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Weihnachtsgottesdienste trotz LockdownEs geht anscheinend nicht ohne

Kommentar von Claudius Prößer

Wie vernünftig ist es, an den Feiertagen zu Präsenz-Gottesdiensten einzuladen, wenn die Infektionszahlen munter weitersteigen?

Na klar gibt es Hygiene-Konzepte, aber muss es gerade jetzt ein Präsenz-Gottesdienst sein? Foto: picture alliance/dpa/Christophe Gateau

D as Jahr 2020 war kein leichtes für die christlichen Kirchen. Nicht, dass es vorher viel besser ausgesehen hätte – die Mitgliederzahlen sinken verlässlich –, aber angesichts einer globalen Krise wie der Pandemie fiel noch einmal deutlicher auf, wie wenig die Erlösungs-Erzählungen noch verfangen. Die Stimme der Religionen war angesichts der Zumutungen durch das Virus kaum vernehmbar.

Wen wundert’s: Zwar werden KirchenvertreterInnen nicht müde zu betonen, wie ohnmächtig der Mensch vor Gott ist, aber wenn es darauf ankommt, sind es eben doch von Menschen betriebene Wissenschaft, menschliche Vernunft und menschliche Empathie, die Rettung versprechen können.

Ganz klar: Wem Beten hilft, dem sei es gegönnt. Und natürlich wirken Kirchen auch als gesellschaftliche Kräfte, die angesichts von Leid und Ängsten Halt geben können: durch praktizierte Solidarität, die gut tut, auch wenn sie kein Alleinstellungsmerkmal ist.

Aber wie vernünftig ist es, an den Feiertagen zu Präsenz-Gottesdiensten einzuladen, wenn die Infektionszahlen munter weitersteigen und der Großteil der Gesellschaft versucht, sich Kontakte zu verkneifen? Liegt da nicht der Appell auf der Hand, dieses eine Mal zu Hause eine Kerze anzuzünden und sich den Mitgläubigen rein metaphysisch verbunden zu wissen? Wer kann auf ein solche Ressource bauen, wenn nicht die Kirchen? Ihr Problem ist, dass Weihnachtsgottesdienste seit Langem ihre wichtigsten PR-Events sind: Viele kommen da doch mal wieder, weil’s so schön ist, und auf diesen Werbeeffekt verzichtet man nicht so gern.

Was würde Jesus heute machen?

Trotzdem hat gerade die Evangelischen Landeskirche weitgehend verstanden, dass dieses Jahr alles anders sein muss. Vieles findet virtuell oder – ganz klassisch – in Rundfunk und Fernsehen statt, und am Heiligabend um 20 Uhr sollen alle Menschen von ihren Balkonen aus „Stille Nacht, heilige Nacht“ singen. Das kann man in jedem Fall verantworten.

Und auf diesen Werbeeffekt verzichtet man nicht so gern

Die katholische Kirche wiederum schafft es nicht, einmal auf Distanz zu setzen. Zwar teilte das Erzbistum mit, man werde keine detaillierte Auflistung der Gottesdienste veröffentlichen, damit die Menschen keine langen Wege zurücklegten und Kirchen in ihrer direkten Nachbarschaft aufsuchten – auch das nicht unbedingt vorbildliches Handeln dieser Tage. In Wirklichkeit findet sich auf der Website des Bistums dann aber doch eine Liste mit rund 200 Andachten und Messen in der ganzen Stadt.

Bleibt die Frage: Was würde Jesus heute machen? Aber die beantwortet ja jeder schon immer nach seiner Fasson.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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19 Kommentare

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  • Die Kirchen -insbesondere die katholische- haben sicher noch lebhaft vor Augen wie seinerzeit die Pest nicht nur Millionen von Menschen dahingerafft hat sondern auch der Kirche unermesslichen Vertrauensschaden zugefügt hat - denn bekannter Maßen war auch die Kirche machtlos und die zunehmende Verbreitung der Pest hat bewiesen, dass die von der Kirche verbreiteten Postulate allesamt Humbug waren.

