Wohnungen in Bremen: Kein Friede den Palästen
Die Linkspartei will den Wohnungsbau-Konzern Vonovia großflächig enteignen. Für SPD und Grüne ist Verstaatlichung aber nur ein letztes Mittel.
Während die Linkspartei am Wochenende einstimmig beschlossen hat, dass die mehr als 11.000 Wohnungen der Wohnungsgesellschaft Vonovia in Bremen alle enteignet und verstaatlicht werden sollen, lehnen sowohl SPD als auch Grüne das klar ab. „Im Moment denken wir über Enteignungen nicht nach“, sagt Jens Tittmann, der Sprecher des grünen Bausenators. „Wir wollen das Geld lieber nutzen, um selbst Wohnungen zu bauen.“ Dafür habe das Ressort freie Flächen für 20.000 Wohnungen identifiziert, so Tittmann.
SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe kann sich Enteignungen zwar „im Grundsatz vorstellen“ – er hält sie jedoch weder für wirtschaftlich noch für effizient. Denn die Vonovia müsste für Enteignungen entschädigt werden, „und bei 11.600 Wohnungen kommen über 520 Millionen Euro zusammen, wenn Bremen im Schnitt 45.000 Euro pro Wohnung zahlt“, rechnet Tschöpe vor. „Wir haben da andere Prioritäten“, sagt er. Vonovia selbst äußert sich nicht zu den Rechenspielen.
Bei der Linkspartei hingegen werden schon konkrete Schritte geplant. Der Beirat Hemelingen debattiert gerade einen Antrag, den die Linke gemeinsam mit den Piraten eingebracht hat. Sie will die Vonovia am Sacksdamm „enteignen“ – und das Baugrundstück der jetzt städtischen Brebau zuschlagen, die dann dort „dauerhaft günstigen Wohnraum“ schaffen soll.
Die Vonovia plant auf dem dortigen Gebiet der bereits abgerissenen Schlichtwohnungs-Siedlung 88 Wohnungen – 66 davon werden eine Kaltmiete von durchschnittlich 9,50 Euro pro Quadratmeter haben, 22 Wohnungen werden dank der Sozialwohnungsquote für maximal 6,50 Euro pro Quadratmeter angeboten. Im Jahr 2020 wollen sie bezogen werden.
Die Sozialwohnungsquote „löst die Wohnungsprobleme nicht für alle Bevölkerungsteile und vor allem nicht dauerhaft“, sagt Ingo Tebje von der Linkspartei – nach Auslaufen der Mietpreisbindung werde mit diesen Wohnungen „nochmal ordentlich Profit gemacht“. Er hält eine Enteignung „zum Wohle unseres Stadtteils“ rechtlich für „durchführbar“. Auch der Hemelinger Ortsamtsleiter Jörn Hermening glaubt, eine Enteignung sei „natürlich rechtlich zulässig“ – Ressortsprecher Tittmann indes hat da „Zweifel“. An eine Enteignung denkt man in der Behörde ohnehin nicht: „Wir werden das nicht machen.“
Bei der Vonovia will man sich nicht „in die Debatte der Politik einschalten“, sagt Konzernsprecherin Panagiota-Johanna Alexiou der taz. Die Befürchtung, in der Stadt keine bezahlbare Wohnung zu finden, sei aber durchaus real. Und darauf müsse das Unternehmen eine Antwort finden. „Wir können uns selbstkritisch fragen, warum wir nicht früher und aktiver in den Neubau eingestiegen sind“, so Alexiou.
Die Vonovia baut aber nicht nur, sie verkauft auch: Derzeit will der Konzern 400 Wohnungen in der Lüssumer Heide an die Gewoba verkaufen, nachdem es dort wiederholt medienwirksamen Streit um extrem hohe Betriebskostenabrechnungen gab, die zum Teil der Staat zahlen muss. Weitere Verkäufe seien aber nicht geplant, so die Vonovia.
Vonovia-MieterInnen auf Zinne
Aus Sicht des Bausenators Joachim Lohse sind Enteignungen eine „Ultima Ratio“, wenn sich Konzerne „in rücksichtloser Weise bereichern“. Und genau das könnte in den Hochhäusern Neuwiederstraße 1 und 3 in Tenever der Fall sein – die allerdings nicht der Vonovia gehören. Dort kann sich die SPD eine Enteignung „vorstellen“, sagt Tschöpe – und hat auch schon eine entsprechende Anfrage an den Senat gestellt. „Das ist ein langer und beschwerlicher Weg“, heißt es aus dem Bauressort, wo man zunächst auf Reklamationen und Gespräche setzt.
Unterdessen gehen auch die MieterInnen der Vonovia auf die Barrikaden. In Gröpelingen demonstrierten am gestrigen Mittwoch über 100Menschen unter dem Motto „Vonovia stoppen“. Sie fordern überprüfbare Belege für Betriebskosten und wehren sich gegen Mieterhöhungen und „Modernisierungen auf unsere Kosten“.
Die Vonovia reagiert auf die Proteste mit einer Mietersprechstunde. Zudem seien zusätzliche Mitarbeiter eingestellt worden, um den Service wie gefordert zu verbessern, so Alexiou. „Wir wollen, dass unsere Mieter bei uns wohnen bleiben und deswegen nehmen wir ihre Sorgen sehr ernst“, sagt die Konzernsprecherin. Wenn BewohnerInnen nach einer Modernisierung die Miete nicht aufbringen könnten, setze die Vonovia „alles daran, gemeinsam eine Lösung zu finden“ und begleite Härteanträge „persönlich, individuell und konstruktiv“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut