Zwangsräumung mit 81 Jahren: Leben in Unordnung
Monika Bauer musste wegen einer Eigenbedarfskündigung ihre Wohnung räumen. Die Obdachlosigkeit blieb ihr erspart, ihr Verdränger zog aber nie ein.
Acht Monate danach merkt man ihr die Aufregung noch an, wenn sie ohne Punkt und Komma von der Phase erzählt, die ihr Leben so in Unordnung brachte. Die grauen Haare sind zerzaust, aber Bauers Erzählung ist es nicht. Das Gespräch findet bei einem Bäcker in Schmargendorf statt, der bestellte „Latte“ vor ihr bleibt lange unberührt. Für den kurzen Weg von ihrer neuen Wohnung musste Bauer den Gehstock nehmen – der ist ihr aus der Zeit geblieben. Die psychische Belastung dagegen, die „ist jetzt vorbei“, sagt sie.
Wirklich angekommen ist die ehemalige Lehrerin in ihrer neuen Umgebung bislang aber nicht. Das Beste, was ihr dazu einfällt: Ihre alte Buslinie, der 249er, bringt sie in nur sieben Haltestellen zur Blissestraße in ihr früheres Leben. Dorthin, wo sie all ihre Nachbar:innen kennt und wo ihr Stammcafé ist. In ihrem neuen Haus, einem Seniorenwohnhaus der Degewo, kann sie mit den Nachbar:innen wenig anfangen: „Die sind alle Frau Soundso, aber ich kenne nur Du“, sagt Bauer. Über die alten Damen sagt sie mit wenig Verständnis: „Die gehen zum Friseur.“
Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber berichtet wurde. Deshalb haken wir noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich?“ rund um den Jahreswechsel 2023/24 erzählen wir einige Geschichten weiter.
Monika Bauer dagegen will im Frühjahr wieder zum Plenum von Zwangsräumung verhindern, einem Bündnis, das zusammen mit Betroffenen gegen den erzwungenen Verlust von Wohnraum kämpft. Dorthin hatte sie sich in ihrer Not vor mehr als einem Jahr nach einem Tipp aus einem Nachbarschaftszentrum gewandt und war dann wöchentlich nach Kreuzberg zum Treffen gefahren. „Ich fand die so toll, die Leute“, sagt Bauer.
Aktiv bei Zwangsräumung verhindern
Im Kontakt mit den Aktivist:innen ist sie geblieben. So hat sie auch von dem kürzlich durch das Bündnis publik gemachten Fall gehört, Reinhard aus Kreuzberg: Im Dezember war der 69-jährige Mieter trotz Protest aus seiner Wohnung in der Manteuffelstraße geräumt worden. Bauer findet gut, dass ihre Freund:innen von Zwangsräumung verhindern den Rausschmiss verhindern wollten: „Diesen zivilen Ungehorsam, das kannte ich vorher noch nicht.“ Sie selbst würde sich nicht in den Weg eines Gerichtsvollziehers setzen – „weil ich so schlecht aufstehen kann“. Mit einem Stuhl aber ginge das.
Mit Begeisterung erzählt Bauer von der „Demo für mich“. Ende Februar, am Tag, an dem sie ihre Wohnung ursprünglich geräumt übergeben sollte, hatte das Bündnis eine Kundgebung organisiert – und alle Nachbar:innen seien gekommen. Weil Bauers Anwalt noch eine zweimonatige Verlängerung der Räumungsfrist bei Gericht erwirkt hatte, musste das Bündnis an diesem Tag nicht blockieren, stattdessen wurden Reden gehalten und Flyer verteilt, die um Hilfe bei der Wohnungssuche warben.
Die Rettung kam kurz darauf durch das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Nach einem Schreiben, das über den bevorstehenden Wohnungsverlust informierte, kam es zu einem Treffen mit einer Bezirksmitarbeiterin. Diese habe ihr dann die neue Wohnung angeboten. Mit 40 Quadratmetern halb so groß wie die bisherige, bei gleich hoher Miete und mit einem „ollen“ Linoleumfußboden. Bauer sagt, sie hatte die Hoffnung, bleiben zu können, noch nicht aufgegeben, sich nach kurzer Bedenkzeit dann aber doch für den Umzug entschieden.