  • "Und das Phänomen, dass gegen Ende des Weihnachtsgottesdienstes die Luft in der Kirche so verbraucht ist, dass man müde wird, sollte bekannt sein."



    In der katholischen Kirche kommt noch der Weihrauch dazu (so als Meßdiener i.R.). Das Phänomen trifft aber eher zum Krippenspiel am Hl. Abend zu, an den eigentlichen Feiertagen sind viele Kirchen hier in D. auch in "normalverrückten" Zeiten ausreichend leer.



    Weiß ned, ob mer allen Leuten den Kirchenbesuch (dito für Moscheen, Synagogen, wasweißich) verunmöglichen sollte, mensch hätte sich ja auf stille Andachten mit etwas Orgeluntermalung einigen können.

    Und mal am Rande @Claudius Prötter, das hier ned erwähnte Berlin, was wohl gemeint sein soll, erstreckt sich verwaltungstechnisch bei der RKK bis an die Ostsee und ist komplett Diaspora.

  • Es gibt ja nicht nur die katholische Kirche in Deutschland. Wir feiern Gottesdienste seit Mai mit Mindestabstand, Masken und ohne Gesang. Es gab keinen einzigen Übertragungsfall.



    Und wer denkt, dass Gott darauf reduzieren werden kann, dass er als Retter aus allerhand Notlagen dient, hat das Evangelium auch noch nie wirklich aufmerksam gelesen. Schließlich haben wir Christen immer den am Kreuz hängenden Christus vor Augen ;)

    • @Melanie Bilz:

      Die entpsrechenden Leute (Lauterbach, RKI etc.) haben inzwischen mehrfach betont, dass sie keine Ahnung haben, WOHER die Infektionen kommen - mindestens seit es so viele sind.



      Aus diesem Grund haben sie auch Dinge geschlossen, von denen vorher ebenfalls kein Infektionsgeschehen bekannt war (Theater, Kinos, Geschäfte). Und das letzte Argument war immer: selbst wenn es dort Maßnahmen gibt, soll auf jeden Fall der Weg vermieden werden.



      Und DAS gilt auch für die Kirchen. Und somit gibt es keine Aurede, sie zu bevorzugen. Was auch immer in diesem Fall "Bevorzugung" bedeutet, denn die Kirchen werden ja sowieso schon voll vom Steuerzahler alimentiert und haben keinen Verdienstausfall - ganz im Gegensatz zu den anderen genannten Einrichtungen.



      Und - rein subjektive Meinung natürlich - liegt erheblich mehr an einem Theater- oder Filmtheaterbesuch als an dem Theater, das die Kirchen aufführen. Wenn ich zu entscheiden hätte, was jetzt mehr unterstützt werden muss ...

  • 0G
    04970 (Profil gelöscht)

    Pfui, wie gemein!

    Man muss doch Verständnis haben für die mit Abstand reichste und mächtigste Organisation der Welt, die katholische Kirche: zu gut funktioniert ihre gut geschmierte "wohltätigkeits"-Branche (aka "Hilfswerke"), die die Spendengelder selbstverständlich nur an katholischen Schulen, Heime, Krankenhäuser etc. verteilt, wo sie dann von selbstverständlich ausschließlich katholischen Angestellten verwaltet werden - auf dass die übrigbleibenden Brosamen mit großer Geste an selbstverständlich ausschließlich katholische Bedürftige verteilt werden - die anderen können ja krepieren, wenn sie nicht kapieren wollen ...

  • 0G
    04970 (Profil gelöscht)

    Kann mir mal jemand erklären, warum geselliges Beisammensein überall und für Alle verboten ist, aber nicht bei "Gottesdiensten"?



    Trauen sich die Bazillen nicht in die "Gotteshäuser" rein?

