Was Städte durch weniger Autos gewinnen: So viel Platz
Wie viel Raum wird frei, wenn Autos in Städten weniger werden? Die taz hat das am Beispiel Hamburg für 2030 ausgerechnet. Das Ergebnis macht Hoffnung.
D ass zwölf Parkplätze wegfielen, wurde Ende Oktober im Hamburger Bezirk Eimsbüttel wie ein Fest gefeiert. Eine Initiative hatte erreicht, dass an einer Straßenecke, an der sonst Pkws quer parkten, ein neuer Platz eingeweiht wurde. Hochbeete wurden aufgestellt, ein Straßenschild mit der Aufschrift „Parnass-Platz“ enthüllt und Eröffnungsreden gehalten. Im Frühling diesen Jahres treffen sich die Anwohner:innen nun zum Gespräch darüber, wie sie den neuen Platz weiter beleben. 280 Quadratmeter haben sie gewonnen.
Es wird viel neuen Platz geben in den Städten, wenn die Autos etwas von dem Raum abgeben, den sie beanspruchen, wenn sie stehen, fahren oder tanken. Die taz hat am Beispiel Hamburg ausgerechnet, wie viel Raumpotenzial die Verkehrswende bis 2030 bringt.
Wie viele Parkplätze, Parkhäuser, Tankstellen und Straßenspuren werden nicht mehr für Pkws benötigt, wenn der Autoverkehr in Hamburg im gleichen Maße abnimmt wie in den letzten Jahren? Das Ergebnis: Etwa 2.750.000 Quadratmeter bekommen die Hamburger:innen bis 2030 zurück. Das ist mehr als die zwei kleinsten Länder der Erde – Monaco und der Vatikan – zusammen.
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Basis der Rechnung ist, dass es 2030 knapp 13 Prozent weniger Autoverkehr in der Stadt geben wird als 2020. Das ist eine Fortschreibung des Trends, wie er in Hamburg bisher verläuft. Die Stadt erfasst in der Mobilitätserhebung regelmäßig, wie sich Menschen bewegen.
Die ungefähr 2.750.000 Quadratmeter sind keine optimistische Wunschrechnung. Damit die Emissionen im Verkehr schnell genug fallen, müsste der Autoverkehr sogar viel schneller abnehmen. Die Veränderung dürfte nicht nur gleichmäßig weitergehen, sondern müsste sich beschleunigen. Auch der Koalitionsvertrag in Hamburg sieht ambitioniertere Ziele vor als das hier angenommene Szenario. Die taz hat also bewusst konservativ gerechnet. Und trotzdem zeigt das Ergebnis: Da ist Raumpotenzial.
13 Prozent der Parkhäuser und Parkplätze könnten demnach umgenutzt werden. Die Parkplätze machen den größten Platzgewinn aus. Es könnte, auch durch die Zunahme an E-Autos, rund 27 Prozent weniger Tankstellen geben. Konrad Rothfuchs, Verkehrsplaner in Hamburg, geht davon aus, dass bis 2030 auf 15 bis 20 Prozent der Hauptstraßen in Hamburg Fahrstreifen reduziert oder zu Bus- und Fahrradwegen werden können.
Hinter den abstrakten Zahlen stecken konkrete Möglichkeiten. Sichere Radwege, mehr Platz für Kinder oder neuer Wohnraum. Mehr Fläche, auf der Regenwasser wieder versickern kann und mehr kühlende Bäume – also bessere Anpassung an den Klimawandel. An einem Sommertag ist es auf einem asphaltierten Parkplatz zum Beispiel zwei Grad heißer als in einer von Bäumen gesäumten Straße.
Die Auseinandersetzungen der letzten Monate um autofreie Straßen von Hannover bis Berlin haben gezeigt, wie viele Menschen beim Wort Verkehrswende Verluste und Verbote fürchten. Dass ihnen etwas genommen wird.
Hier soll es darum gehen, was zu gewinnen wäre. Ohne eine Vorstellung von einer Stadt mit weniger Autoverkehr ist die Sitzheizung zu gemütlich.
Der Hamburger Künstler Jan Kamensky, der sich visueller Utopist nennt, versucht solche Zukunftsbilder zu entwerfen. Er gestaltet kurze Videos, in denen er Ansichten bekannter Plätze verändert. SUVs und Ampeln fliegen weg, Bäume wachsen, Bänke schieben sich ins Bild. Lastenfahrräder und Fußgänger nehmen den Platz ein, den die Autos verlassen haben.
Würden Menschen von München bis Mönchengladbach mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen, wenn das heißt, dass ein kleiner Park in ihrer Straße entstehen würde?
Schon die Pandemie hat dazu beigetragen, dass sich das Bewegungsverhalten der Menschen ändert. Viele Menschen haben sich das Home Office wenigstens an ein paar Tagen beibehalten und sparen sich so Wege. Während die Hamburger:innen vor der Pandemie noch 5,8 Millionen Wege am Tag zurücklegten, sind es nach der Pandemie 5,3 Millionen, obwohl die Bevölkerung in Hamburg gewachsen ist.
Der Verkehrsplaner Konrad Rothfuchs beobachtet auch ein Umdenken, das er die „Verdörflichung der Stadt“ nennt. „Wir wollen uns wieder in der Nähe organisieren“, sagt er. Keine ewigen Wege zurücklegen müssen, um einzukaufen, Sport zu machen oder die Kinder abzuholen. „Unsere Anforderungen an den öffentlichen Raum verschieben sich. Wir gehen viel mehr raus, hocken uns irgendwohin und arbeiten“, sagt Rothfuchs. „Meinen Eltern wäre das nie in den Sinn gekommen.“
Menschen stehen in überfüllten Städten also bereit, den Raum einzunehmen. Aber wie genau können die über 12.000 Quadratmeter Tankstellenfläche genutzt werden, die bis 2030 in Hamburg frei werden? Oder die gut zwei Millionen Quadratmeter ehemaliger Parkplatzfläche? Wir haben Menschen mit konkreten Vorstellungen gesucht und sie für die taz zum Träumen eingeladen.
Parkhäuser zu Kitas
Gerda Wunschel ist Geschäftsführerin eines Kita-Trägers in Berlin, der einen Kindergarten in einem umgebauten Parkhaus betreibt.
„Ungenutzte Parkhäuser muss man nicht gleich abreißen. Wie man die Gebäude stattdessen sinnvoll nutzen kann, hat der Bezirk Berlin-Kreuzberg schon vor mehr als 30 Jahren gezeigt: Unweit des Kottbusser Tors wurde aus einem kaum genutzten Parkhaus ein Kindergarten, der Platz für 136 Kinder bietet.
Damals wie heute herrschte ein akuter Mangel an Betreuungsplätzen. Die Umnutzung war eine ressourcenschonende Option, um diese Plätze dort zu schaffen, wo sie benötigt wurden. Kindergärten sind immer wieder von Verdrängung betroffen, müssen aus ihren Räumlichkeiten ausziehen und sich aufwändig neue suchen, auf dem angespannten Mietmarkt teilweise ohne Erfolg.
Ich kenne das Gebäude in Kreuzberg noch als Parkhaus, das war dunkel, eng und hatte sehr niedrige Decken. Eigentlich sollte es abgerissen werden und dort eine Neubau-Kita entstehen. Während der Planung ist die Idee entstanden, es umzunutzen. Ich habe damals im Bezirksamt Kreuzberg gearbeitet und den Umbau so von Anfang an begleitet.
Gerda Wunschel dazu, wie man aus einem Parkhaus eine Kita macht
In die Mitte des Gebäudes wurde ein Glashaus gesetzt, so hat es einen hellen, zentralen Bereich bekommen, der von allen Kindern genutzt werden kann. Durch das Glasdach hat der Raum eine hohe Decke und ist sehr hell. Die Kinder haben hier verschiedene Spiel- und Bastelecken, die sie sehr gerne nutzen.
Der Bezirk war Träger des Bauvorhabens, 136 Kita-Plätze sind entstanden. Etwa 8,5 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, genauso viel wie Abriss und Neubau. Den Kindern stehen bei uns 2.000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Hätten wir eine neue Kita gebaut, hätten wir für 136 Kinder nicht einmal 700 Quadratmeter gehabt.
