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Zu wenig SozialwohnungenDie Fehler von gestern

Jasmin Kalarickal
Kommentar von Jasmin Kalarickal

Seit Jahren fallen Wohnungen aus der Sozialbindung. Deshalb wird die Wohnungsnot vor allem für Ärmere dramatisch. Die Ampelkoalition tut zu wenig dagegen.

Hier können sich nicht mehr alle das Wohnen leisten: Blick über die Innenstadt von Stuttgart Foto: Marijan Murat/dpa

D ie Zahl der Sozialwohnungen ist im vergangenen Jahr erneut gesunken. Das wird Jahr für Jahr konstatiert. Wenn es heißt, dass 36.500 Wohnungen aus ihrer Sozialpreisbindung gefallen sind, klingt das technisch. Aber die Folgen sind erschütternd. Menschen, die bislang in einer Wohnung mit staatlich regulierten Mieten lebten, tun es über Nacht nicht mehr. Sie sind dem freien Mietmarkt ausgeliefert. Die Ärmsten trifft es am härtesten. Denn die Wohnungsnot reicht bis in die Mittelschicht hinein.

Das Ziel der Ampel, 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr zu schaffen, wurde verfehlt. Doch die Bundesregierung ist nicht allein daran schuld. Der russische Angriffskrieg hat die Bedingungen für den Wohnungsbau durch Lieferengpässe und steigende Energiepreise unerwartet erschwert.

Zudem ist die Wohnungsnot ein Ergebnis jahrelanger chronischer Vernachlässigung. Öffentliche Wohnungsbestände wurden verscherbelt, lang gab man sich der Illusion hin, dass der Markt alles regelt. Ein Kardinalfehler war 1990 die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit unter Schwarz-Gelb. Zuvor gab es einen Skandal um die gemeinnützige Wohnungsgesellschaft Neue Heimat. Doch das Konzept der Wohngemeinnützigkeit war nicht falsch. Denn dort gilt anders als jetzt: einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung.

Nun möchte die Ampel zwar eine neue Wohngemeinnützigkeit einführen. Nur gibt es bislang nur ein vages Papier. Das erhöhte Wohngeld, mehr Geld vom Bund für den sozialen Wohnungsbau, das alles ist richtig, wird aber der Dramatik der Lage nicht gerecht. Schon jetzt ist jeder dritte Mieterhaushalt finanziell überlastet. Die Mieten steigen weiter.

Das Fatale ist: Bislang ist es relativ still. Die Miete sparen sich offenbar viele vom Mund ab, die Folgen lassen sich vielleicht an den Tafeln beobachten. Es braucht daher mehr lauten gesellschaftlichen Protest. Und anderseits eine Politik, die krisengerecht mit einem Sondervermögen reagiert. Keine einzige der aktuell befristeten Sozialwohnungen darf mehr aus ihrer Bindung fallen. Die Regierung muss bereit sein, den Preis für jahrzehntelanges Versagen zu zahlen.

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Jasmin Kalarickal
Redakteurin
Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
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23 Kommentare

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  • Ein Kernproblem des Wohnungsmangels sind die zu großen staatlichen Ausgaben und Vergünstigungen in den Metropolen und für sie. Mehr Geld für den Wohnungsbau verschärft das noch.

    Eine innovative Lösung gegen die Wohnungsnot wäre z.B. ein Umzug der Nofretete und weiterer Kunstschätze ins ehemals preußische Duisburg - würde den Overtourism in Berlin reduzieren und Kaufkraft schaffen, wo es freie bzw. billigere Wohnungen gibt.

  • Autorin schlägt weitere Umverteilung von Jung zu alt vor.

    "Und anderseits eine Politik, die krisengerecht mit einem Sondervermögen reagiert."



    > Mit anderen Worten, zusätzliche Schulden zu Lasten der jungen Generation.

    "Keine einzige der aktuell befristeten Sozialwohnungen darf mehr aus ihrer Bindung fallen."



    >> Bislang war aber genau das der Deal mit den Eigentümern. Wenn die Sozialbindung verlängert werden soll, dann geht das nur mit zusätzlichen Geld. Bei den derzeitigen Sozialwohnungen profitieren vor allem die derzeitigen Bewohner, ob noch bedürftig oder nicht mehr. Also v.a. die ältere Generation.

    Jung zahlt für alt?

  • Ideen: Baustoff- Industrie beobachtet und dort subventionieren oder politische Gefallen streuen wie erleichterte Transporte, Industrie- Grundstücke...



    Innovationen bei Baustoffen fördern, neue Baustoffe schneller zulassen, Berechnungs- Normen schneller einführen.



    Beispiel: mit Kohlefaser armierter Beton, Verbundwerkstoff aus CFK und genau geschnittenem Granit.

  • @KABELBRAND HÖLLENFEUER

    Nicht nur das. Der Staat pumpt auch noch Steuergelder über das Wohngeld in die von Ihnen erwähnten Rachen.

    Enteignen!

  • In Hamburg hat die FDP vor einigen Jahren den Antrag gestellt, die Bindungsrechte der Sozialwohnungen zu verlängern. Leider wurde der Antrag von Rot- Grün abgelehnt.

  • "Menschen, die bislang in einer Wohnung mit staatlich regulierten Mieten lebten, tun es über Nacht nicht mehr. Sie sind dem freien Mietmarkt ausgeliefert. Die Ärmsten trifft es am härtesten".



    Dazu folgende Anmerkungen:



    Nach Ende der Sozialbindung bleiben die Mieten über die Mietpreisbremse reguliert. Damit sind die Wohnungen i.d.R. erst nach ca. 12-15 Jahren auf dem Niveau des Mietenspiegels.



    Ferner ist nicht bekannt, wie viele sozial bedürftige Menschen tatsächlich in Sozialwohnungen wohnen. Die Quote der "Besserverdiener" dürfte jedoch bei ca. 30-40% liegen. Damit trifft es jedenfalls nicht ausschließlich die "Ärmsten der Armen". Um die zu schützen wäre es wünschenswert, wenn die Besserverdienenden in Sozialwohnungen eine Abgabe an die Ärmeren zahlen.

    • @Ulf UR:

      "Ferner ist nicht bekannt, wie viele sozial bedürftige Menschen tatsächlich in Sozialwohnungen wohnen. Die Quote der "Besserverdiener" dürfte jedoch bei ca. 30-40% liegen."

      ----------------

      Gibt es Sozialwohnungen nicht ausschließlich gegen einen behördlich ausgestellten Bezugsschein ? Und so einen bekommt kein "Besserverdiener".

      • @SeppW:

        Die beim Einzug Armen bleiben nicht alle arm. Gestern noch Student, Lehrling oder allein Erziehend, morgen guter Job, Kinder werden groß, gute Partie geheiratet...

        • @Christoph Strebel:

          Die WBS haben eigentlich eine begrenzte Gültigkeit und müssen soweit mir bekannt jedes Jahr neu beantragt werden...

          • @SeppW:

            Es ist politisch gewollt, dass der Nachweis der "Bedürftigkeit " nicht zu erbringen ist, um so eine "Ghettoisierung" zu verhindern. Warum deshalb die - weiterhin gesetzlich vorgesehene - Ausgleichsabgabe nicht erhoben wird, bleibt unklar.



            Es führt im Ergebnis dazu, dass hier gutverdienende Menschen geschützt und Sozialwohnungen ungerechtfertigt besetzt werden.

  • Ich glaube, dass es wirklich eine staatliche gGmbH (für jedes Bundesland eine, mit Hilfen vom Bund), die nur Sozialwohnungen baut und auch belässt.

  • Fehler die im Heute nicht angegangen werden sind Fehler von heute.

    Und verantwortlich sind die Entscheider von heute.



    Klar, dass diese ihre Verantwortung nur allzugern auf die Altvorderen abwälzn wollen.

  • In den besonders gefragten Lagen gibt es nicht mehr genug Bauland für eine Bebauung unter den Bedingungen der Wohnungsgemeinnützigkeit. Die erneute Einführung ist eine reine Utopie.

    Der eigentliche Fehler war nicht die Aufhebung der Wohngemeinnützigkeit sondern die Veräußerung staatlicher Wohnungsbestände. Nur Fehler der Vergangenheit sind halt Schall und Rauch.

    • @DiMa:

      Das ist richtig. Der Start war das Verscherbeln von ehemals staatlichen Immobilien an große Investoren zu Schnäppchenpreisen. Die Anzahl von Berechtigten steigt allein schon mit der massiven Zuwanderung. Unter den aktuellen Bedingungen reichen auch 400 Tausend neue Häuser pro Jahr nichts, unabhängig davon, wie viele Sozialbindung bekommen.

      • @Jairi:

        ....zum Zeitpunkt, als die Wohnungen aus dem Bestand des sozialen Wohnungsbau " verscherbelt " wurden - wie Sie es nennen, waren die Liegenschaften schon alt und abgewohnt. Nach dem Erwerb solcher Gebäude, in denen in dem Zustsnd kein Mieter mehr die Wohnungen bezogen hätte, mussten diese Gebäude ersteinmal auf den neusten Stand gebracht werden - also Investitionen, die fast im Bereich eines Neubaus lagen, getätigt werden...eine Mietpreisangleichung war doch nur zu verständlich !

        • @Alex_der_Wunderer:

          Ok, ich habe da vielleicht ein wenig vermengt, weil ich nah am Verkauf staatlicher Wohnungen war, die durchaus wohnenswert waren. 20.000€ für zwei Zimmer Wohnungen in guter Lage Frankfurt am Main ist wenig. Finde ich.

    • @DiMa:

      ...jede Medaille hat zwei Seiten - die einen sehens als Fehler, die anderen als ihr Geschäft ...

    • @DiMa:

      Und man kann die verlorenen Bestände auch nicht einfach wieder neu bauen, wenn man Klima- und Umweltschutz ernst nehmen will.



      Sozial und ökologisch vernünftig organierte Trailerparks an den Ränden der Städte könnten den Druck etwas rausnehmen, das will aber die Immobilienmafia nicht, die ihre Vertreter schon ewig im Bundestag sitzen hat und auch den sozialen Wohnungsbau seit Dekaden ausbremst. Die profitieren nämlich von der Not.

  • Das Geld, mit dem arme oder weniger wohlhabende Mieter in die Rachen ihrer Landlords stopfen, fehlt dann auch anderswo, z.B. bei den Ausgaben für höherwertige Lebensmittel oder bei der Bildung.

    • @Kabelbrand Höllenfeuer:

      Richtig lustig wird das noch, wenn Modernisierungskosten für die energetische Sanierung auf die Mieter umgelegt werden.



      Vermutlich werden dadurch die Nebenkosten nicht wesentlich sinken. Die Energie wird halt teurer...



      Und wenn sich Vermieten nicht mehr auszahlt, gibt es Leerstand. Davon profitiert auch niemand.

      • @Carsten S.:

        Zumal die Ampel tatsächlich die Modernsierungsumlage wieder von 8 auf 10% erhöht hat - plus die Umlage für die neue Heizung.



        Praktisch bezahlen alle Mieter die Wärmewende und die Landlords bekommen den Wert der Immobilien phne jede Beteilung erhöht.



        Man sollte diesbezüglich auch mal die Resonanz der Medien mit der Rumschreierei vergleichen, mit denen gegen die Erhöhung von H4 oder dem Heizungsgesetz gehetzt wurde.

      • @Carsten S.:

        Meine Cousine fragte mich, ob ich eine freie Wohnung in meiner Heimatgemeinde wüsste, weil ihre Freundin erfolglos suche. Mir fielen dort nur zahlreiche Leerstände ein, obwohl eifrig nach Wohnungen gesucht wird, weil es dort viel Arbeitsplätze gibt. Ich sprach einen Freund an, der seine inzwischen verstorbenen Eltern gepflegt hatte und nun alleine in im Zweifamilienhaus lebt. Er lehnte mit der Begründung ab, dass er im Alter keinen Stress im eigenen Wohnumfeld haben möchte und mit einer Vermietung beim aktuellen Mietrecht quasi enteignet werde. Das tue er sich nicht an. Lieber mache er sich die Arbeit und halte ein Haus sauber, von dem er nur die Hälfte richtig nutzt.

        • @Jairi:

          So ähnlich sieht es bei mir im Bekanntenkreis aus. Statt zu vermieten wurden bestehende Ein- und Mehrfamilienhäuser selbst weitergenutzt oder verkauft. Favorisiert an Käufer, die das Haus selbst bewohnen und ebenfalls nicht vermieten werden (selbst wenn die Vermietung von EFH im Rhein-Main-Gebiet äusserst lukrativ ist). Und in einem anderen Fall wird zwar zu einem unter dem Mietspiegel liegenden Kurs vermietet, allerdings mit dem Hinweis Richtung Mieter das kein Geld mehr für Modernisierungen in die Hand genommen wird. Schon gar nicht in Bezug auf Dämmung/Heizung etc. Wenn man was hochwertigeres will muss man halt ausziehen.

          Als kommender Erbe eines EFH, das ich nicht selbst bewohnen werde, überlege ich mir sehr genau was zu tun ist. Aber eins ist sicher : Vermietet oder verkauft wird wenn überhaupt nur an mir persönlich bekannte solvente Personen. Keine negativen Überraschungen, keine fragwürdigen Biographien. Das Haus wird "Bückware" werden, so oder so.