Zukunft des rheinischen Kohlereviers: Zerstörung mit unbekannten Effekten
Die Landschaft im rheinischen Braunkohlerevier ist zerfräst. Die Folgen der gigantischen Eingriffe in die Natur sind nicht absehbar.
Jetzt soll klimaschützend, flächensparend und ressourcenschonend wiederaufgebaut und neu gebaut werden. Wer zurückziehen will in die alte Heimat – bitte schön. Sogar eine Strukturwandelmanagerin hat der Ort neuerdings. 90 Millionen Wiederaufbauhilfe stellen Land und Bund zur Verfügung.
Anders in Manheim fünf Kilometer östlich. Hier geht die Vernichtung weiter. Der lukrative Kiesabbau rundherum brummt. Auch dafür wird gerodet, alle Infrastruktur zerstört. Auch das heutige Manheim soll einmal geflutet werden, ganze drei Höfe sind noch von renitenten Eigentümern bewohnt, der Rest ist traurige Brache.
Nur die Kirche steht noch. Sie soll bleiben, vielleicht einmal Besucherzentrum werden, die Geschichte des Reviers dokumentieren, mit guter Übersicht von ganz oben. Die Krefelder Journalistin Bärbel Schnell hat dazu eine schön aufbereitete Dokumentation des Widerstands erstellt.
RWE spielt auf Zeit
Nur, wenn Manheim untergeht, ist ein Biotopverbund zum Hambacher Forst unmöglich, mit „ökologischen Trittsteinen“, wie Antje Grothus das nennt. Die grüne Landtagsabgeordnete hatte im September zu einem Austausch von Fachleuten, Anwohnenden und Zivilgesellschaft in ihren Heimatort Buir gebeten, Titel „tacheles.träume.tagebau. Was passiert an Hambach?“ Das evangelische Gemeindehaus war brechend voll.
Eine zerfräste Welt braucht „ökologische Revitalisierung“ durch Waldverbünde. Das war Konsens. Nur wie, wenn Kies wichtiger ist? Der Braunkohleriese RWE spielt auf Zeit, schafft Tatsachen, auch da herrschte Einigkeit. Irgendwann, bald, sei es halt zu spät. Michael Zobel, der umtriebige Aachener Naturschützer und seit zehn Jahren Hambi-Waldführer, spottete: „Schwimmende Wälder sind mir nicht bekannt.“
Dirk Jansen vom BUND freute sich über „den gigantischen Erfolg“, dass nach dem Rodungsstopp 2018 „1,1 Milliarden Tonnen Kohle im Boden bleiben“. Nun aber brauche es endlich eine „ökologische Revitalisierung“ des Hambi-Terrains, am besten sei das durch „ein Wildnis-Entwicklungsgebiet zu erreichen“. Dafür aber müsse RWE den Wald endlich abtreten, wozu sich der Energiekonzern beim Kohledeal vom Dezember 2022 auch bereit erklärt hatte. Staatssekretär Viktor Haase (Grüne) aus dem NRW-Umweltministerium sprach von gemeinsamen Gesprächen mit „komplizierten Prozessen zur Umsetzung“.
Probleme bei starkem Wind
Die Landschaftszerstörung hat bislang unbekannte Effekte. Über Jahrzehnte hat RWE ein Terrain von der Größe Berlins umgegraben, bis 411 Meter Tiefe ausgekohlt und die Kulturlandschaft massiv zerstört. Zwei Autobahnen entstanden neu. Eine davon verläuft seit sechs Jahren hoch oben auf einem riesigen Wall mittig durch den Tagebau Garzweiler, 15 Kilometer nördlich von Hambach. Immer wieder gibt es massive Probleme bei starkem Wind, weil der auf der schrägen Böschung heftig beschleunigt. Hatte niemand recht bedacht.
Mehrfach kippten schon 30-Tonner um, mehrfach wurde die Strecke stundenlang gesperrt, es gab Unfälle und einen toten 18-Jährigen. Helfen Windschutzwände? Die öffentliche Hand winkte ab, viel zu teuer über zehn Kilometer Länge. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) riet zu warnenden Windsäcken und – sieh an – temporären Tempolimits.
Vor Kurzem tauchte aus dem Nichts eine Studie auf, im Auftrag des 2017 gegründeten Zweckverbands Landfolge Garzweiler, ein „interkommunaler Verbund“ der Anrainergemeinden. Er versteht sich als „Impulsgeber für den Strukturwandel“.
Ja, heißt es im Gutachten, Windschutzwände, kombiniert mit weitläufigen Solaranlagen, seien sogar rentabel. Eine Empfehlung gab es gleich dazu: RWE als Betreiber. Passenderweise ist RWE im Zweckverband laut Satzung selbst „beratendes Mitglied“. Motto: Erst alles kaputt machen, dann an der Reparatur der Nachfolgewelt weiter saftig verdienen. „Schon heute ist der größte Teil unseres Kerngeschäfts grüner Strom“, heißt es auf der Firmen-Website.
Riesige Seenlandschaft
Derzeit gräbt RWE immer weiter, 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche, bis mindestens 2030. Zur Kohlegewinnung? Nein, selbst unter dem ehemaligen Lützerath wird keine Tonne des Klimagifts mehr gefördert. Es geht einzig um Abraum zur Abflachung von rund hundert Kilometer Böschungen der Riesengruben, bevor alles ab etwa 2070 oder vielleicht erst 2085 zur riesigen Seenlandschaft werden soll. Anderweitiges Füllmaterial ist auch willkommen, weshalb es in Garzweiler für Bodenaushub aus dem Umland extra eine Abladestelle gibt.
