Windkraft auf Kosten indigener Völker: Greta protestiert gegen Windanlagen
Nach Protesten gegen Windkraftparks im Gebiet der Samen entschuldigt sich die norwegische Regierung. Auch Greta Thunberg unterstützte den Protest.
Worum geht es? Fosen ist eine Halbinsel an der Westküste Norwegens in der mittelnorwegischen Region Trøndelag. Ein besonders windreiches Gebiet und deshalb der Standort vieler Windkraftanlagen. 2010 hatte die Regierung in Oslo die Baugenehmigung für zwei dortige Windkraftparks erteilt: Storheia und Roan. Mit zusammen 151 Windkraftanlagen gehören sie zu den größten Onshore-Windkraftparks Europas. 2019 und 2020 nahmen sie ihren Betrieb auf.
Es war von Anfang an ein umstrittener Standort. Über zwei Dutzend samische Familien, die dort Rentierzucht betreiben, hatten sofort gegen die Pläne protestiert. An anderen Windkraftstandorten habe sich gezeigt, dass eine Koexistenz zwischen Rentierhaltung und Windturbinen nicht möglich sei. Forschung habe bestätigt, dass die Rentiere diese Anlagen weiträumig meiden. Würden sie errichtet, gehe traditionelle Weidefläche für diese Tiere verloren. Ersatz gebe es nicht.
Nach einem zehn Jahre langen Rechtsstreit durch alle Instanzen bestätigte das „Høyesterett“, der oberste Gerichtshof des Landes, am 11. Oktober 2021 diese Einwände und entschied, dass die Baugenehmigung illegal war und einen Verstoß gegen die Menschenrechte der Samen darstellt. Die entsprechende Genehmigung hätte nie erteilt werden dürfen, konstatierte der Gerichtshof, denn sie habe den Schutz des indigenen Volks der Samen missachtet, wie dieser im „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ der Vereinten Nationen – auch „UN-Zivilpakt“ genannt – verbrieft sei. Dessen Artikel 27 verpflichtet die Staaten zu einem umfassenden Schutz der Kultur ethnischer, sprachlicher und religiöser Minderheiten. Mit dem Bau und Betrieb der Windkraftanlagen in dem fraglichen Gebiet würde aber so massiv in die Möglichkeiten zur Ausübung der Rentierzucht und damit die Lebensgrundlage und Kultur der dort lebenden Samen eingegriffen, dass diesen deren weitere Ausübung unmöglich gemacht oder zumindest unzulässig beeinträchtigt werde.
Bedenken der Samen lange Zeit ignoriert
Überraschend konnte dieses Urteil für Oslo nicht gekommen sein. Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) hatte die norwegische Regierung schon 2018 dringend aufgefordert, die trotz Fehlens eines letztinstanzlichen Urteils begonnenen Bauarbeiten umgehend zu stoppen. In Oslo hatte man darauf aber nicht reagiert. Und die Investoren dieser Anlagen, zu denen neben dem staatlichen Energiekonzern Statkraft auch ein Konsortium zählt, zu dem die Stadtwerke München gehören, nahmen das Risiko in Kauf, dass diese Turbinen womöglich nie in Betrieb genommen werden könnten oder wieder stillgelegt und abgerissen werden müssten. Die Folgen für die Samen hätten die Betreiber nie interessiert, sagt die Jura-Professorin Kirsti Strøm Bull: „Hauptsache, ein Gebiet, in dem es viel bläst und sie am meisten Profit machen können.“
Drei Tage nach dem Urteilsspruch des „Høyesterett“ trat die jetzige Regierung des Sozialdemokraten Gahr Støre ihr Amt an. Ihr oblag es damit, das Urteil umzusetzen. Es geschah nichts. Offizielle Begründung: Man müsse erst „noch prüfen“. Schließlich habe das Gericht nicht konkret dargetan, was die Regierung denn nun tun müsse. Medien und JuristInnen wunderten sich: Wie könne man denn der Meinung sein, dieser tagtägliche Menschenrechtsverstoß könne anders beendet werden, als die widerrechtlich erteilte Betriebsgenehmigung zu widerrufen, den Weiterbetrieb der Turbinen deshalb zu verbieten und den Abbau der illegal errichteten Anlagen anzuordnen?
Energieministerium versuchte weiter Schlupflöcher zu finden
„Man bekommt das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen“, beschrieb Jon-Andreas Lange, der Rechtsanwalt der Fosen-Samen, vor einigen Wochen seine bisherigen Kontakte mit dem zuständigen Öl- und Energieministerium. Dort versuche man offenbar doch noch irgendein Schlupfloch zu finden, um die Windkraftanlagen nicht abreißen zu müssen: „Es ist erschreckend, wie die Regierung auf diese Weise das Prinzip der Gewaltenteilung infrage stellt.“ Das sei „eines Rechtsstaats so was von unwürdig“. Und auch die norwegische Kirche sah sich zu einem offenen Brief veranlasst, in dem sie Oslo an eine Selbstverständlichkeit erinnert: „Auch wenn der Staat einen Prozess verliert, hat er dem Urteil Folge zu leisten.“
Am vorletzten Donnerstag waren genau 500 Tage seit dem „Høyesterett“-Urteil vergangen. 500 Tage des Nichtstuns der Regierung und des fortdauernden Bruchs der Menschenrechte. MitgliederInnen einer samischen Jugendorganisation und der Naturschutzbewegung „Natur og Ungdom“ nahmen diesen Tag zum Anlass für eine Demonstration vor dem Öl- und Energieministerium. Die Aktion unter dem Namen „Land Back!“ entfaltete eine vermutlich selbst von den InitiatorInnen nicht erhoffte Dynamik. Nachdem 13 DemonstrantInnen 82 Stunden lang das Foyer des Ministeriums besetzten, bevor die Polizei ausgerechnet mitten in der Nacht diese Besetzungaktion beendete, wurde der Protest zum Topthema in den abendlichen Fernsehnachrichten. Als dann am Sonntag auch noch Greta Thunberg nach Oslo kam, sich ebenfalls vor den Eingängen von Ministerien festkettete und mehrmals von der Polizei weggetragen wurde, interessierten sich neben nationalen auch internationale Medien für das Fosen-Thema.
Thunberg prangert grünen Kolonialismus an
Greta Thunberg kämpft gegen Windkraftparks? Ob denn „Schulstreik gegen Windkraft“ ihr neues Motto sei? „Nein, ich bin natürlich nicht gegen grüne Energie“, antwortete sie auf diesbezügliche Reporterfragen: „Aber eine Energiewende auf Kosten indigener Völker: Das geht überhaupt nicht.“ Dass man den Samen im Namen der Energiewende die Lebensgrundlage entziehe, sei nichts als „grüner Kolonialismus“: Die Windkraftanlagen müssten abgerissen, das Land den Samen zurückgegeben werden. Am Donnerstagnachmittag räumte Öl- und Energieminister Terje Aasland vorbehaltlos ein, in Fosen geschehe ein Menschenrechtsverstoß.
Schon in dieser Woche soll das Parlament die Fosen-Frage behandeln, am Donnerstag besucht Gahr Støre erstmals seit seinem Amtsantritt als Regierungschef das Samen-Parlament in Karasjok. „Wir unterbrechen unsere Aktion erst einmal“, teilte Hætta Isaksen mit: „Wir sehen jetzt die Basis für eine Lösung.“ Rund 1.000 DemonstrantInnen versammelten sich am Freitag zu einer Abschlusskundgebung vor dem Osloer Schloss. Die Botschaft der dort gehaltenen Reden: Wir kommen wieder, wenn die Regierung erneut versucht zu verzögern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“