    • @04970 (Profil gelöscht):

      Die Kirche hält bei ihrem Gottesdienst die Abstandregeln und die anderen Maßnahmen voll ein. Warum meint hier eigentlich jeder für andere entscheiden zu müssen was angebracht ist?

      • RS
        Ria Sauter
        @Martin_25:

        Nach det Logik dürften dann auch Ki nos und Theater öffnen.



        Dürfen sie aber nicht.



        Die Anbetung einer nie gesichteten Gottesgestalt ist aber erlaubt?



        Das ist dann zutiefst ungerecht.



        Dieses Einknicken vor der "Religionsfreiheit" ist absurd und sehr gefährlich.



        Frohes gottliches Immunsystem!

      • @Martin_25:

        Das gleiche gilt aber für Kinos, Museen, Opernhäuser etc. Das mit der Trennung von Kirche und Staat scheint bei vielen noch nicht ganz angekommen zu sein anders kann man diese heuchlerisch en Entscheidungen nicht erklären.



        Jedem seinen Glauben - aber wo der eigene glauben andere gefährdet wird's problematisch und das passiert leider immer wieder wenn Menschen sich zu Religionsgemeinschaften zusammenschließen.

  • Gestern erstickten in Deutschland 962 alte Menschen - also alle 90 Sekunden - was nicht gut ist.

    Dennoch müssen wir Verständnis dafür haben, daß der Kultursenator Gottesdienste vom Lockout ausnimmt - denn wie schnell wären wir dann z.B. im Falle des Verbots muslimischer Gottesdienste auf dem Abweg zur 'Islamphobie', zum Rassismus.

    Außerdem sollten wir bedenken, daß ein gefestigter UND praktizierter Glaube das Immunsystem stärken dürfte, sowohl durch den Glauben und den höheren Beistand an sich, als auch das Gemeinschaftserlebnis, das die Seele 'durchpustet' (wie es kürzlich im Tagesspiegel treffend formuliert wurde).

    Und darüber hinaus: Menschen mit solchermaßen gestärkten und gewissermaßen 'durchgepusteten' Immunsystemen könnten u.U. gesamtgesellschaftlich einen 'Cordon Sanitaire' gegen das Virus etablieren.

    • @Weber:

      Klar, die Muslime (die sogar Hadj-Pilgern die Einreise nach Saudi-Arabien verboten haben), werden protestieren, wenn Weihnachtsgottesdienste verboten werden.

      Und dass bei Covid-19 aufgrund der schlechten immunologischen Fassbarkeit dieses Virus vor allem Menschen mit starkem Immunsystem zur schwersten (cytokin-bedingten) Lungensymptomatik tendieren, ist offenbar immer noch bei vielen Zeitgenossen nicht angekommen.

      Viel Spaß beim Pusten. Vielleicht tut's dann auch nicht mehr so weh.

  • RS
    Ria Sauter

    Jesus würde in keine Kirche gehen, auch nach Coronazeiten nicht.



    Ging er nicht in einen Tempel und hat dort die Verlogenen vertrieben?

    • @Ria Sauter:

      Danke! :-)



      Auch wenn es sich widerspricht, denn da geht er ja in den Tempel. Aber so auch hier: Jesus WÜRDE in die Kirche gehen - und den Leuten dort den Marsch blasen.

  • Es ist sehr vernünftig, in Zeiten steigende Infektionszahlen nicht auf Dinge zu verzichten, die aufgrund der Schutzkonzepte ungefährlich sind.



    Schlacht höfe sind offen, Supermärkte auch, in Industrie und Handwerk wird munter ohnen amske und abstand gearbeitet. Aber Gottesdienste mit 2 Meter Mindestabstand und Maskenpflicht sollen abgesagt werden? Das ist absurd.

