Zivile Drohnen: Wolkig mit Aussicht auf Pfannkuchen
Werden auf dem Land bald Brötchen per Drohne an die Haustür geliefert? Zu Besuch bei einem Experiment in Brandenburg, das wie Science-Fiction klingt.
D ie Drohne wankt. Sie surrt in der Luft wie ein übergroßes Insekt mit Bassstimme, ihre Rotorenblätter drehen sich so schnell, dass sie unsichtbar sind. Aber eigentlich sollte sie in der Luft stehen wie eine Eins. Stattdessen bewegt sie sich mal ein Stück in die eine, mal ein Stück in die andere Richtung, wie ein Betrunkener, der seine Füße nicht mehr koordiniert kriegt – und das führt bei Sven Jürß zu Sorgenfalten auf der Stirn. Der Drohnenpilot zeigt zu seinem Flugobjekt: „Dass sie ein bisschen wackelt im Wind ist normal. Aber dass sie immer wieder ein Stück in unterschiedliche Richtungen fliegt, das darf nicht sein.“
Es ist ein schlechter Tag in Wusterhausen, einer Gemeinde im nordwestlichen Brandenburg, weniger als 6.000 Einwohner:innen verteilt auf 22 Ortsteile – und ein guter. Ein schlechter Tag für das Projekt, das hier gerade erprobt wird: die Lieferung von Lebensmitteln per Drohne in einer Gegend, die sehr kleinteilig und zersiedelt ist. Der nächste Supermarkt ist teilweise eine 20 minütige Autofahrt entfernt. Für ältere Menschen, die sich vielleicht nicht mehr unbedingt hinters Steuer setzen sollten, oder solche, die aus Umweltgründen gerne auf das Zweitauto verzichten wollen, kann die Versorgung mit lebensnotwendigen Dingen umständlich werden. Und dennoch ist es auch ein guter Tag, um zu zeigen, woran es noch hakt, wenn Drohnen für etwas eingesetzt werden sollen, das nicht etwa einem Unternehmen, militärischen Interessen oder übergriffigen Paparazzi dient, sondern den Menschen.
Fünf Minuten Fußweg entfernt von der Drohne und eine Viertelstunde vorher. Der Marktplatz in Wusterhausen ist ein Ort, der an Tagen ohne Markt leer wirkt, aber durch die Stände und die Einkaufenden eine geschäftige Lebendigkeit bekommt. Fleischer, Fischhändler, die anliegende Bäckerei – die beiden Mitarbeiterinnen packen pausenlos Bienenstich, Mohnzopf, Pfannkuchen und Krausgebackene in Tüten. In die Schlange der Kund:innen reiht sich Corinna Solga ein. Sie bestellt zweimal Blätterteig mit Apfelfüllung und drei Pfannkuchen – muss kurz überlegen, ob bei der Bestellung wohl welche mit Zuckerguss oder Puderzucker gemeint waren, und zahlt die 8,50 Euro bar. Obwohl die Drohne heute nicht fliegen kann, möchte Solga zumindest zeigen, wie das funktioniert, dass die Waren in die Luft kommen.
Corinna Solga ist quasi die Hand der „Marktschwalbe“. So heißt das Projekt, mit dem Lebensmittel und Drogerieprodukte an zwei Tagen der Woche vom Markt in Wusterhausen in umliegende Ortsteile geflogen werden. Bislang ist es noch eher ein Probebetrieb als ein regulärer Einsatz, dafür hakt noch zu viel hier und dort. Aber die Idee ist da und grundsätzlich funktioniert sie: in einer Flächengemeinde Produkte des täglichen Bedarfs von A nach B zu fliegen.
Damit die Waren vom Laden oder Marktstand in die Drohne kommen, gibt es Solga und einen Kollegen. Sie arbeiten als Dispatcher, das heißt: Sie kaufen die Waren auf dem Markt und in den teilnehmenden Geschäften ein, bringen sie zum Flugobjekt, verpacken sie in die Transportkiste, machen die Drohne startklar und bringen sie zum Startplatz. Nur fliegen dürfen sie sie nicht, obwohl sie den kleinen Drohnenschein für das Basiswissen gemacht haben. Aber für das Fliegen gibt es Sven Jürß, den Drohnenpiloten. Der muss nicht einmal vor Ort sein, sondern kann das Steuern auch aus der Distanz übernehmen, mithilfe von Internet und Kameras.
Schadstoffe messen
Das Problem: Feinstaub, Ruß, Stickoxide – in der Luft, die wir atmen, ist ziemlich viel drin, was uns schaden kann. Daher gibt es Grenzwerte. Ob die eingehalten werden, wird vor allem in Städten mit stationären Messstationen untersucht. Doch diese Werte sind sehr punktuell. Um die Ecke, 30 Meter weiter oder zwei Meter höher kann es bereits ganz anders aussehen – besser oder schlechter. Und im ländlichen Raum, etwa an Autobahnen, wo das Netz an Messstationen noch gröber ist, sind die Werte noch weniger aussagekräftig.
Die Lösung ohne Drohne: Für die Prognosen und das Monitoring der Luftqualität werden Daten von stationären Messstationen genutzt.
Die Lösung mit Drohne: Die TU Braunschweig hat in Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen Drohnen mit mehreren Schadstoffsensoren ausgestattet. Anders als mit festen Messtationen lässt sich mit der Drohne auch die Schadstoffkonzentration in unterschiedlichen Höhen messen – oder entlang einer Strecke, etwa einer Autobahn. Das Fazit der Forscher:innen nach Abschluss des Projekts im vergangenen Jahr: „Wenn die gewonnenen Daten im Modell verwendet werden, verbessert sich die Prognose der Schadstoffkonzentrationen deutlich.“
Medikamente liefern
Das Problem: Die Zahl der Apotheken in Deutschland nimmt ab, seit Jahren schon. Betroffen davon sind weniger die Menschen in Ballungsräumen, in denen die Apothekendichte in der Regel hoch ist. Doch auf dem Land müssen Patient:innen durchaus eine zweistellige Anzahl an Kilometern fahren, um zur nächsten Apotheke zu kommen. Voraussetzung ist also ein Auto – und die Fahrtüchtigkeit.
Die Lösung ohne Drohne: Es gibt Lieferdienste, die wichtige Medikamente bringen, örtlich wurde auch schon mit Automaten experimentiert. Letzteres gilt allerdings vor allem für Standardmedikamente, schließlich lässt sich in einem Automaten nur eine stark begrenzte Anzahl an Arzneimittel vorhalten. Mittlerweile haben auch Start-ups entdeckt, dass sich mit dem Liefern von Medikamenten Geld verdienen lässt – allerdings haben die ihren Schwerpunkt vor allem in Städten und Ballungsräumen.
Die Lösung mit Drohne: In anderen Ländern ist die Lieferung von medizinischen Produkten per Drohne schon länger üblich. In Ghana etwa werden seit 2019 auf diesem Weg Impfdosen in ländliche Regionen gebracht. Eine im Fachmagazin Vaccine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass diese Transportmethode ein „wirksames Instrument zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Lieferkette für Impfstoffe“ sei – und zu einer höheren Impfrate beitrage. In Deutschland ist die Situation aufgrund einer besser ausgebauten Verkehrsinfrastruktur anders. Doch auch hier laufen immer wieder Projekte zur Versorgung mit Medikamenten per Drohne. Christian Bartelt, der an der Uni Mannheim zu Drohnen forscht, hält den Einsatz im medizinischen Bereich für einen realistischen und wirtschaftlichen Anwendungszweck. Maßgebliches Hemmnis für einen Regelbetrieb sei der komplizierte und langwierige Genehmigungsprozess. Ein Labor mit dem die Uni im Rahmen eines Pilotprojekts zusammengearbeitet hatte, habe daher vom regulären Einsatz abgesehen.
Rehkitze schützen
Das Problem: Mai, Juni, Juli – das sind die Monate, in denen Rehkitze auf die Welt kommen. Die Jungtiere verstecken sich gerne im hohen Gras von Wiesen oder Futteranbauflächen. Mähen nun Landwirt:innen eine Wiese, in der sich die Kitze verstecken, verletzten sie diese häufig schwer oder töten sie. Frisch geborene Kitze haben noch keinen Fluchtinstinkt, sondern drücken sich bei Gefahr nah an den Boden. Unter anderem aus dem Bundesnaturschutzgesetz geht hervor, dass wild lebende Tiere nicht „ohne vernünftigen Grund“ verschreckt oder getötet werden dürfen. Landwirt:innen müssen also vor der Mahd geeignete Maßnahmen zur Vorsorge treffen. Doch immer wieder werden Fälle bekannt, in denen das nicht passiert.
Die Lösung ohne Drohne: Die zu mähende Fläche vorher abgehen, langsames Mähen, um Tiere gegebenenfalls rechtzeitig zu entdecken oder elektronische Kitzretter, die hell blinken und laute Töne von sich geben. Das ist eine Auswahl der Maßnahmen, die etwa der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband den Landwirt:innen empfiehlt.
