Wahlen in Sachsen und Brandenburg: „Heute müssen wir richtig kämpfen“
In Brandenburg und Sachsen ist Wahltag. Ein 28-Jähriger in Freital würde gern teilnehmen, darf aber nicht. In Görlitz sprechen CDU- wie AfD-Anhänger von „Schicksalswahl“.
Rund 5,5 Millionen Menschen waren Sonntag in Sachsen und Brandenburg zur Wahl aufgerufen. Das ist zwar nicht einmal jeder zwölfte Wahlberechtigte in Deutschland, trotzdem wird nach diesen Wahlen vieles anders sein. In beiden Bundesländern waren CDU beziehungsweise SPD Jahrzehnte quasi unangefochten an der Macht, jetzt büßen beide Parteien viele Stimmen ein. Bei den Grünen übersetzt sich das schon länger anhaltende Umfragehoch wohl in Regierungsmacht.
In manchen Regionen im Osten Sachsens haben linke und grüne Wähler*innen gar in diesen Tagen darüber nachgedacht, mit der Erststimme Kandidat*innen der lange so verachteten Union zu wählen, um AfD-Direktmandate zu verhindern.
Unsere Reporter*innen waren am Wahlsonntag in unterschiedlichen Orten in Brandenburg und Sachsen unterwegs. Sie haben mit den Menschen vor Ort geredet, die Stimmung beschrieben. Vom Machtkampf zwischen AfD und CDU in Görlitz bis zu einem kulinarischen Aktivismus in der Lausitz – im Kampf gegen die Kohle. Lesen Sie selbst.
Das ist wichtig, weil es Kretschmers Position in seiner Partei schwächen würde. Er wäre für manche CDUler, insbesondere für seine Gegner in der Partei, dann einer, der nicht einmal im eigenen Wahlkreis gewinnen kann. 2017 hat Michael Kretschmar gegen einen Mann von der AfD sein Bundestags-Direktmandat verloren.
Diesmal heißt der AfD-Mann Sebastian Wippel, 1982 in Görlitz geboren, ein Polizist. Er arbeitet dort im Innendienst in Teilzeit, seit er in den sächsischen Landtag eingezogen ist. Er trat im Sommer 2019 als Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters an. Ein Bündnis aus linken Parteien, Grünen und CDU unterstützte den Christdemokraten Octavian Ursu, der schließlich mit 55,2 zu 44,8 Prozent gewann. Wir treffen uns um 12.30 Uhr vor dem Joliot-Curie-Gymnasium, einem weißen Bau im Stil der Neorenaissance. Hier ist Wippel früher zur Schule gegangen. Menschen, die sich noch an ihn erinnern, sagen, er sei damals einer von zwei Rechtsradikalen an dem Gymnasium gewesen.
Das regt ihn auf. Sebastian Wippel steht die ganze Zeit breitbeinig, wie man es zum Beispiel beim Judo lernt, damit man nicht so leicht umgeworfen wird. Er redet wie er steht. Ruhige, defensive, stabile Sätze, er greift nicht an, er wartet auf den Angriff. Jetzt wiederholt er immer wieder das Wort „rechtsradikal“, er schüttelt den Kopf, sagt dann: „Ich war nicht rechtsradikal. Ich war vielleicht rechts oder patriotisch, aber ich war kein Neonazi.“ Außerdem habe er sich verändert, sei reifer geworden. Wippel sagt, jeder, der sich in Deutschland engagiere, sich hier an die Regeln halte, der dürfe auch hierbleiben. „Der Dönerverkäufer, der uns gegenüber wohnt, der gehört natürlich dazu, ich kenne einen syrischen Arzt, der gehört natürlich auch dazu.“
Auf dem Platz vor der Schule hat Sebastian Wippel 2018 Karten verteilt. Es war beim Zuckerfest der Muslime in der Stadt. Ihnen wurde darauf die Heimreise nahegelegt. „Das Zuckerfest war eine Provokation der Linken hier. Wir haben darauf mit einer positiven Botschaft reagiert.“ Man habe mit der syrischen Botschaft zusammen einen Text aufgesetzt und die Leute gefragt, ob sie nicht darüber nachgdenken wollten, nach Syrien zurückzugehen.
Die Berichte über die Folter von Rückkehrern unter der Assad-Regierung hält er für Gerüchte. Ich frage ihn, wie er eigentlich dazu innerlich in der Lage sei, traumatisierten Menschen eine solche Karte in die Hand zu drücken. Er sagt, schon die Frage rege ihn auf. Er könne die Tränen der Männer nicht ernst nehmen. Warum die Männer nicht bei ihren Frauen seien, um sie zu beschützen? Warum sie nicht dortgeblieben seien und ihre Frauen und Kinder geschickt hätten? Sebastian Wippel sagt, er sehe hier „Feiglinge, die ihre Familien im Stich lassen und hier gut leben“.
Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.
Am Abend zuvor hat er vor ein paar hundert Menschen auf dem zentralen Marienplatz in Görlitz gesprochen, der Landesvorsitzende war da, Bundessprecher Jörg Meuthen auch. Es war für eine Schicksalswahl eine eher müde Veranstaltung, kaum Applaus, die Redner drangen selten zum Publikum durch. Wippel sagte, dass die Kirchen mit Millionen „nützliche Idioten“ finanzierten, die dann wiederum Kriminalität unterstützen würden. Über Michael Kretschmer sagte Wippel am Samstagabend: „Er muss morgen abgewählt werden.“ Die CDU müsse abgewählt werden. Die Christdemokraten waren, neben einigen Verbalattacken auf linke Parteien, auch für die anderen Redner die Hauptgegner. Auf einem Plakat stand „CDU/CSU, eine kriminelle Organisation“.
Die CDU sehe sich in einer ungewohnten Rolle, sagt Martin Kulke, als er in Richtung seines Wahllokales geht, ebenfalls eine Schule: „Früher konnten wir einen Besenstiel hinstellen und der wurde gewählt. Heute müssen wir richtig kämpfen.“ Er sagt aber, er genieße das. Der Kampf gegen die AfD sei ihm ein persönliches Anliegen.
Kulke ist der stellvertretende Vorsitzende der Jungen Union in Görlitz, er ist 35 und deshalb ist nächstes Jahr Schluss bei der JU. Er gehört, das sagt er selbst, dem liberalen Flügel der CDU an. Er sagt, er sei ein Fan von Angela Merkel und Michael Kretschmer. In die Partei eingetreten ist er 2017, am Tag nachdem Kretschmer sein Direktmandat im Bundestag verloren hat.
Martin Kulke besuchte mit Sebastian Wippel das Gymnasium, eine Stufe unter ihm. Er erzählt, dass er damals Haare bis zum Kinn gehabt habe und in weiten Baggypants herumgelaufen sei. Teil der Hip Hop-Szene sei er gewesen, später dann mit Freunden zu House und Elektropartys gefahren. „Klar musste ich damals vor Nazis weglaufen, es gab Schlägereien.“ Aber das sei gar nicht seine hauptsächliche Motivation, um gegen die AfD zu kämpfen. Seine Eltern und Großeltern hätten der DDR sehr kritisch gegenübergestanden. „Mir ist sozusagen zu Hause ein Misstrauen gegen totalitäre Ansichten anerzogen worden“, sagt Martin Kulke. Er ist einer von denen, die es gut finden, dass Michael Kretschmer ausgeschlossen hat, mit der AfD zusammenzuarbeiten.