    Weite Teil der deutschen offiziellen Kirche haben sich mit ihrer Absage öffentlich dazu bekannt dass Gottesdienste für sie den Rang von Folkloreveranstaltungen haben. Das ist armselig

    • @Breitmaulfrosch:

      Masken senken das Infektionsrisiko um rund die Hälfte. Wenn das Risiko generell sehr hoch ist, sind sie nicht sehr hilfreich; wenn man sie beim Singen trägt, riskiert man eine Selbstinfektion mit den normalerweise unten in der Lunge harmlos herumvegetierenden Pneumokokken, die sich dann weiter oben in den Atemwegen austoben können.

      Mindestabstand ist ebenfalls als alleinige Große wertlos. Es gibt Fälle, in denen sich Menschen über 10 Meter und mehr infiziert haben. Ausschlaggebend ist die Viruskonzentration in der Luft, und die ist eine Funktion der infektiösen Personen pro Kubikmeter Luft, Austausch dieser Luftmenge, und auch der Atemfrequenz. Und das Phänomen, dass gegen Ende des Weihnachtsgottesdienstes die Luft in der Kirche so verbraucht ist, dass man müde wird, sollte bekannt sein.

      Im Übrigen braucht man sich nur die Infektionszahlen in den Freikirchler-Hochburgen Espelkamp und Lippe anzuschauen, um das Ausmaß des Problems zu ahnen: www.lz.de/lippe/kr...elne-Kommunen.html



      Wenn man die Zahlen zur Religionsangehörigkeit anschaut, dann fällt auf, dass Dörentrup, wo Freikirchen kaum vertreten sind, und die meisten Menschen nur Weihnachten in die Kirche gehen, eine Wocheninzidenz von im deutschen Durchschnitt noch halbwegs passablen ~150 hat, die Freikirchler-Hochburg Augustdorf, wo 1/3 der Bevölkerung ihren wöchentlichen Gottesdienst nicht missen will, um die 400 liegt! Und auch für die Augustdorfer Mennoniten gelten die 2-Meter-und-Maske-Regeln. Genutzt hat es rein gar nichts.

      • @Ajuga:

        „Ausschlaggebend ist die Viruskonzentration in der Luft, und die ist eine Funktion der infektiösen Personen pro Kubikmeter Luft, Austausch dieser Luftmenge, und auch der Atemfrequenz.“ Genau. Zu ergänzen wäre die Sprechaktivität.

        Veröffentlichungen (z. B. Buonanno et al. doi.org/10.1016/j.envint.2020.106112) und Rechenwerkzeuge (z. B. online www.mpic.de/4747361/risk-calculator und für Bastler t1p.de/COVID-Innenraum-Risiko) gibt es. Auch Kopfrechnen hilft: Pro eingeatmeter „Infektionsdosis“ ist die Chance etwa 50:50, sich zu infizieren, eingeatmet wird grob 1 Kubikmeter pro Stunde, „ausgeatmet“ werden von ernsthaft Infektiösen etwa 1 bis 10 Infektionsdosen pro Stunde, „ausgesprochen“ etwa 10 bis 100, „ausgesungen“ etwa 100 bis 1000. Das Volumen eines Raums ist Fläche mal Höhe.

        Man wird feststellen, dass Autos und Wohnungen gar nicht gehen, manche großen Kirchenräume dagegen risikoarm sind. Es ist überfällig, den Infektionsrisiken weniger emotional und mehr rational zu begegnen. Konsequent überall auf Dauer der Pandemie.

  • Was würde Jesus heute machen?

    * in einem Lager in Lampedusa sitzen und frieren



    * an der Grenze zu Ungarn zusammengeschlagen werden



    * als arbeitsloser Spinner der sich für Gottes Sohn hält unter ner Brücke pennen oder schön zugedröhnt mit Psychopharmaka in ner Klappse sitzen

    • @danny schneider:

      Er würde die Alten und Kranken besuchen, und sich keine Entschuldigung ausdenken wie der Pharisäer und der Levit im Gleichnis des barmherzigen Samariters.

      • @Martin_25:

        "Er würde die Alten und Kranken besuchen...". Damit sie schneller zu seinem Papa kommen?