Die Lösung mit Drohne: Eine Alternative, die bereits in mehreren Regionen eingesetzt wird, sind Drohnen. Ausgestattet mit Wärmebildkameras können diese gerade in den kühlen Morgenstunden die Kitze aufspüren. Damit nicht die Landwirt:innen selbst das Gerät kaufen und die Steuerung einer Drohne lernen müssen, bieten unter anderem Tierschutz- und Jagdverbände oder Einzelpersonen ihre Hilfe an. Online gibt es Datenbanken, die beide Seiten zusammenbringen. Ist ein Jungtier gefunden, laufen Helfer:innen gezielt zu ihm, um es zu bergen. Ein Abgehen des gesamten Feldes ist nicht mehr nötig.
Robin Kellermann ist einer der Köpfe hinter dem Projekt „Marktschwalbe“. 2018 forschte der damalige Mobilitätsforscher an der TU Berlin zu Drohnen als Transportmittel. Irgendwann wollte er mehr Praxis und entschied, vom Forscher zum Unternehmer zu werden. Er gründete gemeinsam mit einem Mitstreiter eine Firma, die Kommunen berät, die Drohnen zum Wohl der Allgemeinheit einsetzen wollen. So entstand die Idee der „Marktschwalbe“. Ein geeigneter Ort fand sich in Wusterhausen mit seiner kleinteiligen Siedlungsstruktur – und einer gewissen Offenheit für neue Technologieprojekte. Vor ein paar Jahren fuhr hier testweise schon mal ein autonomer Bus. Der Hintergrund war ähnlich, die Versorgungslage sollte verbessert und den Menschen mehr Mobilität ermöglicht werden, jenseits des eigenen Autos. Robin Kellermann sagt über die Marktschwalbe: „Sie soll die gefühlte Mobilität der Menschen verbessern, denn sich auf dem Land zu versorgen, ist wirklich Arbeit.“
Eher eine Ergänzung zum Wocheneinkauf
In den Stadtzentren denken die meisten gar nicht darüber nach, dass sie nahezu jederzeit fast alles Nötige kaufen können. Außerhalb ist das anders, Vanessa Japs kennt das. Sie und ihre Familie wohnen in Trieplatz, etwa 15 Autominuten von Wusterhausen entfernt. Einmal die Woche macht die Familie einen Großeinkauf mit dem Auto. „Wenn ich dann etwas vergessen habe oder wir zwischendrin frisches Obst und Gemüse brauchen oder wenn Besuch vorbeikommt und ich keinen Kuchen parat habe, dann nutze ich die Marktschwalbe“, sagt sie am Telefon. Oder für Brötchen für die Oma, die mit im Haus wohnt. Die Bestellung läuft online oder per Telefon. Wenn die Drohne in die Luft geht, ruft Solga die Kund:innen an, um sie zu informieren, dass die Ware gleich am festen Landepunkt eintrifft.
Da ist sie, die gefühlte Mobilität: dass Japs keinen Kuchen in der Kühltruhe parat haben muss, dass sie auch unter der Woche mal Frisches kaufen kann, ohne ins Auto steigen zu müssen. Dabei können die Drohnen keinen ganzen Wocheneinkauf ersetzen. Dreieinhalb Kilogramm dürfen die Dispatcher in die Transportboxen packen. Selbst wenn alle fünf Drohnen für eine Familie im Einsatz wären, könnte das eng werden.
Doch heute würde keine Lieferung auf dem Drohnen-Landeplatz in Trieplatz eintreffen. Das liegt an der Sonne, obwohl die an diesem Septembertag hinter einer dichten Wolkendecke versteckt ist. Pilot Sven Jürß lässt die Drohne trotzdem kurz steigen, um das Problem zu zeigen. Das Wanken in der Luft liegt daran, dass die GPS-Satelliten gerade kein ganz zuverlässiges Signal liefern. Und das hat mit der derzeit hohen Sonnenaktivität zu tun. Die Kommunikationssignale der GPS-Satelliten, so erklärt es das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, werden durch die Folgen der Sonnenstürme etwas verzögert. Für die alltägliche Navigation wird das nicht zum Problem – beim präzisen Starten und Landen einer Drohne offensichtlich schon.
