Zweites Urteil wegen Freital-Terror: Keine besorgten Bürger
Vor fünf Jahren verübten Rechtsextreme Anschläge in Freital. Nun werden erneut Mitwirkende verurteilt. Das Gericht findet deutliche Worte.
Das Quartett soll sich im Sommer 2015 an einer Reihe von Gewalttaten im Freital beteiligt haben, die bundesweit für Aufsehen sorgten. Wie auch anderenorts braute sich in der sächsischen Stadt damals Hass gegen die Ankunft von Geflüchteten zusammen. In Freital aber entwickelte sich aus einer Bürgerwehr heraus ein konspirativer Trupp, der sich in einer Chatgruppe organisierte und über Monate Anschläge gegen Asylunterkünfte oder politische Gegner verübte. Am Ende ermittelte die Bundesanwaltschaft, wurden 2018 sieben Männer und eine Frau als Rechtsterroristen zu Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt. Drei von ihnen sitzen bis heute in Haft.
Seit September wurde nun gegen die zweite Reihe verhandelt, gegen die vier jetzt Verurteilten, auch sie Freitaler. Richter Schlüter-Staats erinnert daran, dass es um „sehr schwere Gewalttaten, die nicht nur Freital erschütterten“, gehe. Ziel sei es gewesen, Geflüchtete von der Stadt „fernzuhalten oder zu vertreiben“, auch mit Gewalt gegen deren Unterstützer. Es sei zu „Stufen der Eskalation“ gekommen, von Anschlag zu Anschlag seien die Hemmungen gefallen.
Allen voran Sebastian S. mischte damals mit. Er war schon Teil der Bürgerwehr, später auch der konspirativen Gruppe. Und er war auch bei einem Anschlag auf das Auto des früheren Freitaler Linke-Stadtrats Michael Richter und auf ein Büro von dessen Partei dabei. An der Autoattacke beteiligte sich auch Ferenc A., ein 31-jähriger Glatzkopf. Michael Richter sei für die Rechtsextremen ein „bevorzugtes Hassobjekt“ gewesen, erinnert Schlüter-Staats. Weil er sowohl links als auch engagiert für Geflüchtete war. Die Folgen für den Lokalpolitiker seien „erheblich“ gewesen: Er habe danach in Angst gelebt und schließlich die Stadt verlassen.
Mit Sprengsatz einen Geflüchteten verletzt
Freigesprochen wird Sebastian S. dagegen im Zusammenhang mit einem Anschlag auf eine Asylunterkunft. Mit verstärkten Böllern wurde dort ein Fenster gesprengt, ein Geflüchteter durch einen Glassplitter am Auge verletzt. Die Sprengsätze waren teils 130-mal stärker als herkömmliches Feuerwerk. „Das war extrem gefährlich“, so Schlüter-Staats. „Da hätten Menschen zu schweren Schäden kommen können.“ Aber: S. hatte ausgesagt, sich nicht an der Aktion beteiligt zu haben, und Gegenteiliges sei ihm nicht sicher nachzuweisen.
Das Gericht sieht indes nicht nur Sebastian S., sondern auch Ferenc A. und Dirk Abraham, der bis 2019 noch für die NPD im Freitaler Stadtrat saß, als Mitglieder der Terrorgruppe. Auch diese beiden hätten sich intensiv an deren Chats beteiligt, diese rassistisch befeuert. „Sie wollten dazugehören.“ Der NPD-Politiker habe zudem für eine verschlüsselte Kommunikation gesorgt und Adressen von Unterkünften geliefert oder die Info, dass das Linke-Büro mit Sicherheitsglas ausgestattet sei. Zudem sprühten beide Männer mit anderen in Freital Parolen wie „Kein Heim“ oder „Kanaken verpisst euch“. Auch bei einem Fotoshooting der Gruppe auf einem Freitaler Berg – mit Hakenkreuzfahne, Bengalos und Hitlergrüßen – waren sie dabei. Beide erhalten dafür je zwei Jahre Haft, ausgesetzt zur Bewährung.
Auf dem Berg war auch Stephanie T. mit dabei. Als eine der Ersten hatte sie Antiasyldemos in Freital organisiert, auch sie war Teil der Chatgruppe und mit einem der bereits Verurteilten liiert. Als dieser in Haft saß, warnte sie ihn in einem Brief, die „Kameraden“ nicht zu „verpfeifen“. „Denk an unsere Ideale.“ Sie sei Unterstützerin gewesen und über alles im Bilde, sagt Schlüter-Staats. Sechs Monate auf Bewährung gibt es dafür.
