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Wissenschaft und CoronaEine laute Minderheit

Eine Mehrheit der Bevölkerung vertraut der Wissen­schaft und Forschung. Mit der Coronapandemie ist das Vertrauen sogar noch gewachsen.

Vertraut der Wissenschaft nicht: Coronaleugner am 17. November in München Foto: Aaron Karasek/imago

Berlin taz | Selten waren in Deutschland Wissenschaft und Politik weiter auseinander als aktuell in der vierten Welle der Coronapandemie. Wiederholt und zunehmend eindringlicher haben Forscher, nicht nur aus der Fächergruppe der Lebenswissenschaften, in den letzten Monaten gefordert, die steigenden Infektionszahlen mit präventiven Maßnahmen abzuwehren. Doch die Politik, mit Wahlkampf und Regierungsbildung beschäftigt, negierte die wissenschaftlichen Warnrufe. Ein Fall von dringend nötiger Politikberatung, die zum Schaden des Landes aber nicht zustande kommt.

Wie die Faust aufs Auge passt da die neueste Auflage des „Wissenschaftsbarometers“, das sondiert hat, welche Meinung die deutsche Bevölkerung über Wissenschaft hat und wie deren Erkenntnisse auch von der Politik genutzt werden sollten. Die Verschärfung der Lage hatten sich die Auftraggeber der jährlichen Befragung – die von den deutschen Wissen­schafts­organi­sa­tio­nen betriebene Kommunikationsplattform Wissenschaft im Dialog (WiD) – Anfang September noch nicht vorstellen können. Damals hatte das Marktforschungsunternehmen Kantar im Auftrag von WiD 1.002 repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger nach ihren Ansichten zur Wissenschaft befragt.

Die Ergebnisse fielen nicht besonders spektakulär aus. So gaben 61 Prozent der Befragten an, sie würden der Wissenschaft und Forschung „eher oder voll und ganz“ vertrauen. Für die beiden Positivantworten hatten im Vorjahr 60 Prozent votiert, keine große Veränderung – allerdings schon gegenüber der Einschätzung vor der Co­ro­na­kri­se. In den Jahren von 2017 bis 2019 schwankte das Vertrauen der Deutschen in die Wissenschaft immer um die 50 Prozent. Gut ein Drittel haben heute ein neutrales, indifferentes Verhältnis zur Wissenschaft, und lediglich 5 Prozent sind generell skeptisch bis ablehnend gegenüber dem, was die Doktoren und Professoren so treiben.

Unter den Berufsgruppen können Ärzte und medizinisches Personal das höchste Vertrauen der Bevölkerung für sich verbuchen: 79 Prozent. Es folgen die Wissenschaftler mit 73 Prozent. Wesentlich geringer ist das Vertrauen, das Behördenvertretern, Journalisten und Politikern entgegengebracht wird: 34, 21 und 18 Prozent, ein deutlicher Autoritätsschwund gegenüber dem Vorjahr.

Interessante Befunde gibt es beim Thema Corona – neben der Politikberatung der Schwerpunkt der Befragung von 2021. 64 Prozent der Bürger fühlen sich gut informiert und antworten: „Ich weiß viel über das Corona­virus.“

Infos aus dem Internet

Informationsquelle Nummer eins ist in diesem Jahr erstmals das Internet, das den klassischen Medien Fernsehen und Zeitung den Rang abgelaufen hat. Das führt dann aber auch zu Einschätzungen, dass 13 Prozent meinen, es gebe „keine Beweise, dass Corona existiert“.

Eine dreimal größere Gruppe – nämlich 39 Prozent – ist der Auffassung: „Die Wissenschaftler sagen uns nicht alles, was sie über das Coronavirus wissen.“ Und 26 Prozent stimmen der Aussage zu, dass „aus der Pandemie eine größere Sache gemacht wird, als diese eigentlich ist“. 61 Prozent sind gegenteiliger Meinung. Die Zahlen führen auf den Grund der anhaltenden Impfverweigerung in Deutschland.

Größtes Zugangsproblem für die Wissenschaft ist die Zeitnot der Politiker

„Das Vertrauen in die Wissenschaft, ihre Expertise und ihre Kommunikation ist anhaltend hoch – das ist positiv“, bewertet Mike S. Schäfer, Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometer. „Aber die Ergebnisse zeigen auch, dass eine Minderheit an der Wissenschaft zweifelt, allerdings eine Minderheit, die während der Pandemie lauter geworden ist“, fügt Schäfer hinzu, der Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Wissenschaftsbarometers ist.

Vertrauen ist gut, aber Handeln ist in Krisenzeiten wichtiger. Hier klafft in der WiD-Umfrage eine Erkenntnislücke. Ermittelt wurde zwar, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung ist, die Wissenschaftler sollten die Politik bei ihren Entscheidungen – wie gegenwärtig in der Coronakrise – beraten und dazu auch eigene Empfehlungen abgeben. Aber ob und wie diese Empfehlungen angenommen werden, dazu hat das Wissenschaftsbarometer keine Befunde. In der gegenwärtigen Situation, in der Politik den Rat der Wissenschaft weithin negiert, wäre das eine wichtige Information.

