Wassermangel am Straussee: Wasser und Macht

Der Straussee bei Berlin trocknet aus. Eine Bürgerinitiative will selbst über das Wasser entscheiden – und ärgert damit den Wasserverband.

Steg auf dem Trockenen am Straussee Foto: Karsten Thielker

Nikolas Geiler, Wasserwirtschaftsexperte aus Freiburg im Breisgau, macht seinen Standpunkt gleich klar. Vor dem mit etwa 110 Menschen voll besetzten Saal im Strausberger Technologie- und Innovationszentrum (Stic) projiziert er das Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix, das ikonische Werk der Französischen Revolution schlechthin, und spricht von der „Räterepublik“.

Geiler hat sein Arbeitsleben der Demokratisierung der Wasserwirtschaft gewidmet, schon als Schüler in den 1960er Jahren gegen die Vergiftung des Oberrheins, Intransparenz und die Verschränkung von Verwaltungs- mit Kapitalstrukturen am Beispiel des Wassers gekämpft. Der Hydrologe vom Bundesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) ist der Stargast der Initiative zur Erhaltung des Straussees.

Die Bürgerrechtsbewegung um den Privatier Frank Weber beklagt den signifikant sinkenden Wasserstand des Straussees (taz berichtete), organisiert Demonstrationen mit bis zu 500 Teil­nehmer*innen in blauen Westen und ärgert die Stadt­regierung um die parteilose Bürgermeisterin Elke Stadeler wie auch den Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE).

Stadeler hat sich mit Mit­arbei­ter*innen ihrer Administration in die erste Reihe gesetzt und hört sich, manchmal kritisch den Kopf wiegend, manchmal zustimmend, die Vorträge an. Der wenig auskunftsfreudige Henning Haferkorn vom Wasserverband blieb der Veranstaltung in der vergangenen Woche gleich ganz fern und zieht sich auf die Position des ausführenden Verwalters zurück, der keine „sensiblen Informationen“ herausgeben dürfe. Er kommuniziert auch mit der taz nur über die Pressestelle.

Transparenz „weglobbyiert“

Die Initiative will Transparenz. Unklar ist, ob der sinkende Seepegel des Straussees allein auf die „menschgemachte Klimakrise“ zurückgeht, wie Geiler es nennt, auf überschrittene Grenzwerte bei der Grundwasserentnahme, das neue WSE-Pumpwerk Spitzmühle oder auf noch völlig unbekannte Faktoren. Doch an Informationen zu gelangen ist kaum möglich. Das preußische Wasserrecht war obrigkeitsstaatlich. Und auch im Jahr 2019 bringt die Gesetzgebung mehr Schatten als Licht: Die Novelle der EU-Trinkwasser-Verordnung, wie sie aller Voraussicht nach ab 2021 in Kraft tritt, wird wieder keine Bürgerbeteiligung bei Investitionen, Wassertarifen und Preiskalkulation vorsehen. Auch Informationsrechte wurden „weglobbyiert“, wie Geiler kommentiert.

Was kommt dabei auf die Stadt im Berliner Ballungsraum mit rund 26.500 Einwohner*innen zu – ein leerer See? Direkte Demokratie? Fest steht: Anfang 2020 wird die von der Stadt beauftragte Firma EcoSax nach einjährigen Prüfungen der Geo­hydrologie ihre Studienergebnisse vorstellen. Weber von der Bürger-Ini mit seinen 230 Vereinsmitgliedern will Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen die Intransparenz bei der Grundwasserentnahme durch die WSE einlegen. Die Bürger-Ini will sich an der politisch nicht verbindlichen ISO-Norm 24510 für Dienstleistungen im Bereich Trink- und Abwasser orientieren. „Revolutionär“ nennt Geiler das, weil nach dieser Norm die Wasserwerke alle Informatio­nen herausgeben und sogar aktiv publizieren müssten.

Bürgermeisterin Stadeler ist bei allen Aufgaben, die eine Stadtverwaltung hat, nach wie vor überrascht, dass sich das bürgerliche Engagement in ihrer Stadt am Seepegel entzündet und sich zuletzt teilweise mit einer Fridays-for-Future-Demo verband. Ob für all den Furor ums Wasser die Unbenutzbarkeit von privaten Bootsstegen der Auslöser war, die jetzt auf dem Trockenen liegen? Möglich. Doch eine nicht unerhebliche Anzahl an Strausberger*innen will jetzt über die Wasserwirtschaft selbst entscheiden – das Instrument dafür sind Wasser­tische und offene Einsicht in sämtliche Daten und Geldflüsse nach Freiburger Vorbild, wo es bereits mehr Transparenz gibt.

Ist das funktional im Sinne der Wasserversorgung? Sicher ist jedenfalls, dass hier engagierte Menschen gegenüber einer intransparenten Verwaltungsstruktur und Kapitalinteressen zumindest beim Wasser die Machtfrage stellen. Sie agieren damit wie Anarchist*innen, auch wenn sie sich selber nicht so nennen werden.

Verwaltungskapazitäten würden frei

Hermann Herlinghaus von der Wasserinitiative und zugleich Romanistikprofessor an der Universität Freiburg, sieht in Strausberg und andernorts sogar eine „Denkwende“ gekommen. Für die Lokal- und Landesverwaltung steht damit eine Entlastung ins Haus. Wenn sich die Stadt­bewohner*innen selbst um ihre Wasserversorgung kümmern, weil sie diese als politische Frage zurückerkämpfen und sich mit Expertise aufladen, werden Kapazitäten frei, andere Verwaltungsprobleme zu lösen, die ohne zentrale Steuerung und Überwachung offenbar nicht auskommen – etwa die viel zu häufig ausfallenden S-Bahn-Verbindungen nach ­Berlin.

Spannend wird der Streit um den See, wenn der Wasserverband den Bürger*innen endlich Rede und Antwort stehen muss: Haferkorn wird sich am 29. Oktober im städtischen Ausschuss für Klima und Umwelt auch öffentlich erklären müssen.

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