Nur hat die CDU Kretschmer in seinem eigenen Wahlkreis düpiert. Am Donnerstagabend haben die Görlitzer Stadtverordneten der CDU – höchstwahrscheinlich, die Wahl war geheim – dabei geholfen, einen Mann in den Stadtrat zu wählen, den die AfD vorgeschlagen hat. Nicht als Stadtverordneten, aber als „sachkundiger Bürger“, eine Art Berater also. Dieser Mann arbeitet im Justizvollzug, trat bei der letzten Kommunalwahl für die AfD an, und auf seiner Facebookseite fanden sich bis vor kurzem noch Posts wie „home defence low level“ und darunter ein Bild mit einem Messer, einer Pistole, mehreren Magazinen und anderem Feuerwaffenzubehör. Es gibt Hinweise, dass er mit der Identitären Bewegung sympathisiert. Spricht man mit Linken und Grünen im Stadtrat, fühlen die sich böse verschaukelt. Schließlich haben ihre Kandidat*innen vor der Stichwahl im Sommer auf ein erneutes Antreten verzichtet, damit der CDU-Kandidat diese Wahl gewinnt.
Kulke will dazu direkt nichts sagen, nicht die eigenen Leute im Stadtrat angreifen. Er sagt stattdessen: „Ich erwarte von meiner Partei eine klare Haltung zu einer Zusammenarbeit mit der AfD. Die Werte, für die die CDU steht, sind aus meiner Sicht in keiner Art und Weise mit der AfD vereinbar.“ Davon, wie die Wahl in Görlitz ausgeht, wird wohl auch abhängen, was davon am Montag noch gilt. Aus der CDU in Dresden hört man zwar, das Direktmandat für Michael Kretschmer solle in seiner Wichtigkeit nicht überbewertet werden. Aber die AfD und innerparteiliche Gegner würden eine Niederlage hier sicher ausnutzen.
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Tatsächlich eine deutliche höhere Beteiligungen als bei der vergangenen Landtagswahl zu verzeichnen. Um 14 Uhr haben bereits die Hälfte der Wahlbeteiligten ihre Stimme abgegeben. 2014 waren es zur selben Zeit nur 28 Prozent. Und Leipzig gilt, gerade aufgrund seiner Subkulturen, Freiräume und der hohen Beteiligung an linken Protesten als linker als der Rest des Bundeslandes.
Kleintzschocher, 15:45. Der kleine Spätkaufcontainer am Leipziger Adler macht an diesem Nachmittag ein gutes Geschäft. Die Schlange von Menschen, die Bier oder Wein kaufen wollen, wird nicht kürzer. Er steht neben der Adler Schule, einem Wahllokal. Durch den Knabeneingang des gelben Backsteingebäudes gehen fast ausnahmslos junge Menschen.
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Auf der anderen Seite betritt Ana-Cara Methmann den weiten Schulflur. In den vergangenen Wochen hat sie als Sprecherin von #unteilbar Sachsen für eine solidarische und freie Gesellschaft geworben, ein Ergebnis zeigte sich vergangenen Samstag bei der Demonstration in Dresden. Damit habe sich ihre Hoffnung, dass die Zivilgesellschaft näher zusammenrückt um ein demokratisches Miteinander zu erreichen schon erfüllt. Die Frage bleibt, wie lange der Aufwind anhalte.
Der Wahltag ändere nichts schlagartig, sagt Ana nachdem sie ihre Stimme abgegeben hat. Der Prozess der Normalisierung der AfD, der Aufwind der Rechten, sei längst am Laufen. Mit dieser Normalisierung fühlten sich Menschen sicherer darin offen rassistisch zu sein und sie wird vermutlich weitergehen. Das ist eine von vielen Ängsten, wie sie sagt.
In der Folge werden unmittelbare Veränderungen in der Förderung von Demokratieprojekten und alternativen Jugendzentren sichtbar werden. Auch wenn Leipzig als Insel im braunen Sumpf bekannt ist, wird es wird zunehmend schwerer werden. Vor der Schule kommt ein Wind kommt auf. Mit ihm ein weiß gekleideter Glatzkopf. Er läuft schwungvoll am Wahllokal vorbei und schlägt gegen ein Straßenschild.Ana macht sich auf den Weg ins KUB, wo es heute Abend einen #unteilbar Wahlabend geben wird. Party wäre das falsche Wort. Sie lächelt schräg.
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AUS FREITAL Im Südwesten Dresdens ist es sehr windig. Der Himmel zieht sich an diesem Sonntagnachmittag zu, dunkelgraue Wolken legen sich über die zuvor blaue Decke. Es sieht aus, als würde ein Sturm aufziehen. Direkt am Platz des Friedens im sächsischen Freital liegt ein Wahlraum des Wahlbezirks 9, neben dem Haupteingang des städtischen Kulturhauses. Vereinzelt kommen hier die Wähler*innen an, schlendernd, die Hände in den Hosentaschen, mit dem Regenschirm in der Hand, oder einen Trolli hinter sich herziehend.
Mohammad Mohammad ist keiner von ihnen. Der 28-Jährige darf in Deutschland nicht wählen. „Aber die Wahl betrifft mich trotzdem“, sagt er. Bei der #Unteilbar-Demo in Dresden hat er deshalb gemeinsam mit einem Freund eine Rede gehalten. Dass andere Menschen mit Migrationserfahrungen nicht an Anti-AfD-Protesten teilnehmen wollen, weil sie „keinen Stress wollen“, ist für ihn unverständlich: „Wir leben hier doch in einer Demokratie.“
2015 ist Mohammad aus Syrien geflohen, doch er ist kein Syrer. Weil sein Großvater einst selbst aus Palästina nach Damaskus flüchtete, erhielten auch Mohammads Vater und er selbst nie die syrische Staatsbürgerschaft. Deshalb durfte Mohammad noch nie in seinem Leben an einer Wahl teilnehmen. „Das ist mein Traum: einmal wählen zu gehen“, sagt er. In Deutschland müsse er darauf noch mindestens acht Jahre warten. Bis dahin wolle er aber nicht stillsitzen, erklärt er – sondern sich weiter gegen Rassismus und Diskriminierung engagieren.
Eine Stunde später im Freitaler Stadtteil Burgk regnet es sanft, ein warmer Sommerregen. In der Ferne hört man Donnergrollen. Der Freitaler CDU-Stadtrat Candido Mahoche kommt im sonnengelben Fußballshirt und begrüßt strahlend einen Mann, der auf einer Bank am Schloßcafé sitzt. „Das ist mein politischer Gegner, Herr Brandau von der FDP“, erklärt er später. „Wir streiten uns manchmal im Stadtrat, aber am Ende umarmen wir uns doch.“
Mahoche war schon am Vormittag wählen, jetzt will er gleich weiter zu einem Fußballspiel der Männer, um zuzugucken. Der 61-Jährige macht sich in Freital für Freizeitfußball stark und ist selbst Trainer. Abends um 18 Uhr will er dann Zuhause sein und sich die ersten Hochrechnungen ansehen. „Ich hoffe, dass die AfD nicht mehr Stimmen haben wird als die CDU“, sagt er, und sieht dabei kurz etwas besorgt aus. Zur Wahlparty der CDU am Abend kann der gebürtige Mosambikaner nicht gehen. Er muss arbeiten. „Die haben bestimmt etwas zu feiern“, meint er und bedauert, dass er nicht dabei sein kann. Aber als Braumeister müsse er eben manchmal die Spätschicht übernehmen.
Mohammad und Mahoche haben schon in Fußballturnieren in Freital gegeneinander gespielt. Nicht nur der Sport eint sie – beide äußern an diesem Wahlsonntag auch den Wunsch, dass die sächsische CDU auf gar keinen Fall eine Koalition mit der AfD eingeht.
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Der Sozialarbeiter ist Vorsitzender des Akubiz e.V. Der Verein betreibt einen Infoladen direkt am historischen Marktplatz von Pirna. Im Fenster hängen Plakate vom Pro Asyl und für den „Antifaschistischen Jugendkongress“ in Chemnitz in Oktober.
Am Abend ist Richter aus dem Urlaub zurück gekommen, am Morgen zur Wahl gegangen. Gleich will er aufbrechen nach Leipzig wo Chemie gegen Lichtenberg spielt. Richter ist Fan des Regionalliga-Clubs. Abends will er dann noch in Leipzig zur „Demo der Zuversicht“ gehen.
Mit dieser ist es so eine Sache. Einst hatten Rechte das Auto von Richter und das seines Bruders angezündet. Danach besserte sich die Lage langsam. „Wir waren in den letzten Jahren eher zuversichtlich“, sagt Richter. „Es gab keine organisierte Neonazi-Szene, wir hatten das Gefühl, wir können unsere Vereinsarbeit gut und störungsfrei organisieren.“ Der Akubiz e.V. stellte Stolpersteine auf, lud KZ-Überlebende ein, fuhr mit Jugendlichen in die Normandie, zur D-Day Gedenkfeier.
Doch das Jahr 2015 sei eine Zäsur gewesen, die er so nicht erwartet hätte, sagt Richter. Einem deutschen Arzt, der Flüchtlingen in der Stadt geholfen hätten, sei von den eigenen Nachbarn angedroht worden, ihn aufzuhängen, erzählt er. Auch auf das Akubiz-Büro gab es einen Anschlag. In dieser Erregungsspirale ist die AfD in Sachsen groß geworden. „Heute gehen die Attacken nicht in erster Linie von Neonazis aus, die als solche optisch erkennbar sind. Es ist auch das ältere Ehepaar sechzig-plus, das am Nachmittag im Netto Migranten anspuckt.“
In vielen Städten in Sachsen gibt es Einrichtungen wie das Akubiz, die demokratische, antifaschistische Jugendarbeit betreiben. Alle fürchten nun stärkeren politischen Gegenwind. Das Akubiz sei noch vergleichsweise gut dran, sagt Richter, weil es sich ausschließlich aus Spenden finanziere. Dennoch hätten die Rechten es auf den Verein abgesehen.
In Pirna würden AfD, Frauke Petrys Partei Die Blauen und CDU im Stadtrat teils gemeinsam stimmen. Pirna ist Petrys Wahlkreis. Die Blauen hätten etwa gefordert, die Stadt Pirna solle keine Miete mehr für die Akubiz-Räume bezahlen. „Das ist Nonsens, weil wir gar keine öffentlichen Mittel bekommen,“ sagt Richter. „Aber es zeigt, welche Richtung das hier nehmen wird.“
Anders als in den Jahren zuvor hätten die Parteien „tatsächlich intensiv Wahlkampf gemacht“, sagt Richter. Es gab Fahrradtouren an der Elbe, Kochshows und Grillabende, Toni Hofreiter, Dietmar Bartsch und andere Bundespolitiker sind nach Pirna gekommen. Man habe gemerkt, dass sie die Parteien die Wahl diesmal wirklich ernst nehmen, findet Richter.
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Albenny sitzt in einem Café am Cottbuser Altmarkt und trinkt Ananassaft. Im Sommer 2015 kam er nach Deutschland, seit Herbst 2017 studiert er Wirtschaftsingenieurwesen in Cottbus, vor ein paar Monaten hat er außerdem begonnen, als Softwareentwickler für eine in Cottbus ansässige Firma zu arbeiten. Die taz hat ihn schon einmal getroffen, im Winter 2017/2018, als die Situation in der Stadt zu kippen drohte: An den flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen der Initiative „Zukunft Heimat“, deren Vorsitzender Christoph Berndt heute auf Platz 2 der AfD-Landesliste steht, nahmen damals regelmäßig mehrere tausend Menschen teil, ein Messerangriff eines jugendlichen syrischen Flüchtlings gab den rechten Mobilisierungen zusätzlich Aufwind.