Vom Bezirk vorgegeben war, dass die Kindertagesstätte einen ökologischen Schwerpunkt haben sollte. Nur: Wie setzt man einen ökologischen Schwerpunkt um in einem Haus, was eigentlich ein solider Betonbau ist? Ein zentraler Aspekt ist, dass die Kita ein Umbau und kein Neubau war, das spart Ressourcen. Wir haben beim Bau und der Ausstattung natürliche Materialien verwendet. Zusätzlich hat das Gebäude ein Gründach, dort gibt es eine Kräuterspirale, zusammen mit den Kindern haben wir dort Beete angelegt.
Durch den ungewöhnlichen Bau konnten wir ein besonderes pädagogisches Konzept umsetzen, das in den 1980er Jahren innovativ war. Auch bei uns gibt es klassische Gruppenräume. Aber es gibt in Richtung Glashaus auch die Mehrzweckräume, die nutzen wir als Atelier, Bauraum und Werkstatt. Wir haben entschieden, die Räume innerhalb der Gruppen zu öffnen, die Kinder können also mit Kindern aus anderen Gruppen spielen.
Für die Kinder ist das Parkhaus eine Fläche, die sie sich aneignen. Auf den ehemaligen Auffahrten sind jetzt jeweils acht Stufen. Da macht man nicht einen Schritt und geht auf die nächste Stufe, sondern macht einen Schritt und macht zwei Zwischenschritte und geht dann auf die nächste Stufe. Das ist für Erwachsene merkwürdig, aber für die Kinder ist es kein Problem. Sie rennen hoch und runter, freuen sich über den Platz und die besonderen Möglichkeiten. Die ursprüngliche Nutzung bleibt so sichtbar, das war dem Architekten wichtig. Eine solche Umnutzung wäre auch in anderen Städten möglich, mit allen ökologischen und pädagogischen Vorteilen.“
Straßen zu Bäumen
Sabine Rabe ist Landschaftsarchitektin und an der Erstellung von neuen Konzepten für Hauptstraßen in Hamburg beteiligt.
„Wenn ich träumen darf, würde jede Straße ein Park werden. Bäume sind das A und O, um Wasser im Kreislauf zu halten. Deshalb würde ich auf den frei werdenden Straßen als allererstes Bäume pflanzen, so simpel das klingt.
Der Raum ist hart umkämpft, auch unter der Erde. Überall verlaufen Kabel, Fernwärmetrassen werden verlegt, sehr viele Flächen sind unterbaut, mit Tiefgaragen zum Beispiel, weshalb Bäume nicht wirklich tief wurzeln können. Sie brauchen also auch Platz unter der Erde, den würde ich ihnen geben.
Ich würde nicht nur resiliente Klimabäume pflanzen, sondern auch heimische Baumarten, die wir kennen, wie Buchen, Eichen, Kastanien. Wenn sie jung angepflanzt werden, haben sie eine größere Chance, zu überleben und sich anzupassen. Diese Bäume haben durch ihre großen Kronen ein hohes Verdunstungsvolumen. Denn über die vielen Blätter speichern die Bäume nicht nur CO2, sondern geben auch Wasser an die Luft ab und kühlen sie so. Gerade an heißen Tagen in Städten können Bäume die Temperatur messbar senken.
Landschaftsarchitektin Sabine Rabe dazu, was man aus Straßen machen kann
Außerdem muss Boden in den Städten entsiegelt werden, also vom Asphalt befreit. Wo Fahrspuren wegfallen, sollte das erwogen werden. Beim Boden müssen wir große Reparaturarbeiten leisten und neues Substrat auftragen. In den vergangenen Jahren haben wir immer mehr Flächen versiegelt. Deshalb fließt das Wasser in die Kanalisation und gelangt oft nicht mehr ins Grundwasser. Damit das wieder geschieht, muss das Wasser in der Erde versickern können. Nicht an allen Stellen in Hamburg ist der Boden dafür gut geeignet, deshalb müssen wir darauf achten, dass genau dort, wo es geht, Regen wieder versickern kann. Umgekehrt haben wir es in Zukunft nicht nur mit Trockenperioden, sondern auch – wie wir gerade erleben – mit lang anhaltendem Regen zu tun. Daher brauchen wir dringend unversiegelte Räume für den Rückhalt von Wasser.
Die Straßen sollten wir deshalb zu multicodierten Flächen umwandeln. Das heißt, nicht nur den Verkehr auf der Straße fließen zu lassen, sondern die Fläche vielseitig zu nutzen, etwa für Pflanzen, Versickerungszonen oder Regenrückhalteräume. Solche Wasserdepots können unter der Erde installiert werden, um das Wasser in einer trockeneren Phase dem Boden oder den Pflanzen zuzuführen. Es könnten aber auch Sport- und Spielflächen, Platzflächen und Straßen sein, die temporär überflutbar sind. Wir müssen dafür sorgen, dass der Wasserkreislauf wieder geschlossen wird und wir das Wasser nicht nur ableiten.
Außerdem wünsche ich mir mehr öffentliche Plätze, an denen sich die Bewohner:innen begegnen können, zum gemeinsamen Kochen, Klönen, Rumsitzen, Gärtnern. Das Wunderbare an Straßenräumen sind die Länge und das Verbindende. In meinem Team gibt es viele Ideen, was auf den heutigen Straßenspuren entstehen könnte, etwa ein Bewegungsband zum Laufen und Spazieren, ein Parcours zum Radfahrenlernen, eine Rollbahn zum Skaten oder Inlinern, ein Asphalt-Malpark für Bodengemälde, ein Sonnenblumenfeld, ein endlos langer Gemüsegarten, eine städtische Baumschule, ein Planschbecken, eine Eisbahn im Winter oder ein Urban Gym zum Draußentrainieren, wenn es warm genug ist.
All das könnte entstehen, statt Autorennen Platz zu bieten. Wir hätten Flächen für den längsten Spiel- und Sportplatz der Stadt und das längste Biotop der Stadt, denn die neue Urbanität ist auch das selbstverständliche Miteinander von Menschen, Tieren und Pflanzen. Oder eben: den längsten Park der Stadt!“
Parkplätze zu Schlafplätzen
Van Bo Le-Mentzel ist Architekt. Bekannt wurde er durch seine Hartz-IV-Möbel und die Entwürfe von Tiny Houses, kleinen temporären Häusern auf Rädern.
„Ein durchschnittlicher Parkplatz ist 5 Meter lang und 2,3 Meter breit. Das sind 11,5 Quadratmeter, damit kann man so viel machen! Wenn in einer Straße durch die Verkehrswende ein Parkplatz frei wird, würde ich dort zuerst einen leeren Anhänger hinstellen. Dann braucht man noch eine Batterie für Strom und eine Propangasflasche zum Heizen. Das ist die Grundlage für eine Notunterkunft, ein Tiny House oder eine Werkstatt.
Was konkret daraus wird, sollte die Entscheidung der Menschen sein, die dort wohnen. Öffentlicher Raum ist für alle da, deshalb ist es wichtig, dass die Nachbarschaft das Projekt akzeptiert. Idealerweise würde ich das Konzept und den Ort mit ihnen zusammen entwickeln und bauen. Für ein Tiny House braucht man im Prinzip nur vier Wände und ein Dach aus Holz. Wichtig finde ich allerdings, dass es sozial genutzt wird. Der öffentliche Raum ist nicht dafür da, dass alle ihre privaten Autos abstellen. Stattdessen sollten dort soziale Projekte stattfinden.
Das passiert, wenn alle Zugang zu den Ressourcen haben, besonders Menschen, die im Stadtraum sonst verdrängt werden oder wenig Platz haben, zum Beispiel Obdachlose, Jugendliche, Kinder oder Geflüchtete. Wenn ein Wohnwagenbesitzer diesen zur Verfügung stellen würde, wäre das ein soziales Projekt. Aber die meisten nutzen diese Gefährte nur im Urlaub. Dabei erfrieren in Hamburg jeden Winter rund 30 Menschen.
Wie wir gerechnet haben
Wie viel Fläche wird durch die Verkehrswende frei? Das hat die taz am Beispiel Hamburg berechnet. Die Rechnung orientiert sich vor allem daran, wie sich der Anteil unterschiedlicher Fortbewegungsmittel am Gesamtverkehr – der sogenannte Modal Split – voraussichtlich entwickeln wird. Wie viel Prozent der Menschen, die sich in Hamburg bewegen, fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad, geht zu Fuß oder ist mit motorisiertem Individualverkehr – dazu zählen in erster Linie Autos, aber auch Motorräder – unterwegs? Den Ist-Zustand des Modal Split erfasst die Stadt regelmäßig im Rahmen der Mobilitätserhebung, zuletzt 2022.
Bei der ersten Erhebung 2008 machte der motorisierte Individualverkehr noch 39 Prozent der Wege aus, bei der letzten Erhebung 2022 waren es noch 32 Prozent. Wenn sich dieser Trend so fortsetzt, wird der Auto-Anteil am Verkehr im Zeitraum von 2020 und 2030 um 12,8 Prozent schrumpfen. Weniger Auto-Fahrten haben Folgen für die Infrastruktur: Es werden weniger Parkplatzflächen, Tankstellen, Parkhäuser und Straßenspuren gebraucht. Ausgehend von der Annahme, dass der motorisierte Individualverkehr in Hamburg bis 2030 um 12,8 Prozent sinkt, hat die taz anhand dieser vier Kategorien berechnet, wie viel Platz in Hamburg durch die Verkehrswende frei wird.
Straßen
Das Ingenieurbüro Argus Stadt und Verkehr berät die Stadt Hamburg bei der Verkehrsplanung. Geschäftsführer Konrad Rothfuchs schätzt auf Grundlage aktueller Daten, dass 2030 bei 17,5 Prozent der Hamburger Hauptstraßen die Fahrstreifen für Autos reduziert werden können. Eine durchschnittliche vierspurige Hauptverkehrsstraße verfügt über eine Breite von etwa 29 Metern. Laut Argus könnten hier zwei Fahrstreifen, die jeweils 3,25 Meter breit sind, entfallen. Das bedeutet rund 20 Prozent Flächengewinn auf 17,5 Prozent der Hamburger Hauptverkehrsstraßen.
Die Längen der Hamburger Hauptverkehrsstraßen stellt der Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung zur Verfügung. Laut des Datensatzes von 2021 beträgt die Gesamtlänge aller Hamburger Hauptverkehrsstraßen 564.956 Meter. Wenn 17,5 Prozent dieser Straßen um zwei Fahrstreifen reduziert werden, bedeutet das einen Flächengewinn von 642.637 Quadratmetern oder 0,64 Quadratkilometern.
Tankstellen und Parkhäuser
Die Berechnungen zu den Tankstellen und Parkhäusern beruhen auf Daten des Hamburger Liegenschaftskatasters Alkis vom Juli 2023. Demnach gibt es in Hamburg 166 öffentliche Parkhäuser mit einer Fläche von 384.679 Quadratmetern und 202 Tankstellen-Gebäude mit einer Grundrissfläche von insgesamt 46.206 Quadratmetern. Die Größe bezieht sich auf die Grundrissfläche der Gebäude und nicht die Grundstücksgröße. Gebäude mit mehreren Etagen werden mangels anderer Daten nur mit ihrer Grundrissfläche berücksichtigt, auch wenn der Flächengewinn in der Realität deutlich größer wäre.
Um die frei werdende Fläche durch die Verkehrswende zu berechnen, wird der oben ermittelte sinkende Anteil des MIV von 12,8 Prozent verwendet. Die Fläche der Parkhäuser wird demnach um 49.239 Quadratmeter schrumpfen.
Berechnungen des Öko-Instituts gehen davon aus, dass 2030 16 Prozent aller Autos in Deutschland elektrisch angetrieben sind und daher keine klassische Zapfsäule brauchen. Insgesamt kann bei den Tankstellen damit eine Fläche von 12.361 Quadratmetern frei werden.
Parkplätze
Die Datengrundlage für die Berechnung der frei werdenden Parkplatzflächen bildet ein Datensatz des Landesbetriebs Verkehr der Stadt Hamburg, der zuletzt 2023 aktualisiert wurde. Darin sind mehr als 200.000 Parkplätze erfasst. Für 29 von 104 Stadtteilen wurde die vollständige Anzahl der Parkplätze erhoben.
Um die Gesamtzahl der Parkplätze in Hamburg zu ermitteln, wurde zunächst die Parkplatzdichte für alle vollständig erhobenen Stadtteile ausgerechnet und im nächsten Schritt für ganz Hamburg hochgerechnet.
Die Größen der Parkplätze beruhen auf den Angaben des Landesbetriebs Verkehr, anhand denen Standardgrößen für die unterschiedlichen Parkplatzkategorien, Längs-, Quer- und Schrägparkplätze, berechnet wurden: 10,4, 12,5 und 14,5 Quadratmeter. Bei allen Parkplätzen, deren Größe nicht gekennzeichnet ist, haben wir die kleinste Größe angenommen. Auch die sogenannten Restflächen, also etwa ein kleiner freier Bereich am Rande einer Parkplatzfläche, wurden mit einbezogen. Dagegen wurden Parkplätze, die als Ladezone oder absolutes Halteverbot gekennzeichnet waren, nicht mitgerechnet.
Die Stadtteile haben eine Parkplatzdichte, die zwischen 0,52 Prozent im Bereich der HafenCity und 4,03 Prozent im Viertel Hoheluft-West variieren. Der Mittelwert liegt bei 2,11 Prozent. Hochgerechnet auf ganz Hamburg entspricht das etwa 15,95 Quadratkilometern. 12,8 Prozent davon ergeben ein Einsparpotenzial von 2.042.000 Quadratmetern oder 2,04 Quadratkilometern.
Seit letztem Winter habe ich in Berlin eine mobile Notunterkunft stehen, für die ich jeden Abend einen neuen Parkplatz suche. Es ist ein Tiny House, das mit seiner Fläche von gerade mal zweieinhalb Quadratmetern so klein ist, dass es auf einen Kleintransporter passt. Die Hütte ist aus Holz, drinnen befinden sich eine Küche, eine Toilette, zwei Schlafplätze und ein Büro mit Stuhl und einem ausklappbaren Tisch. Im Moment schlafen dort jede Nacht obdachlose Menschen.
Natürlich löst das das Problem der Obdachlosigkeit nicht. Auch nicht, wenn man 30.000 solcher Unterkünfte aufstellen würde. Aber im Notfall können sie Menschenleben retten. Und wenn Parkraum als Wohnraum genutzt wird, könnte das die Wohnungskrise generell entschärfen.
Für den städtischen Raum eignen sich am besten mobile Lösungen. Stadtplaner müssen, wenn sie Häuser bauen, immer alle möglichen Szenarien durchdenken und reden mit sämtlichen Interessengruppen. Dann müssen sie einen Kompromiss finden, aber die sind nie radikal oder mutig. Das ist anders, wenn man Häuser auf Rädern baut. Klar muss man sich seiner Umgebung trotzdem bewusst sein. Aber wenn etwas nicht oder nicht mehr passt, dann fahre ich halt weg.
Solange Tiny Häuser auf einen Kleintransporter passen, kann sie theoretisch jeder bauen. Dann kann man sie einfach auf einem Parkplatz parken und darin leben. Rechtlich gesehen ist das verboten, weil man in Deutschland einen gemeldeten Wohnsitz braucht. Und wohnen kann man nur auf Flächen, die als Wohnraum gemeldet sind. Im öffentlichen Raum geht das also nicht.
Aber wo am Ende tatsächlich gelebt wird, kann keiner überprüfen. Alles, was man in Großstädten braucht, ist eine Parkvignette und einen Parkplatz. Der kostet in Hamburg 65 Euro im Jahr. Da kann man dann sein soziales Projekt draufstellen. Menschen sollten kreativ und aktiv werden und eigene Ideen umsetzen, die den öffentlichen Raum sozialer und schöner für alle machen.“
Tankstellen zu Beeten
Dida Zende betreibt in Berlin das Kunstprojekt „FIT freie internationale tankstelle“ und belebt leerstehende Tankstellen wieder.