Immerhin haben sich andere Wissenschaftsorganisationen damit befasst, welche Früchte wissenschaftliche Politikberatung trägt – mit unterschiedlichen Ergebnissen. So hat die Nationalakademie der Wissenschaften Leopoldina kürzlich eine Untersuchung über den „Nutzen von wissenschaftlicher Evidenz“ für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags vorgelegt. Dafür wurden 142 Parlamentarier und 256 ihrer Mit­arbeiter befragt. Ergebnis: Nur von der Hälfte der befragten MdBs wurden „die Gutachten und Expertisen wissenschaftlicher Beiräte häufig als Informationsquelle genutzt“. Am relevantesten für die Arbeit der Politiker erwiesen sich „thematisch und redaktionell aufbereitete Ergebnisse, wie Länderanalysen, Gutachten oder Stellungnahmen von Wissenschaftsakademien“.

Bei der Vertrauensfrage gaben zwar nur 59 der befragten 142 MdBs an, „dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse sehr vertrauenswürdig finden“, aber es gab keine ablehnenden oder zweifelnden Stimmen. Ein sehr großes Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse wurde innerhalb der Fraktionen der Grünen (10 der 14 befragten MdBs) sowie der CDU/CSU (23 der 43 befragten MdBs) angetroffen. Weniger wissenschaftsaffin waren die Links-Fraktion und die AfD.

Insgesamt zeigte sich in der Untersuchung der Leopoldina zum Politikakteur Bundestag, der Legislative, dass fast die Hälfte der befragten Abgeordneten „die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse im politischen Entscheidungsprozess als angemessen bewerten“. Die andere Hälfte ist der Meinung, Wissenschaft werde zu stark oder zu wenig gehört.

Größtes Zugangsproblem für die Wissenschaft ist übrigens die Zeitnot der Politiker. Daher empfiehlt die Leopoldina dringend, mit „kurzer und allgemeinverständlicher Darstellung der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ an die Politiker heranzutreten.

Als eine weitere Form der Politikberatung hat sich während der Pandemie die Einrichtung von Expertenbeiräten ergeben, und zwar in unerwarteter Vielfalt. So haben For­sche­r*in­nen am Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ermittelt, dass allein im letzten Jahr 21 Expertenräte und -beiräte eingerichtet wurden, die die Regierungen von zehn Bundesländern und vier Bundesministerien zur Sars-CoV-2-Pandemie berieten. Am häufigsten waren biomedizinische Fachbereiche wie Virologie, Krankenhaushygiene, Medizin, und Biologie vertreten. Weitere Disziplinen (Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften) und nichtwissenschaftliche Ex­per­t*in­nen waren in sieben Bundesländern beratend dabei.

Die Zahl erstaunt, denn nur in drei Pandemieplänen der Länder ist eine besondere Beratungsgruppe vorgesehen. „Das hat uns gezeigt, dass dieses externe Expertengremium ein sehr beliebtes Instrument der Politik war, um sich in der Pandemie beraten zu lassen“, erklärte Studienautorin Kerstin Sell im Deutschlandfunk.

Was heraus kam, ist allerdings unklar. Arbeitsweise und Ergebnisse der Gremien sind äußerst schlecht dokumentiert, fanden die LMU-Forscher heraus. „Aufgrund fehlender Transparenz ist unklar, ob und wie die identifizierten Ex­per­t*in­nen­rä­te Einfluss auf die Politik genommen haben“, stellt die Studie bedauernd fest.

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16 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Gibt es nicht einen Anklagepunkt "Aufwiegelung"?



    Den Typen auf dem Foto würde ich sofort einkassieren. Vielleicht könnte er ja im Zirkus als Clown auftreten.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Nun, ich denke es wäre an der Zeit einmal darüber nachzudenken wie man den Straftatbestand der Volksverhetzung ins 21. Jahrhundert rüber holt.

  • Richtig, man sollte sich auch nicht von lauten Minderheiten beeindrucken lassen. Gilt auch für Österreich: über die max. 40.000 Menschen auf der Corona-Demo in Wien wurde breit berichtet. Dass sich am gleichen Tag in Österreich >70.000 Menschen haben impfen lassen, ist untergegangen.

  • wohl zufällig gehörte ich zudiesen zufälligen Befragten von Kantar.

    Dierawaren zum Teil ganz schön suggestiv.

    Da wurde beispielsweise gefragt ob man den Systemmedien vertraue oder nicht.

    • @Friderike Graebert:

      Definieren Sie "Systemmedien" bitte.

      • @Stechpalme:

        Was meinen sie, warum die Kommentarschreiberin die Frage als suggestiv bezeichnet hat?

  • Größtes Zugangsproblem für die Wissenschaft ist übrigens die Zeitnot der Politiker. Daher empfiehlt die Leopoldina dringend, mit „kurzer und allgemeinverständlicher Darstellung der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ an die Politiker heranzutreten.

