Wohnraum in Berlin: Besetzer fordern den Senat heraus
Die Räumung eines besetzten Hauses schürt den Konflikt zwischen Politik und Bewegung. Bürgermeister Müller sagt: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel.“
Im übertragenen Sinne ganz ähnlich hatten den Tag über auch Berlins Senatsmitglieder gehandelt. Die professionell vorbereiteten und konzertierten Besetzungsaktionen hatten die rot-rot-grüne Regierung in die politische Arena gezogen. Doch es fand sich niemand, der sich hervorwagte, um die polizeiliche Lösung für ein politisches Problem zu verhindern.
Der formal für die Wohnungsbaugesellschaften zuständige Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) hätte „Stadt und Land“-Chef Malter aus der Verantwortung nehmen können, wohl auch eine resolute Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). Doch beide hielten sich bedeckt – und ermöglichten damit die durch Malter angeforderte Räumung.
Damit ist weder das Problem einer für viele zur Existenzfrage gewordenen Wohnungsnot gelöst, noch die Aktionsform Besetzen delegitimiert. Im Gegenteil: Statt die in dem Wohnhaus seit zehn Jahren leer stehenden 40 Wohnungen schnellstmöglich wieder bewohnbar zu machen, werden diese auf absehbare Zeit weiter leer stehen.
Und statt einen Konsens darüber zu haben, dass das Aneignen fremden Eigentums unmoralisch und falsch ist, wird bundesweit die Debatte darüber geführt, ob nicht das Gegenteil davon richtig ist. Exemplarisch für viele Debatten fragte die Süddeutsche Zeitung am Dienstag: „Hausbesetzung – ein angemessener Protest gegen Wohnungsnot?“
Die Linke in der Kritik
Weniger in der SPD, dafür bei Verantwortungsträgern von Grünen und Linken beantworten viele diese Frage mit Ja – dennoch hat der Senat nun das erste Mal in seiner anderthalbjährigen Amtszeit einen ernsthaften Konflikt mit der außerparlamentarischen linken Szene der Stadt. Besonders die Partei, die mit „Und die Stadt gehört Euch“-Plakaten für sich geworben hatte, bekommt den Unmut zu spüren.
Auf Indymedia machten einige der BesetzerInnen die Linkspartei für die Räumung „verantwortlich“. Einen Tweet der Linken Berlin, in dem Verständnis für die Aktion und ein Bedauern über die Räumung ausgedrückt wurde, kommentierte die offizielle #besetzen-Kampagne: „Solange ihr nur Lippenbekenntnisse aussprecht, können wir auf eure Solidarität verzichten!“ In einer Mitteilung kündigte die Initiative zudem an: „In Zukunft werden wir uns nicht mehr auf Rot-Rot-Grün und ihre Zusagen verlassen. Bald kommen wir wieder!“
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller äußerte gegenüber der taz Verständnis für die „Angst vor steigenden Mieten“. Weiter sagte er: „Doch der Zweck heiligt nicht die Mittel. Hausbesetzungen sind kein probates Instrument, sie verletzen Recht und Gesetz. Und das können wir nicht zulassen.“ Die wohnungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Iris Spranger zeigte sich über den Leerstand in einem „Stadt und Land“-Haus überrascht und kündigte an: „Wir werden jetzt mit den Wohnungsbaugesellschaften sprechen. Wir wollen wissen, wie viele das genau sind.“
Angebot als Novum
Malter hatte seit dem Nachmittag mit den BesetzerInnen verhandelt, später unterstützt von Scheel, und ihnen das Angebot unterbreitet, in dem Haus ein selbstverwaltetes Projekt zu realisieren. Die Rede war von einem „Vorzugsrecht“ und Mieten von sechs Euro pro Quadratmeter. Dafür allerdings sollten die BesetzerInenn umgehend das Haus verlassen. Ein noch am selben Tag den BesetzerInnen zugesichertes Haus wäre selbst für Berlin ein Novum geblieben, zumal die Polizei seit Jahren die „Berliner Linie“ verfolgt und Besetzungen innerhalb von 24 Stunden beendet.
Dennoch war die Skepsis der KampagnenvertreterInnen groß. Würden sie das Haus verlassen, wäre ihr einziges Druckmittel dahin. Auch der Mietpreis von 6 Euro überzeugte nicht alle. Noch während der Vorschlag mit den BesetzerInnen diskutiert wurde, bat Malter die Polizei um Räumung. Ihm zufolge sei die für die Verhandlungen gesetzte Frist von einer halben Stunde überschritten und niemand mehr zu erreichen gewesen.
Senatorin Lompscher forderte am Montag von der Stadt und Land, auf Strafanzeigen gegen diejenigen BesetzerInnen zu verzichten, die „das Gebäude ohne Widerstand verlassen haben“. Laut Polizei werde gegen sechs der angetroffenen 56 Personen auch wegen Widerstands ermittelt. Alle Anzeigen seien nun aber Sache der Justiz. Der taz sagte Malter, er sei verpflichtet, die Anzeigen wegen Hausfriedensbruch aufrecht zu erhalten: „Ich bin an den rechtlichen Rahmen gebunden, da gibt es keinen Weg heraus.“ Aus der Senatsverwaltung hieß es: „Wir sind noch in der Diskussion.“
Mitarbeit Stefan Alberti
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