg einig. Als Ukrainer sitzt an diesem Abend nur Roman Dubasevych auf dem Podium; der Kulturwissenschaftler bringt eine schmerzhafte Alternative ein: sich abfinden mit dem Aggressor, trotz alledem.

Mehrheitsfähig wäre das in der Ukraine aktuell wohl nicht, das sieht Dubasevych selbst: „Es herrscht eher das Selbstbild,Wir sind Kosaken, wir kämpfen bis zum Tod'“, sagt er. Auch in Bremen gibt es Gegenwind. „Wenn wir hier über Frieden reden, reden wir über Gulags“, sagt eine Zuschauerin.

Doch selbst in einem Russland-hörigen Staat hätte Putin „keine Macht bis in die kleinste Zelle“, hält Dubasevych dagegen, man sehe das an Belarus, das sich aktuell gegen die Teilnahme am Krieg sperre. Den Gedanken an Repression, selbst an Gulags lässt er zu – als Alternative zum fortdauernden Sterben. „Man kann in der gleichen Straße vier Regime überlebt haben, ohne umzuziehen“, sagt Dubasevych.

Das alles war natürlich viel komplexer – und wer die ganze Debatte als Video nachverfolgen will, hat hier die Chance dazu:

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

taz Salon Bremen: Krieg ohne Ende?

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • „Man kann in der gleichen Straße vier Regime überlebt haben, ohne umzuziehen“, nur wenn man unpolitisch war und Glück hatte. Für viele Menschen gibt es keine Wahl zwischen Kampf und Frieden sondern nur zwischen Kampf und Exil bzw, Verschleppung und Tod.

  • Nein und nochmals nein. Sich abfinden mit einem Agressor: was für eine Feigheit! Lieber unfrei, dafür leben?? Was für eine billge Ausrede, mit zivilem Ungehoram es dem