Wahlrecht ab 16 Jahren kommt in Berlin: Es gibt noch mehr zu tun

Das Wahlrecht ab 16 war überfällig. Jetzt muss Rot-Grün-Rot dafür sorgen, dass auch Menschen ohne deutschen Pass wählen dürfen.

Kameraperspektive von oben: eine weiblich gelesene Person blickt in der Wahlkabine auf den U18-Wahlzettel

Demokratie üben: in der Wahlkabine bei der U18-Wahl Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Patrick Pleul

Wie schön, dass die rot-grün-rote Koalition sich endlich dazu durchgerungen hat, der Jugend eine Stimme zu geben – oder besser gesagt: zwei Stimmen. Denn künftig dürfen bei Abgeordnetenhauswahlen auch Jugendliche ab 16 Jahren ihre zwei Kreuzchen für Erst- und Zweitstimme auf dem Wahlzettel vergeben. Bisher durften 16-Jährige in Berlin nur über die Besetzung der Bezirksverordnetenversammlungen mitentscheiden. In fünf anderen Bundesländern, auch im benachbarten Brandenburg, traute man der Jugend schon länger mehr politische Mündigkeit auch bei Landtagswahlen zu.

Nun wollte man in Berlin diesen Schritt eigentlich auch schon längst gegangen sein, doch die rot-rot-grüne Vorgängerkoalition scheiterte stets am Widerstand der CDU im Parlament. Für eine Änderung des Wahlrechts muss nämlich die Landesverfassung geändert werden, und das geht nur mit einer Zweidrittelmehrheit – dafür brauchte es Stimmen aus der Opposition. In dieser Legislatur reichen Rot-Grün-Rot dafür ein paar Stimmen von der kleinen FDP – und die spielt auch prompt das Zünglein an der Waage und macht mit. Bis Ende 2022 soll die Wahlrechtsänderung beschlossene Sache sein, hieß es am Donnerstag.

Es dürfte eine der nachhaltigsten Investitionen auf einem Gebiet sein, um das man ohnehin heftig bemüht ist: Workshops zu Antirassismus an Schulen, Klassenparlamente an jeder Schule, das Projekt Schüler*innenhaushalt, bei dem Jugendliche ein Budget für die (Mit-)Gestaltung ihrer Schule verwalten dürfen, die U18-Wahlen. Das sind alles sinnvolle Trockenübungen, bevor man dann mit 18 fit genug sein soll für den Ernstfall an der Wahlurne.

Aber es sind eben Trockenübungen. Die Jugendlichen lernen recht lange die Theorie, wie wichtig Partizipation und Teilhabe für eine demokratische Gesellschaft sind – und werden doch ziemlich lange von genau dieser Partizipation ausgeschlossen.

Nun kann man sagen, gemach, wenn ein 16-Jähriger im Klassenparlament übers Handy in der Großen Hofpause mitentschieden kann, reicht das doch vielleicht erstmal. Und ist die Altersgrenze 16 nicht auch eine willkürliche – so wie übrigens auch die Volljährigkeit mit 18? Warum nicht gleich das Wahlrecht ab 14 Jahren, wie es die Berliner Jusos, die Jugendorganisation der SPD, prompt fordert.

Man kann so formalistisch argumentieren: Weil etwas nicht ganz logisch ist, lässt man es lieber ganz. Man kann aber auch einfach sehen, dass mit der Wahlalterabsenkung auf 16 Jahre rund 70.000 junge Menschen mitentscheiden dürfen bei der nächsten Berlin-Wahl 2026. Und Demokratie sollte nie davor Angst haben, dass mehr Menschen sie mitgestalten wollen.

Dass diese Jugend politisch mündig ist, das beweist sie übrigens gerade: die Klimabewegung, die Proteste gegen den Krieg in der Ukraine, der ebenfalls teils aus der Umweltbewegung kommt. Die junge Generation sieht die Zukunft mitunter schärfer als manche erwachsenen Politiker*innen.

Jugendlichen Elan wünscht man Rot-Grün-Rot nun übrigens auch bei etwas, das im Koalitionsvertrag so festgehalten ist: Rot-Grün-Rot will sich per Bundesratsinitiative dafür einsetzen, „ein aktives Wahlrecht auf Landes- und Bezirksebene auch für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die seit mindestens fünf Jahren in der Stadt leben, zu ermöglichen.“ Auch „landesrechtliche Möglichkeiten“ sollen geprüft werden.

Ein Wahlrecht für alle

Laut dem Bündnis „Wahlrecht für alle“, das am Samstagnachmittag auch zu einer Demo am Kottbusser Tor für eine Wahlrechtsreform aufruft, sind derzeit 700.000 Ber­li­ne­r*in­nen über 18 nicht wahlberechtigt, weil sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das sind 10-mal so viele wie die Jugendlichen, die jetzt wählen dürfen. Das ist eine relevante Gruppe in dieser Stadt, um die sich deutlich weniger bemüht wird. Und es ist ein Zeichen von Respekt vor demokratischen Willensbildungen, diese Menschen nicht länger davon auszuschließen.

Und während man auf den Bund wartet, könnte man in Berlin die Zeit nutzen, das ebenfalls im Koalitionsvertrag versprochene Partizipationsgesetz vorantreiben. Konkret geht es um Einbürgerungen – derzeit noch eine zähe und bürokratische Angelegenheit. Zentralisieren und „beschleunigen“ will man die Verfahren. Ob das ohnehin schon überlastete Landeseinwanderungsamt das stemmen kann, ist allerdings fraglich. Frische Ideen sind gefragt – vielleicht gibt es davon ja bald mehr in Berlin, wenn Jugend mitstimmt.

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Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

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