Für Kriminelle offenbar ein verlockender Ort. Am 3. September durchsuchten auf Initiative des Landeskriminalamts Düsseldorf 150 ErmittlerInnen Firmen im Großraum Grevenbroich und Krefeld. 27 Firmen stehen im Fokus, sie sollen tonnenweise kontaminierten Bodenaushub, falsch deklariert als harmloses Zeug, im Tagebau Garzweiler entsorgt haben; „illegale Verklappung“ nennt das eine LKA-Sprecherin, als sei man schon auf See. Vorwurf: Verdacht auf Bodenverunreinigung, banden- und gewerbsmäßiger Betrug, Urkundenfälschung.
Um welche Giftstoffe es sich handelt, kann der Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Dortmund, Staatsanwalt Tobias Wendt, noch nicht sagen: „Die Untersuchungen dauern an.“ Er bestätigt, dass aus anfangs sechs Tatverdächtigen sieben wurden. Drei waren vorläufig festgenommen worden, zwei wurden gegen Kaution später freigelassen, einer sitzt weiter ein.
Inwieweit die Rheinischen Baustoffwerke (RBS), die Betreiber der Abraumkippe, an den Deals beteiligt sind, „dazu laufen noch Ermittlungen“. RBS ist eine hundertprozentige RWE-Tochter, die schon 2021 bei der Flutkatastrophe an Erft und Ahr schlimme Schlagzeilen machte. Ihr gehörte die Kiesgrube am Ortsrand von Erftstadt-Blessem, die vollgelaufen spektakulär kollabierte und Häuser in den Abgrund riss. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt bis heute.
Hohe Kosten
Ab 2030 sollen die Tagebaugruben Hambach und Garzweiler gezielt geflutet werden, mit Rheinwasser über riesige Röhren, Baubeginn 2025. Zauberhafte Modellskizzen mit lauschigen Seen und chicen Yachthäfen lassen schon vom Haus am See träumen und einem Tourismusparadies. Nun gibt es das Wasserentnahmeentgeltgesetz NRW. Demnach kostet auch Rheinwasser üblicherweise 5 Cent pro Kubikmeter. Klingt wenig, summiert sich aber bei 340 Millionen Kubikmetern pro Jahr auf 17 Millionen, bei einer mindestens 40 bis 50 Jahre währenden Flutung auf Minimum 700 Millionen Euro insgesamt, bei großer Verdunstung durch die Erderhitzung made by RWE auch mehr.
Aber RWE will nicht zahlen. Ein Sprecher sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger: „Wir entnehmen das Wasser doch nicht, um es zu verbrauchen. Wir überführen es lediglich aus ökologischen Gründen.“ Der grüne Umweltminister Oliver Krischer ist der Auffassung: Die Zahlungspflicht gelte „selbstverständlich auch zur Befüllung von Rest-Seen“. Der Landtag muss demnächst entscheiden.
Die Schaffung der größten Kunstseen Europas ist ein Eingriff in die Natur, wie es ihn bislang in dieser Dimension noch nicht gab, mit vielen Unbekannten. Steigt das Grundwasser? Wie sind Zu- und Abflüsse steuerbar, kann bei wachsendem Wasserdruck der wachsenden Seen dauerhaft Standfestigkeit des Umlandes erreicht werden, auch naher Gebäude?
Und wie kann Wasserqualität gesichert werden, welcher Müll auch immer abgeladen wurde. Greenpeace hat genau an der RWE-Entnahmestelle Dormagen eine Verdoppelung der Belastung mit den Ewigkeitschemikalien PFAS und anderen Giften gegenüber 2020 festgestellt. Der BUND spricht schon von Ewigkeitskosten in Milliardenhöhe. Michael Zobel sagt: „Der Giftcocktail für die Seen ist angerichtet. Und niemand weiß, was da schon vorher von RWE oder anderen über Jahrzehnte abgeladen worden ist.“
Schulterzucken allenthalben
Zurück in Buir: Wann endlich wird der Hambacher Wald denn in öffentliches Eigentum überführt, vielleicht in eine Stiftung? Staatssekretär Haase berichtet von den gemeinsamen Diskussionsrunden, ohne Ergebnis bislang, wenig transparent zudem. Das Publikum ist ungeduldig. Wann bitte? Haase muss sich den Spottreim anhören: „Ist dir etwas schnuppe, bilde eine Arbeitsgruppe.“ Er lächelt. Er hoffe auf erste Ergebnisse im Frühjahr.
Und was will RWE als Eigentümer für die 650 Hektar unfreiwillig nicht vernichteten Hambi-Restwald haben? Ähh … Schulterzucken allenthalben. Darauf hat niemand eine Antwort, auch der Staatssekretär nicht. „Darüber haben wir noch nicht gesprochen.“ Einer sagt, als Aktiengesellschaft den Anlegern verpflichtet, werde der Konzern das sicher nicht verschenken. Verkaufspreis zehn Morschenichs, oder mehr? Es sieht so aus, als gewinne RWE im Braunkohle-Business immer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin