Zugfahren in Corona-Zeiten: Seltenes Lob für Deutsche Bahn
Trotz geringer Nachfrage fahren viele Züge weiter. Verkehrsexperten halten das Krisenmanagement des Unternehmens für überzeugend.
Das Bahnmanagement steht Lutz zufolge in engem Kontakt mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und den VerkehrsministerInnen der Länder. Damit soll ein bundesweit möglichst einheitliches Vorgehen erreicht werden. Die Coronakrise werde die Bahn wirtschaftlich sehr hart treffen, erklärte Lutz. Viele Einnahmen brechen weg. Trotzdem zähle jetzt nicht vorrangig das Betriebsergebnis, betonte er. Eine Prognose zu diesem wollte er nicht abgeben. „Ein Preisschild daran zu hängen wäre nicht seriös“, sagte er.
Im Fernverkehr finden nach wie vor Ticketkontrollen statt, allerdings ohne persönlichen Kontakt zwischen KontrolleurInnen und Reisenden. „Für uns gilt das Primat: Gesundheitsfürsorge und Prävention unserer Mitarbeiter haben absoluten Vorrang“, sagte Lutz. Die Bahn hat großzügige Kulanzregeln eingeführt. Mittlerweile sind Onlineanträge für die Rückerstattung möglich. Bislang mussten die Formulare ausgedruckt werden. „Wir haben einen digitalen Schub an ganz vielen Stellen“, sagte Lutz. Zum Beispiel läuft die Rekrutierung neuen Personals nun digital.
Philipp Kosok, Verkehrsclub
Im Güterverkehr ist die Bahn zu 70 Prozent ausgelastet. „Wir fahren alles, was Kunden wollen“, sagte Lutz. Die Bahn habe neue Aufträge. Die könnten zwar nicht alles ausgleichen, was an anderer Stelle durch den Produktionsstillstand etwa in der Autoindustrie wegbreche. „Der grenzüberschreitende Güterverkehr läuft und ist ein stabiler und verlässlicher Faktor“, sagte er aber.
Staatliche Hilfe erforderlich
Das Krisenmanagement der Bahn für überzeugend hält Philipp Kosok vom ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD). „Die Bahn beweist derzeit sehr viel Rückgrat und wird ihrer gesellschaftlichen Aufgabe gerecht“, sagte er. „Ich rechne dem Vorstand hoch an, dass er betriebswirtschaftliche Aspekte zurückstellt.“ Kosok fordert, dass die Bundesregierung die verlorenen Einnahmen der Bahn ausgleicht. Außerdem brauche die Bahn nach der Krise ein Investitionsprogramm. Kosok: „Das wird der Moment sein, in dem jahrelang verschleppte Investitionen nachgeholt werden können.“
Auch der Bahnexperte der Bundestagsfraktion der Grünen, Matthias Gastel, hält es für richtig, das Angebot im Personen- und Güterverkehr aufrechtzuerhalten. Alle Akteure bräuchten jetzt schnelle und unbürokratische Hilfe, forderte er. Im Güterschienenverkehr liegt der Marktanteil der Deutschen Bahn bei weniger als 50 Prozent, der Rest entfällt auf andere Unternehmen. „Der Bund als Eigentümer des Schienennetzes kann durch Übernahme eines Teils der Trassenpreise für den Nah-, Fern- und Güterverkehr allen Unternehmen im Eisenbahnsektor schnell helfen“, sagte Gastel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit