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Zeitenwende-Rede von Olaf ScholzNicht feige, sondern weitsichtig

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Kanzler Scholz hat sich seit seiner Zeitenwende-Rede vor einem Jahr nicht treiben lassen. Das war weitsichtig, aller Kritik zum Trotz.

Olaf Scholz auf dem Truppenübungsplatz in Bergen vor einem getarnten Leopard 2 Panzer Foto: Björn Trotzki/imago

E in tief eingefrästes Urteil über Kanzler Scholz lautet, er habe seit dem 24. Februar 2022 immer nur gezögert, nicht geführt und sich bei Waffenlieferungen treiben lassen. Ein Blatt im Wind, ein willenloser Kanzler.

Nicht nur angesichts der zaghaften Bereitschaft der Panzerallianz von Madrid bis Helsinki – die eher eine Fantasie aufgeregter deutscher Medien war –, auch wirklich Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, sollte man das rüde Urteil über Scholz revidieren. Nie alleine vorneweg zu gehen, alles genau im Westen abzustimmen, auch um Putin wenig Spaltungschancen zu eröffnen – das war eine Strategie mit Halte­seilen. Scholz folgte bei den Waffenlieferungen innen- und außenpolitisch dem Kalkül der Risikominimierung – lieber vorsichtig und langsam, als am Ende vor einem selbst geschaffenen Trümmerhaufen zu stehen.

Waffen nach und nach zu liefern war rational, weil es die Chancen bot, zu erkennen, wie Russland reagiert. Und innenpolitisch preiste es ein, dass gerade die Hälfte der Bevölkerung, die Angst vor der Eskalation hat, im Boot gehalten werden muss – gerade weil der Krieg lange dauern kann. Diese Politik verzichtete zum Glück auf heldenmütige Posen. Auch die diplomatischen Initiativen im Globalen Süden passten nicht in das Erwartungsprofil frisch bekehrter Bellizisten – dafür waren sie effektiv.

Eine Regierung, die im März oder April, im Hochgefühl nach dem schamvollen Nordstream-2-Irrtum endlich entschlossen, das Richtige zu tun, deutsche High-tech-Panzer und Kampfjets an die Front geliefert hätte, wäre außenpolitisch ein Solist gewesen. Innenpolitisch hätten schwere Panzer und markige Sprüche aus dem Kanzleramt für einen Zwist gesorgt, gegen den der Streit über das Manifest für den Frieden ein laues Lüftchen gewesen wäre.

Friedrich Merz bearbeitete im Bundestag nicht zufällig Sahra Wagenknecht mit schwerem Moralgeschütz. Zu Scholz fiel ihm einfach nichts brauchbar Kritisches mehr ein. Die Weigerung des Kanzlers, Moral und Militärstrategie kurzzuschließen, war nicht feige, wie gelegentlich unterstellt wurde, sondern weitsichtig.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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13 Kommentare

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  • Ja, Deutschland hat sich wirklich um 180° gewendet und tut viel für die Ukraine. Dennoch hätte vieles um 3-4 Monate schneller gehen können. Und war ist auch: Die Blockfreie Ukraine ist auch kein neutrales Österreich. Wäre Vorarlberg eingenommen, würden wir nicht so zögern ob Innsbruck noch fällt. Das ein paar Maulhelden vorgeprescht sind, entschuldigt dennoch Scholz nicht, viel mehr mit USA, France, UK Italien und Polen dienend zu führen. Und da ist und war er schwach. Keiner erwartet Draufgängertum und Oberkörperfreies Reiten von ihm. Nochmal: Innsbruck ( Charkiw ) darf nicht fallen!

  • Mit dem klitzekleinen Nachteil, dass die zögerlichen Panzerlieferungen zehntausende zusätzliche ukrainische Opfer gefordert hat, weil sich das Land nicht adäquat verteidigen kann und mit veraltetem Gerät arbeitet.

    Und zwischen "High-tech-Panzer und Kampfjets" liefern im März/April 2022 und jetzt März 2023 liegt eine Menge Zeit. Es wäre nichts dramatisches passiert, wenn man die Entscheidung für Panzerlieferung schon im Herbst getroffen hätte.

    Und zum Thema Zustimmung oder nicht in der Bevölkerung: Die Politik kann öffentliche Meinung durchaus beeinflussen. Wenn man wie Teile der Politik ständig vor "Eskalationsspiralen" warnt ist es kein Wunder, dass man die Bevölkerung weiter verunsichert.

    • @gyakusou:

      Ja, wahrscheinlich ist Russland gar keine Atommacht, das hat sich irgendein Politiker nur ausgedacht...

      • @Philippo1000:

        Setzt Russland Atomwaffen ein wird jedes Land auf Erden bei Verstand solche Waffen anstreben. In so einer Welt will Russland nicht leben, selbst um den Preis der Krim nicht.

        • @Machiavelli:

          Wenn Russland Atomwaffen einsetzt, ist die "Problematik" der Zunahme von Atomwaffenstaaten wohl eher sekundär.

  • "sollte man das rüde Urteil über Scholz revidieren."



    Na, Stefan Reinecke braucht kein Urteil über zu große Zögerlichkeit scholzseits zu revidieren, er hat diesen Vorwurf ja nie erhoben.



