Wir retten die Welt: Jenseits von Corona

Das Virus zeigt uns, was wir in unserer Hybris längst verdrängt haben: Die Natur ist nicht nett. Und wir haben guten Grund zur Panik.

Eine Atemschutzmaske

Atemschutzmaske gegen Hilflosigkeit? Foto: Dirk Sattler/imago

BERLIN taz | Meine Hausärztin war ratlos. „ich verstehe auch nicht, warum alle so eine Panik um Corona machen“, sagte sie. „An der Grippe sterben mehr Leute.“ Auch ihre Sprechstundenhilfe wunderte sich. Auf jeden Fall hat die Praxis mal eine Lieferung Mundschutz geordert. Man weiß ja nie.

„Ich will, dass ihr in Panik geratet“, hat Greta Thunberg gesagt. Es scheint, als ob wir sie beim Wort nehmen. Nicht beim Klima, keine Sorge: Da denken wir erstmal ganz in Ruhe drüber nach, ehe wir zu spät und mehr so symbolisch handeln.

Aber beim Corona-Virus, da schlägt die Panik weltweite Wellen: Quarantäne, Seuchengesetze, Regionen werden abgeriegelt, Lieferketten auch für Medikamente unterbrochen.

Ein Gefühl, das wir hassen wie die Pest: Hilflosigkeit

Am Corona-Virus leiden und sterben Menschen. Und der wirtschaftliche Schaden ist noch gar nicht abzusehen. Aber die Angst vor dem Feind hat vielleicht nicht nur damit zu tun, dass sich da eine neue, unbekannte, unsichtbare Krankheit schnell und scheinbar unaufhaltsam ausbreitet. Vielleicht ist Corona auch so bedrohlich, weil es uns mit dem einem Gefühl infiziert, das wir hassen wie die Pest: Hilflosigkeit.

Das Virus zeigt uns, was wir auf der Insel der Seligen erfolgreich verdrängt haben: dass die Natur da draußen nicht so nett ist, wie uns die Werbung im Biomarkt vorgaukelt. Mit der realen Welt jenseits unserer Wohlstandsblase lässt sich nicht verhandeln, Kompensationszahlungen und goldene Kreditkarte interessieren sie nicht. Die Natur schlägt nicht mal zurück. Sie macht einfach ihr Ding. Wenn du da im Weg stehst: Pech gehabt.

So haben sich die Menschen über Jahrtausende gefühlt, wenn bei ihnen der Blitz einschlug. Erst seit 100 Jahren und nur in den reichen Staaten erliegen wir der Hybris, wir könnten unser Schicksal steuern. Das tun wir auch, und so sieht die Welt auch aus.

Mutter Erdes Betriebssystem ist eiskalte Physik

Wir reden vom Anthropozän, wo der Mensch zum bestimmenden Faktor der planetaren Entwicklung wird. Und dann kommt da so ein dahergelaufenes Virus und erinnert uns daran, was wir in unserer Vollkasko-Gesellschaft gern vergessen: Wenn wir unsere „Umwelt schützen“, sollten wir das aus Eigeninteresse tun, aber keine Dankbarkeit dafür erwarten.

Das Betriebssystem von Mutter Erde sind eiskalte physikalisch-chemische Prozesse. Wer Kohlendioxid in die Atmosphäre pumpt, wer Millionen von Tier- und Pflanzenarten ausrottet, wer überall Müll verteilt und im globalen Stil die Physik und Chemie des Planeten verändert, bekommt die Konsequenzen zu spüren. Mit einem Virus oder einem Waldbrand kann man nicht verhandeln.

Deshalb zittern wir vor diesem Erreger. Wir können ihn nicht kaufen oder domestizieren. Wir können ihn nicht abschießen wie einen störenden Wolf. Wir können ihn nicht mit „Das gab´s immer schon mal“ relativieren. Und wir können ihn nicht als „Müll-Wissenschaft“ diffamieren. Plötzlich beten auch die größten Verächter der Wissenschaft zu den Halbgöttern in Weiß um ein Gegenmittel. Und die Impfgegner sind plötzlich ganz leise.

Es gibt da draußen eine Menge guter Gründe für Panikattacken. Vielleicht nicht das Corona-Virus. Ganz sicher aber unsere chronische Ignoranz-Psychose mit destruktiven Tendenzen. Wird schon schiefgehen.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

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