Zweites Semifinale des ESC: Mit stählernen Nerven
Unter Buh-Rufen und großem Jubel hat es Israel ins ESC-Finale geschafft. Vorab waren in Malmö Tausende zu Protesten zusammengekommen.
So was hat es in der Geschichte des Eurovision Song Contest noch nie gegeben: dass eine Sängerin von ihrem Hotel in die Malmöer Arena, wo sie am zweiten Semifinale dieses Pop-Festivals teilnimmt, in einem Hochsicherheitskonvoi befördert werden muss. Die israelische Sängerin Eden Golan, die nach Forderungen der propalästinensischen Demonstrierenden vom Wettbewerb ausgeschlossen werden soll, sagte einer schwedischen Nachrichtenagentur über die Proteste in Malmö: „Es ist toll zu sehen, dass es hier so viele Menschen gibt, die sich für Palästina einsetzen, auch wenn es unter schrecklichen Umständen geschieht.“
Am Ende des Abends hatte die in Israel geborene Tochter ukrainisch-lettischer Einwanderer mit der einzigen Ballade des zweiten Semifinals keine Schwierigkeiten, sich für das Grand Final am Samstag (21 Uhr, ARD, www.eurovision.tv, und im Liveticker auf taz.de) zu qualifizieren. Mit der Startnummer 6 wird sie ihren Titel „Hurricane“ vortragen; in den europäischen Wettbüros steht die 20-Jährige an zweiter Stelle hinter den haushoch favorisierten Kroaten von „Baby Lasagna“. Eden, die auf viele Proben verzichtete und das Catwalking bei der Eröffnungszeremonie am vergangenen Sonntag mied, hat offenbar stählerne Nerven: Sie wirkt nicht strapaziert.
Vor der Show am Donnerstag waren in der Malmöer Innenstadt Tausende Menschen (hauptsächlich aus den Universitätsstädten Malmö und Lund, aber auch aus dem gegenüberliegenden Kopenhagen) zusammengekommen, um gegen die ESC-Teilnahme Israels zu protestieren. Sie wiederholten in Rufen und auf mitgeführten Bannern Slogans wie „Free Palestine“ und „Stop the Genocide“. Mit unter den Demonstrierenden: die Klimaaktivistin Greta Thunberg, deren Mutter Malena Ernman 2009 für Schweden am ESC in Russland teilnahm – und trotz extrem homophober Stimmung in der russischen Hauptstadt, wo am Tag des Song Contests zuvor ein kleiner CSD brutal zerschlagen wurde und trotz schon damals repressiver Politik des russischen Präsidenten kein politisches Boykottwort verlor.
Ernman war es nun, die die in Schweden die Künstlerinitiative beförderte, Israel auszuschließen. Auf der Demo in Malmö trug ein Großteil der Protestierenden Palästinensertuch, einige sollen laut israelischem News-Portal ynet „Sinwar, we will not let you die“ gerufen haben – womit einer der für das Hamas-Massaker am 7. Oktober verantwortliche Führer dieser Terrororganisation gemeint ist.
Gedämpfter Unmut
Die Gegner der Teilnahme Edens klagen, Russland sei seit 2022 wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine ebenfalls suspendiert worden – für Israel müssten demnach die gleichen Konsequenzen gelten. Die European Broadcasting Union mit ihrem ESC-Sprecher Martin Österdahl verweist seit Monaten darauf, dass der ESC ein Wettbewerb der öffentlich-rechtlichen Senderanstalten sei, nicht der Staaten. Außerdem sei Israels ESC-Sender KAN kein Staatsfunk – anders als russische Sender.
Die Tonspur der Übertragung des zweiten Semifinals am Donnerstag hinterließ vor, während und nach der Performance von Eden Golan den Eindruck, als würden etliche „Buh“-Rufe in der Arena bis zur Unhörbarkeit gedämpft. Tatsächlich hat es diese Missfallensbekundungen gegeben, wesentlich lauter aber war der Applaus für die Israelin.
Am Samstag werden in Malmö weitere propalästinensische Proteste erwartet; die schwedischen Sicherheitsbehörden bereiten sich entsprechend vor. In der Lokalzeitung Sydsvenskan äußerten einige Malmöer, die sich vom ESC eine positive Belebung ihrer Stadt erhofften, ihren Unmut darüber, dass sie es nunmehr mit einer schlecht gelaunten Politcrowd zu schaffen hätten – die wiederum der Grund sei, dass zu allen innerstädtischen ESC-Veranstaltung kein lockerer Zugang mehr möglich sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück