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Zehn Jahre Demos gegen Stuttgart 21Protestkräfte besser einsetzen

Benno Stieber
Kommentar von Benno Stieber

Das Aktionsbündnis hat Recht behalten. Es wäre aber besser, das Unabwendbare zu akzeptieren und Einfluss auf das frei werdende Gelände zu nehmen.

Die 499. Montagsdemonstration gegen den Bahnhof Ende Januar Foto: Tom Weller/dpa

Z ehn Jahre lang Woche für Woche hunderte Bürgerinnen und Bürger auf die Straße zu bringen, 500 Mal gegen das irrwitzigste Verkehrsprojekt der Republik demonstrieren – dafür braucht es Überzeugungskraft und Durchhaltevermögen. Das Stuttgarter Aktionsbündnis hat beides bewiesen. Selbst dann noch, als ihnen die Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg und sogar in Stuttgart bei der Volksabstimmung eine Niederlage bereitet hat.

Die S21-Gegner haben mit fast allen ihren Befürchtungen bisher Recht behalten. Mit der Kostenexplosion zum Beispiel. Aber am Ende geht es bei Stuttgart 21 nicht um Leben oder Tod, sondern „nur“ um einen Bahnhof. Allerdings mit derzeit 8,3 Milliarden Euro Gesamtkosten den wahrscheinlich teuersten der Welt. Und noch dazu einen, bei dem nicht geklärt ist, ob er dem Verkehrsaufkommen gewachsen sein wird. Aber inzwischen ist der Bau des Tiefbahnhofs und der neuen Streckenführung so weit fortgeschritten, dass das Projekt nicht mehr umkehrbar ist, auch wenn die Gegner noch immer an einem Rückbauplan schreiben.

Besser wären die Protest-Kräfte eingesetzt, wenn die Bewegung das inzwischen Unabwendbare akzeptieren würde und sich ab jetzt geschlossen für eine Kombi-Lösung aus Tiefbahnhof und einem zusätzlichen Nahverkehrsbahnhof einsetzen würde. Eine Lösung, die sicherstellt, dass Stuttgart nicht zum Nadelöhr wird, wenn die Bahn, wie angekündigt, künftig ihr Verkehrsaufkommen verdoppeln möchte. Und außerdem sollten die Kritiker der Stadt streng auf die Finger schauen, wenn der Bebauungsplan für das frei werdende Gelände mitten in der Stadt entworfen wird.

Wer auch immer Stuttgart nach der Oberbürgermeisterwahl im Herbst regieren wird: Es sollte klar sein, dass das neue Stadtviertel kein Luxus-Ghetto werden darf, sondern vor allem bezahlbaren Wohnraum in einer der teuersten Städte Deutschlands bieten muss. „Oben bleiben“, der Slogan der Gegner, hat sich überlebt. „Oben sozial – unten leistungsfähig“ könnte der Schlachtruf für die nächsten 500 Montagsdemos lauten.

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Benno Stieber
taz-Korrespondent BaWü
Benno Stieber ist seit 2015 Landeskorrespondent der taz in Baden-Württemberg. In Freiburg als Österreicher geboren, lebt er heute als eingefleischter Freiberufler wieder im badischen Landesteil. Er ist Absolvent der "Deutschen Journalistenschule" in München und hat dort auch Geschichte und Politik studiert. Er schrieb unter anderem für die "Financial Times Deutschland", hat einen erfolgreichen Berufsverband gegründet und zwei Bücher geschrieben. Eins über Migranten nach der Sarrazin-Debatte und eins über einen Freizeitunternehmer aus dem Südwesten.
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24 Kommentare

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  • Danke, GO-N. Das Übliche. Es wird geschrieben, ohne dass man sich genug kundig gemacht hat. Ist bei 21 auch nicht ganz einfach.

  • Ich gebe zu, daß die taz meine Lieblingszeitung ist; auch wenn selbst mir manchmal auffällt, daß die taz von den großen Problemen der Zeit mehr versteht, als von ProvinzAngelegenheiten. Was in Berlin passiert, das zählt. Die größten Baustellen Europas, wie z.B. das klimaschädliche Projekt "Stuttgart 21", gehören in die Schublade Provinzkram. Das kann man verstehen. Wer seinen geistigen Mittelpunkt in der Weltmetropole Berlin hat, der kann sich nicht mit Details von Provinzdingen abgeben.



    Aber ist das gleich ein Grund, in den "Tunnelsprech" der Projektbefürworter von #S21 zu verfallen? Muß man deshalb behaupten, in es ginge nicht um Leben und Tod, sondern "nur" um einen Bahnhof?

    So kann leicht argumentieren, wer Kaprun vergessen hat: die Brandkatastrophe, bei der fast alle Fahrgäste der Pistenbahn eines provinziellen Ski-Zirkusses in einem Tunnel ums Leben gekommen sind. Wer in Stuttgart lebt und gegen das unnütze, gefährliche, umwelt- und klimaschädigende Projekt #S21 protestiert, der hat das vielleicht noch nicht vergessen. Ihm mag bewußt sein, daß mit den #S21-Tunnelkatakomben das nächste Kaprun vorbereitet wird: eine Brandkatastrophe von gigantischem Ausmaß ist dort vorprogrammiert, weil es keine angemessene Brandschutzvorbereitungen gibt. Leider geht es dabei, falls das Tunnelbahnprojekt in Betrieb gehen sollte, zukünftig nicht nur um ein paar Dutzend Tote, sondern um das Leben von tausenden von Reisenden. Bei unnützen "Weißen Elefanten" in Stuttgart geht es eben nicht nur um Pöstchen für "grüne" Seitenwechsler, sondern nebenbei auch um Fragen von Wahrheit und Lüge, von Naturerhaltung oder Naturzerstörung, ja gerade auch um die Frage von Leben und Tod.

    Benno Stieber ist mit seinem Kommentar "Protestkräfte neu ausrichten" zu kurz gesprungen. Das kann man ihm persönlich nicht zum Vorwurf machen, denn er macht es wie andere Autoren. In Berlin fehlt eben manchmal der richtige Blick für läppische Provinzangelegenheiten.

  • Es wäre natürlich noch hübsch, wenn ein paar hochrangige Politiker in den Knast gingen und ihre Pension verlören. So schaut es so aus, als ob Korruption in Deutschland komplett strafbefreit wäre. Dafür kann man ruhig noch ein paar 500x demonstrieren.

  • Manche Gegner haben nach über 10 Jahren Protest einfach schlicht keine Kraft - und auch keine Lust - mehr, sich an der Dummheit einer Stadt/eines Landes weiter abzuarbeiten und ziehen es vor, ihre Energie in andere Themen zu stecken, oder gleich in eine Stadt zu ziehen, die weiß, wie wichtig ein funktionierender Bahnhof ist. Vom Mineralwasservorkommen, Parks etc, red ich erst gar nicht....

  • Als würde das von Beginn an zentrale Anliegen zu verhindern sein, wenn schon die Vorarbeiten dafür 8 Milliarden Euro kosten durften.

  • „Oben sozial – unten leistungsfähig“

    Ziemlich sperrig und merkwürdig doppeldeutig.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Alte Erfahrung:



      Sozial weiß ich nicht, aber wenn oben im Kopf alles klar ist, klappt es auch unten

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Stuttgart 21 ist ein Lehrstück, das eine grundsätzliche Schwäche unserer Demokratie aufzeigt.



    Unter perfekter formaler Einhaltung unseres demokratischen Regelwerks kann die Legislative, wenn sie nur geschickt genug lügt und dabei die ganze Zeit niemals von ihrem Narrativ abweicht, die volkswirtschaftlich-ökonomisch und ökologisch unsinnigsten Projekte installieren.



    Dass selbst die Widerlegung aller dummdreisten Behauptungen für Entscheidungsträger nicht die geringsten Folgen hat, ist ein fundamentaler Systemfehler in dieser Republik, die wiederkehrend die unglaublichsten Schäden zur Folge hat.

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Man kann aber beim besten Willen nicht behaupten, die Projektbetreiber von #Stuttgart21 hätten sich an Recht und Gesetz gehalten. Ganz im Gegenteil:



      sie haben gelogen und betrogen, was das Zeug hält, und das Projekt wurde nicht demokratisch durchgesetzt, sondern auch mit Rechtsbruch, mit Gewalt, mit Korruption und mit mindestens einem gewaltsamen, rechtswidrigen Polizeieinsatz.



      Würde unser Rechtssystem und unsere Demokratie funktionieren, dann hätte es #S21 niemals gegeben.

    • @61321 (Profil gelöscht):

      War das nicht glasklar Betrug durch eine kriminelle Organisation? Die richtigen Zahlen lagen auf dem Tisch und wurden mittels PR und Exekutivgewalt geleugnet. Politische Schwergewichte wie Heiner Geissler haben gelogen, um anderen Milliarden zuzuschanzen. Das Prinzip der Gutgläubigkeit wurde hintergangen. Dass der Staatsanwalt nichts findet, liegt am politischen Filz der Gerichte. Ein unabhängiger Staatsanwalt hätte hier gefunden. Mittlerweile sind alle Akten vernichtet und die Zeugen verstorben. Waren nicht Personen aus Merkels direktem Umfeld federführend beteiligt? Da der Bundestag mauert, könnte eine Klage über die UNO Erfolg haben. Im nächsten Wahlkampf? Die Linke will ja nicht, da sie sich für AKK schön macht. Aber da gibt es sicher noch andere!

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Was wäre die Lösung für die Schwäche? Und welche Regierungsform hat diese nicht?

      Wenn das Regelwerk eingehalten wurde, ist es in allen Fällen schwierig dagegen vorzugehen. Selbst die Lügen sind wahrscheinlich nicht nachzuweisen, so dass es auch keine nachträglichen Sanktionen geben wird.

      Man muss wahrscheinlich aushalten, dass falsche Entscheidungen, bzw. generell Entscheidungen gegen die eigene Meinung, getroffen werden. Wenn es so offensichtlich falsch war, warum wurden dann die politisch Verantwortlichen nicht abgewählt?

      • 6G
        61321 (Profil gelöscht)
        @fly:

        .



        Grundsätzlich haben Sie mit dem Aushalten in einer Demokratie von Dingen die uns nicht passen natürlich Recht.



        Vorschlagen würde ich zwei Dinge:



        - Für Projekte ab einer gewissen Größenordnung sollten einfache Mehrheiten nicht ausreichen, egal auf welcher Ebene darüber abgestimmt wird, insbesondere aber bei Volksbefragungen. Es erscheint einfach fragwürdig, Mammutprojekte gegen den erklärten Willen eines sehr großen Bevölkerungsanteils durchzusetzen. Das ist zugegeben nur ein semi-rationales Argument und entspricht mehr einem Bauchgefühl.



        - Zweitens: Die Vorspiegelung falscher Tatsachen und die Nennung von Fantasie-Zahlen zur Erlangung der Zustimmung für ein solches Projekt, muss Folgen haben.



        Den Nachweis dafür zu führen, ist sehr schwierig. Die Verweigerung der Hinnahme einer "überraschenden" Kostenexplosion wäre dagegen relativ einfach. Mögliche Erpressung durch den Notstand der "Faktizität der Umstände" muss dabei ausgeschlossen werden.



        Es ist doch nur noch ein dummer Witz: Die öffentliche Hand macht Ausschreibungen und vergibt regelmäßig Aufträge ohne wirkliche Kostenbindung. Es ist zur absoluten Regel geworden. Das ist systematischer Betrug und warum keine politische Kraft versucht, grundsätzlich dagegen vorzugehen, ist ein Rätsel.