    DAS war also der Fehler seit Corona (!) Was wir gebraucht hätten, wären barrierefreie Fakten-Darstellungen gewesen, "vereinfacht für Ministerpräsidenten". Laschet etwa konnte man im Herbst 2020 dabei zusehen, wie er erst in einer TV-Talkrunde Wesentliches kapierte, und kaum nen Tag später dieses dann dem Volke verkündete. Mit dem durchaus lobenswerten Schlussatz: "So einfach ist das. Und auch so schlimm."

  • "dass fast die Hälfte der befragten Abgeordneten „die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse im politischen Entscheidungsprozess als angemessen bewerten“"

    Da fühle ich mich als Bürger maximal verarscht.



    War mal ne schöne Doku über den Agrarausschuss in der ARD. Eingeladener Experte, Prof. mit über 30 Jahre Erfahrung: mehr als (Größenodnung!!!) 150-180g Stickstoff pro m² (Gülle die die Bauern billig "entsorgen" wollen!) bei max. Mangel im Boden, bei Pflanzen die viel Dünger brauchen (Mais). D.h. man muss testen wie groß der Mangel ist und ensprechend weniger Düngen wenn kein Mangel vorliegt.



    Macht man das nicht verseucht man das Grundwasser!!!

    Die Politiker, meist Großbauern und Mitglieder im Vorstand von Baywa und Co.



    haben beschlossen: (Größenodnung!!!) 220g / m²... ohne Test.



    D.h. man hat die wirtschaftlichen Interessen höher gewertet als sauberes Grundwasser.

    Sorry, das gehört unter Strafe verboten.



    Wer hat denn je die Politik ermächtigt Entscheidungen wider die wissenschaftliche Erkenntnis zu treffen? ICH NICHT!

    • @danny schneider:

      Nicht Faktor 10000, aber trotzdem falsch ! 150 kg sind 150000 Gramm, das sind auf 10000 Quadratmetern ( 1Hektar ) dann 15 oder 18 Gramm je Quadratmeter.

    • @danny schneider:

      Ist ja nett wenn Sie Dokus über die Landwirtschaft anschauen, aber dann sollten Sie auch aufpassen was gesagt wird. Bei den 150-180 kg Stickstoff geht es um die Menge auf 1 Hektar. Sie haben sich also um den Faktor 10000 getäuscht. Etwas nicht kapieren ist die eine Sache, aber Fehler auch noch als Argument benutzen die andere. Oder geht es denn Corona-Leugnern genauso ??

      • @Günter Witte:

        ich bin mir Sicher das es um g/m² ging, aber im Prinzip gings mir nur um das rel. Verhältnis

      • @Günter Witte:

        auch wenn er sich im Faktor geirrt haben sollte, die Kernaussage ist doch aber, das der Ausschuß eine höhere Menge genehmigt hat, als wissenschaftlich empfohlen. (Vorausgesetzt die 220g/m2 sind auch um den selben Faktor verzerrt. Falls nicht, wäre es sogar noch mehr ein Argument für Danny Schneider)

        • @nutzer:

          Was Sie und Danny Schneider nicht beachten ist das auch Pflanzen einen Bedarf an Stickstoff zum Wachsen benötigen. Die 150 kg - 180 kg ist der Entzug der Pflanze aus der Erde für ihr Wachstum. Grünland das öfters gemäht wird hat einen Entzug von über 300 kg N je Hektar.



          Mal ganz davon abgesehen was Pauschale Landwirtschaftskritik mit diesem Beitrag zu tun hat, sollte man sich über Pflanzenernährung auskennen bevor man diese verurteilt.

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Der Text ist schon ein bischen zum Schmunzeln. Dass nur 26 Prozent der Aussage zustimmen, dass „aus der Pandemie eine größere Sache gemacht wird, als diese eigentlich ist“, dürfte zumindest die ehemaligen Abgeordneten Nüsslein und Sauter beruhigen.



    Aus dieser Perspektive stammt wohl auch die aufwertende Bezeichnung für den negativ besetzten Begriff des Lobbyisten. Expertenbeirat klingt viel positiver.

    Ohnehin erübrigt sich diese Einschätzung der verschiedenen Strategien zur Eindämmung der Pandemie in unserem Land, zieht man den Vergleich zu anderen Ländern , wo keine große Sache aus der Pandemie gemacht wurde, hinzu. In diesem Vergleich beweisen das Krisenmanagement der Vergangenheit und die aktuelle zugespitzte Situation in den Krankenhäusern das Gegenteil.

  • 9G
    97627 (Profil gelöscht)

    "Selten waren in Deutschland Wissenschaft und Politik weiter auseinander als aktuell in der vierten Welle der Coronapandemie."

    Bitte was? Das ist in Deutschland Dauerzustand. Vom Klimawandel seit Jahrzehnten, zu gesetzlichen Ausnahmen für die Quacksalberei namens Homöopathie.