Haushaltsauflösung
Was folgte, waren chaotische Wochen – „dann ging’s ans Eingemachte“, wie Bauer sagt. Wenn sie davon erzählt, fallen sehr viele Namen – von Freund:innen, Nachbar:innen und Familienangehörigen, die ihr alle halfen, ihren Haushalt aufzulösen und den Umzug zu organisieren. Wochenlang sei ihre Tür für alle offen gewesen, jede:r konnte nehmen, was er wollte. Leid tut es Bauer um viele Bücher, Kunstbildbände oder Ökologiebücher, die sie aus Platzmangel nicht mitnehmen konnte. „Ich dachte, irgendwann habe ich Zeit und kann die in Ruhe lesen“, sagt sie.
Einer ihrer beiden Söhne kam aus Zürich und half bei der Renovierung der neuen Wohnung und dem Umzug des verbliebenen Hausstands, eine Freundin dekorierte die Wohnung. „Ich selbst hätte überhaupt nichts gekonnt und geschafft“, sagt Bauer und fügt hinzu: „Ich konnte gar nicht fassen, wie schön die das eingerichtet haben.“
Ende April, am Tag der Wohnungsübergabe, saß Bauer mit Nachbar:innen und ihrem Anwalt in ihrem Wohnzimmer. Der Käufer ihrer Wohnung, der sie herausgeklagt hatte, kam und übernahm vom Anwalt in der Küche die Schlüssel. Bauer sagt: „Ich wollte den gar nicht sehen.“
2017 hatte ihr Verdränger ihre Wohnung gekauft, bei einer Besichtigung gesagt, dass er kein Interesse habe, selbst in der Wohnung zu leben. Doch schon im Januar 2018 folgte die Kündigung wegen Eigenbedarfs. Über zwei Instanzen konnte er diesen schließlich vor Gericht durchsetzen. Bauer fällt damit unter die 1.150 Zwangsräumungen allein im ersten Halbjahr 2023 in Berlin. Die Zahlen steigen: 2021 waren es über das ganze Jahr noch 1.668. Immer häufiger ist Eigenbedarf der Grund dafür, so berichtet es auch das Bündnis Zwangsräumung verhindern.
Doch kein Eigenbedarf
1.931 Wohnungen sind in Berlin 2022 zwangsgeräumt worden, 263 mehr als im Jahr davor. 2023 waren es 1.150 im ersten Halbjahr. Die Mehrzahl der Zwangsräumungen resultiert aus Zahlungsrückständen.
Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen sind seit 2021 nur noch in Ausnahmefällen möglich. Doch seit 2011 wurden über 100.000 Wohnungen umgewandelt.
Eigenbedarfskündigungen drohen in den nächsten Jahren also zuhauf. Wenn ein Auszug eine unzumutbare Härte bedeutet, kann dies als Härtefall eingestuft werden, eine Kündigung ist dann nicht rechtens.
Zumindest ist es der behauptete Grund. Bauers Eigentümer ist nie eingezogen. Nur einen einzigen Tag habe sein Name am Klingelschild gestanden, berichteten Nachbar:innen. Inzwischen habe sie erfahren, dass die Wohnung zwangsversteigert wurde, womöglich sei der Eigentümer in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Vielleicht auch, weil sich Bauer so lange gegen den Auszug wehren konnte, vermutet sie selbst. Momentan lässt der neue Käufer die Wohnung sanieren. „Da wird wohl eine Luxuswohnung draus“, sagt Bauer.
Nun überlegt sie, ob sie noch Schadenersatz erstreiten kann, weil sie letztlich unter der falschen Behauptung des Eigenbedarfs gekündigt wurde. Demnächst werde sie darüber mit ihrem Anwalt von der Mietergemeinschaft sprechen.
Monika Bauer hat in den vergangenen Wochen auch häufiger an den ersten erzwungenen Umzug in ihrem Leben gedacht. Am 12. August 1961 war sie, die damals noch bei ihren Eltern in Prenzlauer Berg wohnte, zusammen mit ihrem Freund bei einer Party in einem Studentenwohnheim im Westen. Als sie abends am Bahnhof Eichkamp die S-Bahn zurück nach Haus nehmen wollten, habe der Bahnhofswärter gesagt: „Da kommt keine Bahn mehr. In Staaken ziehen sie einen Zaun“, wie Bauer sich erinnert.
Der nächste Tag ging als Tag des Mauerbaus in die Geschichte ein. Bauer steckte 19-jährig, ohne Geld und Klamotten, im Westen fest und wusste nicht, ob sie bleiben sollte oder nicht.
Besonders gereizt habe sie „der goldene Westen“ nicht. Schließlich habe ihr Freund aufgrund der besseren Studienaussichten den Ausschlag gegeben zu bleiben. Bauer wurde heimisch in Westberlin. 62 Jahre später folgte die nächste Verdrängung.
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