Geständnisse und Relativierungen
Im Prozess hatten alle vier Verurteilten ausgesagt – und ihre Taten relativiert. Sie hätten sich „mitreißen“ lassen, seien höchstens am Rande beteiligt gewesen, auch könne nicht von Terror die Rede sein. An viel erinnern mochten sie sich nicht, einige verwiesen auf ihre schwere Kindheit und beteuerten, sich von ihrer Gesinnung gelöst zu haben. Ihre Verteidiger forderten Geld- oder Bewährungsstrafen von höchstens zwei Jahren. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte dagegen Strafen von bis zu drei Jahren und zwei Monaten Haft gefordert.
Schlüter-Staats stellt klar, dass die Verurteilten keine besorgten BürgerInnen waren, sondern schon vor den Antiasylprotesten „rassistisch grundiert“ und mit „Spaß an der Gewalt“. Auch habe es sich „unzweifelhaft“ um eine Terrorgruppe gehandelt, „geradezu paradigmatisch“. Denn die Rechtsextremen hätten koordiniert und mit gemeinsamem Willen schwere Straftaten begangen.
Die Ausflüchte der Verurteilten nennt Schlüter-Staats „lächerlich“. Dass etwa NPD-Mann Abraham einen Chatkommentar zum Anschlag auf eine Asylunterkunft („sieht gut aus“) ironisch verstanden wissen will, komme „einer Beleidigung der Intelligenz“ gleich. Auch seine behaupteten, alkoholbedingten „Filmrisse“ beim Fotoshooting oder der Sprühaktion seien Schutzbehauptungen. Und Schlüter-Staats warnt: Werde der 53-Jährige auch nur mit einem Meinungsdelikt wieder straffällig, sei die Bewährung hinfällig.
Abraham quittiert die Ansage mit einem Nicken. Auch Stefanie T. mahnt der Richter zur Zurückhaltung: Ihre Loslösung von der rechtsextremen Ideologie sei bisher nicht wirklich überzeugend und im Prozess nur „unengagiert und formal“ behauptet worden. Stefanie T. und die anderen verfolgen die Urteilsbegründung eher gelangweilt. Und sie profitieren von der langen Verfahrensdauer, die ihnen einen Strafrabatt einbringt und damit die Bewährungsstrafen.
Für die Betroffenen „enttäuschend“
Nebenklageanwältin Kati Lang, die Geflüchtete aus einer der angegriffenen Unterkünfte vertritt, nimmt das Urteil denn auch „mit gemischten Gefühlen“ auf. Zwar habe das Gericht „deutliche Worte“ gefunden, die Strafmilderung durch die Verfahrenslänge und der Freispruch für Sebastian S. im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Asylunterkunft aber seien für ihren Mandanten „enttäuschend“.
In Freital selbst hatte sich die Lage zuletzt beruhigt. Für größeres Aufsehen sorgte zuletzt nur der Tod des Sohnes eines bekannten Rechtsextremen, der wohl versehentlich von seinem Bruder erschossen wurde. Oberbürgermeister Uwe Rumberg (parteilos) wollte das neuerliche Urteil denn auch nicht kommentieren. Er habe sich bereits „hinreichend“ zum ersten Urteil 2018 geäußert, sagte ein Sprecher auf taz-Anfrage.
Rumberg hatte die Taten damals zunächst heruntergespielt und die Asylpolitik ebenfalls kritisiert. Am Ende verurteilte er „extremistische Gewalt“. Im Sommer 2020 trat Rumberg mit acht anderen Lokalabgeordneten schließlich wegen „großer inhaltlicher Differenzen“ aus der CDU aus.
Die Freitaler Linken-Politikerin Steffi Brachtel, die selbst Opfer der Terrorgruppe wurde, bleibt auch deshalb vorsichtig. Die Rechtsextremen hatten damals ihren Namen mit Drohungen an eine Hauswand gesprüht, ihren Briefkasten gesprengt und ihren Sohn angegriffen. Brachtel spricht von einer womöglich „trügerischen Ruhe“, denn viele derjenigen, die damals gegen die Geflüchteten protestierten, seien ja noch vor Ort. Es sei daher gut, dass nach dem ersten Urteil weiter ermittelt und nun ein „angemessenes“ Urteil gefällt wurde. Einzig NPD-Mann Abraham hätte als Informationsbeschaffer eine härtere Strafe verdient, findet Brachtel. Auch jetzt gelte es weiter, die rechtsextremen Verstrickungen in und um Freital aufzuklären.
Tatsächlich ist die Aufklärung der Freitaler Terrorserie auch mit dem Urteil vom Donnerstag noch nicht beendet. Denn seit Ende Januar läuft bereits ein weiterer, letzter Prozess gegen noch mal drei Unterstützer, zwei Männer und eine Frau, 34 bis 56 Jahre alt. Ihnen wird vorgeworfen, ebenfalls Teil der Chatgruppe gewesen zu sein oder sich an einem Angriff auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden beteiligt zu haben. Auch das Trio räumte die Vorwürfe ein – gab sich sonst aber eher wortkarg.
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