    Ich würde aber an dem Vorwurf festhalten, denn bei aller Richtigkeit eines Vorgehens mit Bedacht erschließt sich mir nicht, warum die ganzen Panzer- bis Munitionsaufträge nicht locker mal ein paar Monate früher rausgegangen sind. Dann würde die Ukraine jetzt wohl mehr der grauenhaften russischen Mensch- und Materialwalze entgegensetzen können.



    Möglicherweise heißt die Schuldige aber auch weniger Scholz und mehr, wie war der Name noch . . Lambrecht.

    • @dites-mois:

      Wie praktisch!



      Da gab es ja einige "Strategen" unter den Leserbrieftauben, die zwischenzeitlich schon den Sieg der Ukraine vor Augen hatten. Das lag, zu dem Zeitpunkt, im Übrigen auch an von Deutschland gelieferten Waffen.



      Wenn sich nun das Kriegsglück in die andere Richtung neigt, braucht es natürluch einen Schuldigen..Ihre Expertise ist wenig reflektiert und wiederholt die gleichen Argumente des vergangenen Jahres.



      Manche Dinge werden auch durch das mehrmalige Wiederholen nicht wahrer.

      • @Philippo1000:

        Irgendwie relativ inhaltsfrei, was Sie da schreiben. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass Sie einfach mal ordentlich dagegen motzen mussten.

        • @dites-mois:

          Zur Erläuterung:



          Die große Offensive der Ukraine war, wie militärische ukrainische Kreise bestätigten, auf westliche Waffenlieferungen, insbesondere auch aus Deutschland, zurück zu führen.



          Somit kann die Lieferstrategie wohl nicht besonders verfehlt gewesen sein.



          Wie sie an Wartezeiten für die zur Verfügung zu stellenden Panzer bemerkt haben werden, war auch die Ringtausch Aktion der Regierung völlig richtig.



          Kurzfristig, ohne Zusatzausbildung, konnten von den Ukrainern erprobte Waffensysteme zur Verfügung gestellt werden.



          Die Schäden in der Infrastruktur wurden beispielsweise mit Lieferungen von Stromaggregaten durch das THW beantwortet .



          Dies sind nur Beispiele.



          Wenn Sie den Kriegsverlauf verfolgt haben, wüssten Sie das natürlich.



          Der Großteil der Waffenlieferungen fällt, im Übrigen in Frau Lambrechts Dienstzeit.



          Sie hat einen Haufen Arbeit weggeschafft.



          Aber warum schreibe ich mir die Finger wund,



          da Sie ja offenbar nicht einmal im Ansatz vorgefestigte Meinungen in Frage stellen können.

          • @Philippo1000:

            Ja, warum schreiben Sie sich hier die Finger wund, Ihre sorgsame Selektion der Informationen würde doch eher dazu einladen, für die nicht passenden Informationen nochmal ein bisschen nachzusitzen: großes Thema immer wieder letztes Jahr waren nie aus dem VM rausgegangene Bestellungen, unbeantwortete Nachfragen aus der Industrie bezüglich allerlei herumstehenden Kampfgeräts, das sich nochmal fitmachen ließe etc. Frau L hatte in der Zeit aber eher großartige Begegnungen mit großartigen Menschen, und mit Pistorius kann man staunen, wie es auch geht: transparent, kommunikativ und: schnell. Wie gesagt: möglicherweise alles auch auf Vorgaben aus dem KA zurückzuführen. Unbestritten bleibt aber: die Leopards hätten längst in der Ukraine sein können.

  • Ein zutreffender Kommentar.



    Der rote Faden der, an die Kriegssituation angepasste, Außenpolitik ist deutlich erkennbar.



    Blickt man/frau auf das Jahr zurück, wird deutlich, dass der Kanzler die Unterstützung ziemlich stringent den Erfordernissen angepasst hat.



    Die überbordende Kritik an seiner Person läuft ins Leere.



    Vielleicht ist nach einem Jahr Dauerkritik an der Ampel mal Innehalten und Objektivität gefragt.



    Was wurde alles geleistet und umgesetzt?



    Der linke Teil der Bevölkerung muss sich, auch nach der wahrscheinlichen Auflösung eines linken Bündnisses in Berlin, die Frage stellten, ob es tatsächlich eine bessere Alternative für die Ampel gibt.



    Ob Merz tatsächlich besser für Deutschland ist?



    Sollte die CDU, in sozialer umweltpolitischer Sicht, eher nicht überzeugen, so wäre zu überlegen, ob eine konstruktive Unterstützung der Ampel evtl. zielführender ist.



    Aus meiner Sicht ist eine Auflösung der linken Berliner Koalition, egal durch wen, eine Enttäuschung.



    Ebenso bin ich überzeugt, dass die Zukunftsthemen mit CDU Beteiligung keine Zukunft haben.

    • @Philippo1000:

      Scholz ist ja nicht gleich der Ampel. Die eigenen Koalitionspartner haben ja vielfach auch schon quer geschossen und diese Zögerlichkeitsvorwürfe in den Medien erst kolportiert (Frau Strack-Zimmermann zum Beispiel, oder gefühlt die halbe Grünen-Fraktion).