Firmengründer Kellermann sagt: „Ein robustes technisches System zu haben, das fehlerfrei läuft, ist die größte Herausforderung.“ Die Internetverbindung, die der Drohnenpilot braucht, um beim Steuern nicht ständig vor Ort sein zu müssen, starker Wind oder starker Regen, ein Rettungshubschrauber oder ein Leichtflugzeug – so viele Faktoren, die das System aus dem Takt bringen können. Das soll sich ändern. Denn schließlich wird der Winter mit Kälte, Schnee, Dunkelheit, Glatteis es vermutlich noch mal attraktiver machen, die Lieferung aus der Luft zu nutzen. Kellermann formuliert es so: „Das soll hier keine Schönwettersache sein.“
Eine Demonstration der Technologie
Hartmut Fricke, Professor für Technologie und Logistik des Luftverkehrs an der TU Dresden, glaubt nicht, dass sich Menschen hierzulande perspektivisch Brötchen und Joghurt per Drohne liefern lassen. Zu gering sei das Gewicht, das die Drohnen tragen können, und mit mehr Gewicht werde der Zulassungsprozess noch mal komplizierter. Aber über die „Marktschwalbe“ sagt er auch: „Als Technologiedemonstration ist das eine hervorragende Sache.“ Denn dass Drohnen künftig mehr und öfter eingesetzt werden, da ist er sich sicher. Zum Beispiel im medizinischen Bereich, beim Transport von Medikamenten, Laborproben oder sogar Organen. Vielleicht auch im Bereich der Expresslieferung von Paketen. Zentral würden Drohnen auch bei der Inspektion etwa von Windparks oder Schienen. Hier sei nicht nur die Zulassung einfacher – schließlich geht es um ein klar abgegrenztes Gebiet und es müssen keine Menschen überflogen werden – auch finanziell sei der Einsatz schnell lohnend. „Konventionell durchgeführt ist so eine Inspektion extrem teuer“, weil es zum Beispiel Personal vor Ort braucht. Mit der Drohne ließen sich lange Strecken schnell überfliegen, das spare Zeit und Geld. Die Deutsche Bahn nutzt die Technologie bislang nur für kurze Strecken, doch das soll sich bald ändern. Im September hat der Konzern angekündigt, ab dem kommenden Frühjahr auch Langstreckendrohnen einzusetzen, um das Schienennetz zu überwachen.
Natürlich sei das in Wusterhausen ein „Realexperiment“, sagt Bürgermeister Philipp Schulz. Er hofft dennoch, dass die Drohnenlieferung der Gemeinde erhalten bleibt. „Hier im ländlichen Raum ist die Verbesserung der Nahversorgung ein großes Thema“, sagt er. Er hofft, dass das Projekt „Marktschwalbe“ sogar noch wächst. Im nächsten Schritt, so Schulz, könnten dann Hofläden mit einbezogen werden, denn mit der Lieferung per Luft hätten diese einen zusätzlichen Vertriebsweg.
Dass man dem Projekt in Wusterhausen positiv gesinnt ist, könnte zum einen mit den Kosten zu tun haben. Denn die Bestellung ist für die Haushalte momentan noch gratis. Das Projekt bekommt eine öffentliche Förderung, gut 400.000 Euro. Bis Ende Februar 2025 ist die Finanzierung sicher, dann muss es entweder einen Anschluss geben oder das Projekt muss sich selbst tragen. Kellermann sagt, er wisse noch nicht, wie hoch die Bestellkosten sein müssten, wenn die „Marktschwalbe“ wirtschaftlich sein soll. Kundin Japs sagt, 2 Euro würde sie pro Bestellung wohl zahlen – 5 Euro eher nicht.
Lieferung per Drohne als Happening
Zum anderen hoffen die Menschen vor Ort darauf, dass sich die „Marktschwalbe“ als Wirtschaftsfaktor für die Region entpuppt. Japs berichtet von Feriengästen in Trieplatz. Für die könne es doch ein Erlebnis sein, mal eine Lieferung per Drohne zu erleben? Dispatcherin Solga stellt sich vor, dass Wusterhausen zum Modell- und Ausbildungsort werden könnte. Bürgermeister Schulz berichtet vom kommunalen Bauhof, der die Start- und Landeplätze gebaut habe, und dem Know-how, das man in der Gemeindeverwaltung aufbaue. Und Gründer Kellermann hofft, dass zum Beispiel Landwirt:innen den Wert der Drohne erkennen. Sei etwa während der Mahd ein landwirtschaftliches Gerät defekt, könne ein schnell eingeflogenes Ersatzteil womöglich die Ernte retten.
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Und die süßen Teilchen, die Solga in der Bäckerei gekauft hat? Der Kunde hat sie zwischendurch einfach persönlich abgeholt. „Kein Problem, ihr sagt einfach, wenn es wieder funktioniert“, hat er noch gerufen. Wie er nach Wusterhausen gekommen ist? Mit dem Auto.
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