„Die Tankstelle ist ein Symbol unserer verschwenderischen Gesellschaft. Hier kommt man mit seiner dicken Karre hin, tankt Benzin und beschleunigt wieder. Der Schaden, der dabei für die Umwelt entsteht, ist riesig. Was für ein Schwachsinn, was für ein Luxus. Wie wäre es stattdessen, wenn die Tankstelle ein Ort der Entschleunigung sein könnte? Ein Ort, den alle gemeinsam gestalten können. Dieses gemeinsame Schaffen nenne ich „Human Fuel“ – also menschlichen Treibstoff.
Ich betreibe meine „FIT freie internationale tankstelle“ im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg nun schon seit über zwanzig Jahren, tanken kann man hier nicht mehr. Für mich wird die Tankstelle selbst zum Kunstwerk. Zu einer Sozialen Skulptur, also zu einem Ort für Workshops, nachbarschaftliches Feiern und Zusammenkünfte. Ehemalige Tankstellen haben es mir angetan, auch in anderen Städten wie zum Beispiel in Kopenhagen und Miami habe ich zeitweise leerstehende Tankstellen genutzt und viele Mitstreiter gefunden, die selbst nun Projekte an Tankstellen durchführen.
Warum dieser Ort? Weil er als sichtbares Symbol des untergehenden fossilen Zeitalters mitten in der Gesellschaft steht. Für zugängliche Kunstprojekte haben Tankstellen auch Standortvorteile. Sie sind gut sichtbar an der Straße positioniert, meine zum Beispiel genau an der Ecke von einer Kreuzung in einem Wohngebiet.
Zum anderen stehen viele Tankstellen weltweit leer und es werden mehr dazukommen, durch die Verkehrswende und den Boom von Elektroautos. Außerdem macht die symbolträchtige Architektur die Tankstelle zu etwas Besonderem, was ich auch bei meinen Projekten berücksichtigen kann. Ich finde es spannend, bei der Transformation den ursprünglichen Charme des Ortes zu behalten: die typischen Farben, das Verkaufshäuschen und das Dach. So kommen Leute vorbei, die erst dachten, es wäre eine normale Tankstelle. Leute, die sonst in keine Kunstausstellung gehen würden.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Bei der Bespielung der Orte ist mir wichtig, dass alles gemeinschaftlich passiert. So kamen die meisten Ideen für Projekte für meine Tankstelle in Berlin von Freund*innen und Nachbar*innen. Der Ort wird dabei vielseitig genutzt, auf dem Tankstellendach haben sie zum Beispiel Gemüse angebaut. Tomaten, Chilis und verschiedene Kräuter, die das Licht auf dem Dach optimal ausnutzen können. Unter dem Dach wurden im Sommer und Frühjahr auch öfter Chorproben abgehalten. Super zum Schutz vor Regen und als Schattenspender.
Ein Projekt, das ich mit einem befreundeten Regisseur durchgeführt habe, passt besonders gut zu diesem speziellen Ort. Und zwar haben wir ein kleines Filmfestival veranstaltet, bei dem unterschiedliche Leute Remakes von berühmten Tankstellen-Szenen machten. Wir schauten die Filme am Ende zusammen, der schlechteste Beitrag gewann. Das fand ich auch wegen der Zugänglichkeit richtig gut, weil Menschen mitgemacht haben, die vorher noch nie eine Kamera in den Händen hielten und nicht dachten, dass sie kreativ sein können.
Auch für Einrichtungen, die über die Energiewende aufklären, ist so ein Kunstprojekt interessant. Die Heinrich-Böll-Stiftung etwa nutzt FIT seit vielen Jahren für Veranstaltungen. Die Tankstelle der Zukunft kann also auch einen aufklärerischen Charakter haben und sich vom Energieträger für Autos zum Energieträger des Menschlichen wandeln.“
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