        Ein kleiner Handwerksbetrieb, der mit der Masche operieren wollte, wäre nach kürzester Zeit erledigt. Geht nicht.

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Und als Stuttgarter Sahnehäubchen, vor ein paar Tagen in kontext zu lesen, die Stuttgarter Oper soll für eine Milliarde Euro saniert werden.

      Und weil man ja weiß, dass es nie bei der Ausgangssumme bleibt, werden es wohl zwei.

      Und die Elbphilharmonie rutscht im Ranking ein Stück nach unten.

  • Wenn man bedenkt,dass Leute für diesen Scheiß ihr Augenlicht durch brutale Polizeigewalt verloren haben und auch anderweitig schwer verletzt wurden und mit allem recht behielten,dann sollte man solche Projekte doch in Zukunft kritischer unter die Lupe nehmen und den Unmut der Bevölkerung stärker berücksichtigen.Manager,die Macher sein wollen und jeden Widerstand zerbrechen wollen,haben lange ausgedient und ihre Inkompetenz mehrfach bewiesen.Siehe Mehdorn.

  • "..mit allem Recht behalten", ach wie müßig! Wenn ich mit allem, wo ich recht behalten habe irgendwie Forderungen aufmachen könnte...vom Klimawandel bis Trump bis egal was. Törichte Argumentation!



    Nein, die Protestler sind dagegen, und daher als Verhandlungspartner unakzeptabel, auch für mich. Als Bürger BW's mich von den Starrköppfen vertreten lassen? No!

    Wie immer scheiterts an mangelnder Konstruktiviät, Besserwisserei, und eben Rechthaberei! Somit danke für Ihre Formulierung Herr Stieber, das ist es, bzw. das war es.



    Sozial oben? Bin dabei! Der Zeitpunkt das zu diskuteren war aber vor 10 Jahren... da hätte man konstruktiv sein sollen und einen "deal" machen. Jetzt siegt in der Tat wieder das Kapital (zum Kotzen!), und alle heulen rum. Und wer ist schuld? Genau: Die die es schon immer gewusst haben aber falsch agiert haben. Und das ist dann erst richtig zum Kotzen.

    • @Tom Farmer:

      Den eigenen Text vielleicht noch einmal durchlesen und die Widersprüche darin suchen. Beim finden dann nicht gleich verdrängen, sondern sich mit Zusammenhängen beschäftigen. Notfalls nicht gleich an der ersten Ecke stehen bleiben.

      • @Hampelstielz:

        Ok. Ja klar. Nein.

    • @Tom Farmer:

      "Nein, die Protestler sind dagegen, und daher als Verhandlungspartner unakzeptabel, auch für mich. Als Bürger BW's mich von den Starrköppfen vertreten lassen? No!"ZITAT

      Wie unlogisch ist das denn?

      • @Markus Müller:

        Was ist unlogisch? Die allein “oben bleiben“ texten in eine vorwärtsgerichtete Diskussion schicken in der die Fertigstellung des Bahnhofs gesetzt ist? Kann das aus Ihrer Sicht konstruktiv werden?

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Tom Farmer:

      .



      Was wäre denn vor 10 Jahren der "Deal" gewesen?

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Genau was Herr Stieber schreibt. Die Flächennutzung oben gemeinsam mit unten verhandeln. Und nicht nur an der Verhinderung arbeiten die war zu keinem Zeitpunkt möglich, da zu gut gelogen von den Entscheidern.

  • Die roten und grünen Arschumente für das neue Stadtviertel sind so bescheuert und verlogen wie alles an diesem verfluchten Projekt. Auf teurem Grund, in der dreckigsten Ecke, die Infrastruktur bereits heute überlastet, egal ob Auto oder Bahn.



    Man hat den Grünen einen vergifteten Apfel angeboten und sie haben angebissen.

    • @Werner S:

      Richtig.



      Aber was tun?