Zum Tag der Pressefreiheit 2024: Krieg gegen Medienfreiheit
Kriegführenden Staaten geht es nicht um freien Journalismus, sondern um Propaganda. In Kriegszeiten blüht auch in Demokratien die Doppelmoral.
I m April beschloss Israels Parlament mit 70 gegen 10 Stimmen ein Gesetz, mit dem sich der katarische Sender Al Jazeera verbieten lässt. Der Kommunikationsminister kann nun mit Genehmigung von Premierminister Benjamin Netanjahu ausländischen Sendern, die „die nationale Sicherheit gefährden“, die Verbreitung blockieren lassen. „Der terroristische Sender Al Jazeera wird nicht länger aus Israel senden“, sagte Netanjahu.
Die Hamas ist ihrerseits dafür berüchtigt, dass sie Journalisten, die der palästinensischen Autonomiebehörde nahestehen oder kritisch über die Islamisten berichten, unter Druck setzt und verfolgt. Um die Medienfreiheit in den illegal besetzten palästinensischen Gebieten ist es noch schlechter bestellt als in Israel.
Ende Januar 2024 entdeckte die ukrainische Journalistin Iryna Hryb an ihrem Auto in Odessa ein Gerät zum Orten und Abhören ihres Wagens. Sie hatte über Korruption beim Getreideexport recherchiert. Auch andere Investigativjournalisten, die über Korruption bei Waffengeschäften berichteten, wurden in der Ukraine bedroht, gern von Mitarbeitern des Inlandsgeheimdienstes.
In Russland sind derzeit 35 Medienschaffende in Haft, der Journalist Iwan Safronow wurde zu 22 Jahren Straflager, sein Kollege Wladimir Kara-Mursa zu 25 Jahren Haft verurteilt. Oppositionelle Medien wie Meduza oder Novaya Gazeta können nur mehr im Exil operieren.
Rangliste der Pressefreiheit: Deutschland auf Platz 10
Nach der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen, die von Norwegen angeführt wird und in der Deutschland Platz 10 belegt, findet sich die Ukraine auf Platz 61, Israel auf 101, die Palästinensergebiete sind auf Platz 156 und Russland ist auf Platz 162, von insgesamt 180 Plätzen.
Krieg ist offensichtlich gar nicht gut für die Medienfreiheit. Kriegführenden Staaten geht es nicht um freien Journalismus, sondern um gelenkte Propaganda. Die eigenen Verluste werden heruntergerechnet, die des Feindes übertrieben. Feindliche Führer, ja ganze Völker werden als Monster dämonisiert. Generäle halten gewöhnlich nichts von Informationsfreiheit, sie sind Freunde der Geheimhaltung. „Vietnam war der erste Krieg ohne Zensur“, sagte der US-Oberbefehlshaber in Vietnam, General William Westmoreland. „Ohne Zensur können Dinge furchtbar verwirrt werden im öffentlichen Bewusstsein.“
Natürlich haben wir hierzulande keine staatliche Lenkung und Zensur der Medien, aber viele Medienschaffende liefern auch ohne sie gerne das politisch Gewünschte; unlängst zum Beispiel Berichte, in denen die militärischen Möglichkeiten der Ukraine unrealistisch übertrieben wurden oder die mehr als 30.000 palästinensischen Opfer des israelischen Massenmords in Gaza weitgehend ignoriert wurden.
Im Krieg blüht die Doppelmoral
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg verbot noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine Anfang Februar 2022 dem russischen TV-Sender Russia Today die Ausstrahlung in Deutschland via Satellit. Als die Moskauer Regierung im Gegenzug dem BRD-Staatssender Deutsche Welle untersagte, in Russland zu arbeiten, zeterte deren Intendant: „Was wir hier erleben, ist ein unglaublicher Schlag gegen die Pressefreiheit.“ Fast überflüssig zu erwähnen, dass er damit nicht das Verbot russischer Sender im „freien“ Westen meinte. Krieg ist nicht nur meist eine amoralische Unternehmung, im Krieg blüht auch die Doppelmoral.
Dass am Anfang von Kriegen oft eine Lüge steht, hat unter anderen der US-Außenminister Colin Powell vorexerziert, als er im Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat in New York wahrheitswidrig behauptete, dass Iraks Diktator Saddam Hussein die Welt mit Massenvernichtungswaffen bedrohe. Die Vereinigten Staaten begannen daraufhin ihren Krieg gegen den Irak, der über 200.000 Zivilisten das Leben kostete.
Der australische Journalist Julian Assange hat festgestellt: „Wenn Kriege durch Lügen begonnen werden können, kann Frieden durch Wahrheit begonnen werden.“ Nachdem Assange, gestützt auf US-Dokumente, Kriegsverbrechen von US-Soldaten im Irak und in Afghanistan enthüllte, ließ ihn US-Präsident Donald Trump wegen Spionage verfolgen, basierend auf einem Gesetz aus dem Ersten Weltkrieg. Das US-Justizministerium fabrizierte eine Anklage mit einer Höchststrafe von 175 Jahren Haft. Assange ist seit mehr als fünf Jahren im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert und führt einen zähen juristischen Kampf, nicht in die USA ausgeliefert zu werden.
Demokratien müssen sich daran messen lassen, ob sie die Medienfreiheit schützen. Das gilt auch oder gerade besonders für Kriegssituationen. Dass Demokratien sich dann in der Einschränkung der Pressefreiheit nicht zwangsläufig Diktaturen annähern müssen, haben die Briten im Zweiten Weltkrieg gezeigt. Sie führten eine öffentlichen Debatte über das „aerial bombing“, die Flächenbombardierung deutscher Städte durch die Royal Air Force, bei denen vorwiegend Zivilist:innen ermordet wurden.
Bischof George Bell, ein Freund des deutschen Widerstandstheologen Dietrich Bonhoeffer, konnte im Februar 1943 im Londoner Oberhaus die Flächenbombardements als „unverhältnismäßig“ und damit als völkerrechtswidrig kritisieren. Zwar stieß der Kirchenmann auf empörten Widerspruch, nur zwei Labour-Abgeordnete unterstützten ihn im Unterhaus, und Premier Winston Churchill hielt bis zum Dresdner Feuersturm am „aerial bombing“ fest, doch Bell konnte seine Kritik unzensiert und ohne Repressalien äußern. Das ist schon eine ganze Menge.
Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!