taz-Debattenserie Digitalisierung: Der digitale Totalitarismus
Das Freiheitsversprechen des Internets ist tot. Derzeit erleben wir, wie digitale Revolution und Neoliberalismus vollends miteinander verschmelzen.
D ie New York Times berichtete kürzlich über Facebooks neues „Zensur-Tool“, entwickelt für den chinesischen Markt. Es ermögliche der Regierung, Themen aus dem News-Feed verschwinden zu lassen. Und damit aus den Köpfen der Menschen. Es ist noch nicht lange her, da galt Facebook als „soziales“ Netzwerk, als Synonym der freien Meinungsäußerung, gar der Freiheit an sich. Doch daran glauben immer weniger Menschen. Auch als Sinnbild der Basisdemokratie wurde das Internet verkauft. Selbst kritische Nerds lassen sich bis heute von diesem Freiheits-Phantasma hypnotisieren, obwohl es inhaltlich nicht haltbar ist.
Das Internet und die Computer-Kultur entstanden aus derselben Wurzel, die sie bis heute prägt: ein akademisch-militärischer Stamm und ein daraus erwachsener Zweig für die Entwicklung von entsprechenden Geschäftsmodellen. So sollte nach dem Grauen des Zweiten Weltkriegs die militärische und ökonomische Vormachtstellung des Westens gesichert werden.
Verdeckt von der Graswurzel-Folklore entstanden allerdings die heutigen Oligopole des Silicon Valley. So supermächtig, dass sie sich selbst als Regenten der neuen Weltordnung begreifen und mit dem Politischen in Konkurrenz treten. Auf dem Kontinent Facebook leben bereits 1,9 Milliarden Bewohner. Doch Mark Zuckerberg lässt sich nicht wählen. Er ist der König.
Das Versagen der Nerds beruht auf ihrer Behauptung, Technologie sei nicht das Problem, Technik sei zunächst neutral. Dieser Unsinn fußt auf einer soziologischen Sehschwäche und zu großer Nähe zum Thema. Sie erkennen den Trugschluss nicht, weil ihre Liebe zum Problemlösen, das Grundprinzip der Informatik, ihr Leben ist und ihnen Bedeutung verleiht. Technologie kann aber gar nicht wertfrei sein, denn sie wurde von Menschen gemacht. In ihr drückt sich ein Weltbild aus. Je komplexer, desto stärker.
Das der Digitalisierung zugrunde liegende Denken erhebt zunehmend den Anspruch, allgemeingültige Vernunft zu sein. So funktioniert jede Ideologie. Und die gegenwärtige wirkt umso wahrer, weil sie auf Mathematik beruht, auf Klarheit und Objektivität. Ihre vermeintliche Reinheit macht sie so dienlich für umfassende Unterwerfung. Die Wurzeln reichen zurück bis zur Entstehung des Computers und: des Neoliberalismus, dessen Virus die Welt mit der Gründung der Mont Pèlerin Society Ende der 1940er infizierte.
In dieser Zeit entwickelte John von Neumann die Architektur des Digitalcomputers; entworfen, um die Atombombe in Los Alamos zu bauen. Er war zugleich auch Vater der Spieltheorie, die das Verhalten von Menschen mathematisch-statistisch berechnen und erklären sollte. Für dieses Modell war die Annahme grundlegend, dass Menschen Nutzenmaximierer seien. Ego-Maschinen. Diese Behauptung fügte sich passgenau in die aufkeimende Ideologie des Neoliberalismus. Es dauerte allerdings Jahrzehnte, bis digitale Revolution und Neoliberalismus vollends verschmolzen. Wir erleben dies gerade.
Waren in der Computer- und Netzkultur Systeme am leistungsfähigsten, die Fehler eigenständig ausgleichen und sich selbst regulieren, tauchte auf der anderen Seite das Ideal eines imaginären Marktes auf, der dann am besten funktionieren würde, wenn er sich frei entfalten könnte – ohne Einmischung der Politik.
Suggestion von Wertfreiheit und Neutralität
Beide Ideen beruhen auf dem Prinzip der Selbststeuerung durch Berechnung und Informationsgewinnung. Der voll automatisierte Hochfrequenzhandel entstand als perfektes Sinnbild der Verschmelzung von digitaler Technologie und neoliberaler Weltaneignung. Deren Anspruch ist total. Die Logik und der Zwang zum Berechnen verdrängen das Grundprinzip der Wertfreiheit aus der Forschung. Durch ihre Ökonomisierung verflüssigen sich die Fundamente unseres Wissens. Statt der Freiheit der Wissenschaften regiert eine Logik, die Wissen nach Verwertbarkeit sortiert.
Weil sich auch Menschen und soziale Beziehungen dieser Berechnungs-Weltanschauung beugen sollen, wurde das Ende der individuellen Privatsphäre rhetorisch eingeleitet. Mit dem Ziel freilich, diese Daten einseitig zu privatisieren. Mit dem totalen Internet, dem „Internet der Dinge“, das alles mit jedem vernetzt, ist die technologische Grundlage dafür auf dem Weg.
Das mathematisch-technizistische Weltbild immunisiert sich vor Kritik, indem es eigene Wertfreiheit und Neutralität suggeriert. Das diesem Denken eingeschriebene Muster lässt sich mit einer nicht endenden Optimierung sämtlicher Prozesse beschreiben. Diese Ideologie kann die Welt nur aus der Warte des Berechenbarmachens betrachten.
Wer sich nicht in die Form pressen lassen möchte, gilt bald als verdächtig oder nicht existent, wie Facebook-Verweigerer. Der digitale Totalitarismus wuchs in Demokratien, indem er sich mit einem libertären Lifestyle seine Kritiker einverleibte und die verbliebenen ausgrenzte. Wer heute auf Datenschutz pocht, muss erfahren, dass die Politik dem Druck der IT-Giganten nachgibt oder deren Interessen lobbyiert.
Angst vor der Barbarei
Die kalifornische Ideologie von heute reicht ans Ende des Zweiten Weltkriegs zurück. Nach dem Horror der NS-Zeit glühte die Angst vor der Barbarei und der Unberechenbarkeit der Masse. Eine Antwort darauf war die Vernetzung von Computern. Und der Aufbau einer globalen Überwachung, die heute durch Regierungen und Konzerne gleichzeitig erfolgt.
Klar zu sehen wird immer schwerer. Mit Google und Facebook existieren Bewusstseinskonzerne, die mehr Einfluss auf das haben, was Menschen in aller Welt denken, als jede Organisation zuvor. Mit dem Neoliberalismus entstand eine Ideologie, die unabhängig von politischen Gesellschaftsordnungen funktioniert und die an die Logik der digitalen Technologie anknüpften konnte. Den Preis einer immer größeren Ungleichheit und Ausbeutung der Natur zahlt die Mehrheit der Menschen an eine digitale Elite. Mit allen politischen Verwerfungen – der Rückkehr der Autokraten – die dies hervorruft. Facebooks „Zensur-Tool“ ist daher nur folgerichtig.
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