Albenny wurde damals von seinen Eltern aus Damaskus angerufen, die von den Auseinandersetzungen in Cottbus erfahren hatten und wissen wollten, ob er hier noch sicher ist. Heute habe sich die Situation stabilisiert, sagt er, es sei ruhiger geworden, die Stimmung weniger aufgeheizt. Unangenehme Vorfälle erlebt er aber weiterhin ab und an. Neulich zum Beispiel habe ihn eine ältere Frau in der Bahn beschimpft, scheiß Ausländer. „Ich habe so getan, als würde ich kein Deutsch verstehen“, sagt Albenny, der fast akzentfrei spricht.
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Der 27-Jährige glaubt nicht, dass die Wahl viel ändern wird: „Wir wissen ja auch jetzt schon, dass die AfD hier viele Anhänger hat“, sagt er. Dass die Partei in den nächsten Jahren noch deutlich mehr Stimmenanteile dazugewinnen könnte, glaubt er aber auch nicht: „Ich denke, dass ungefähr 25 Prozent die Grenze sind, die die AfD erreichen kann.“
Albennys wichtigstes Anliegen? „Man darf nicht verallgemeinern. Nicht alle Flüchtlinge sind gleich, und nicht alle Brandenburger sind gleich.“ Albenny ist ein sehr höflicher Mensch, aber wenn er ausführt, was er meint, kann er eine leichte Frustration nicht ganz verbergen: Er hat in wenigen Monaten Deutsch gelernt, ein Stipendium bekommen, er wird sein Studium in der Regelzeit und mit guten Noten abschließen, hat bereits einen Job gefunden, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen und arbeitet nebenher ehrenamtlich sowohl als Übersetzer für andere Flüchtlinge als auch in der Erstsemester-Orientierungshilfe an seiner Uni. Aber wenn, wie im letzten Winter, ein psychisch kranker Mann aus Syrien im 40 Kilometer entfernten Senftenberg in der Ausländerbehörde randaliert, schauen manche Menschen in Cottbus Albenny noch feindseliger an als sonst, sagt er.
Dennoch kann er sich vorstellen, auch noch für den Master hierzubleiben. „Ich bewege mich in Cottbus immer zwischen Uni, Bibliothek, Studentenwohnheim, meinem Arbeitsplatz, dem Fitnesscenter und Edeka“, sagt er und lacht. An diesen Orten habe er keine Probleme, die Leute seien aufgeschlossen. Trotzdem: Eines Tages wird er wohl aus Cottbus weggehen, wahrscheinlich nach Bayern oder Baden-Württemberg, sagt er, weil es da gute Möglichkeiten für Softwareentwickler gebe. Die Antwort auf die Frage, für wen das wohl ein größerer Verlust sein wird, für Albenny oder die Stadt Cottbus, fällt nicht schwer.
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Das Ergebnis der Landtagswahl, sagen beide Tetschs, habe keinen Einfluss mehr auf den Kohleabbau in der Lausitz. „Die Kohlelobby arbeitet mit jedem, der gewählt wird, vollkommen egal, wer da sitzt.“ Trotzdem stehen sie heute Morgen um halb neun schon im Wahlbüro. Warum? „Wir müssen verhindern, dass die Ultrarechten an die Macht kommen.“ In den Prognosen liegt die AfD in Brandenburg fast gleichauf mit der SPD. Und das liege auch daran, dass im Wahlkampf versäumt worden ist, ein breites Bündnis gegen blau zu organisieren, meint Alexander Tetsch. „Zwischen den Europawahlen im Mai 2019 und heute hätte es ein Fenster der Möglichkeit gegeben, sich gemeinsam der AfD entgegenzustellen.“ Das aber hätten alle Parteien verpasst. Die Politiker in Brandenburg denken viel zu kurzfristig. Sie seien „Bedenkenträger ohne Visionen, die bremsen und an ihren Stühlen festhalten“. Deswegen brauche es die Jugend mit Visionen, eine mutige Zivilgesellschaft und außerparlamentarische Bewegungen mit langfristigen Perspektiven.
Wenn die ersten Hochrechnungen öffentlich werden, wird Alexander Tetsch im „Schmeckerlein“ vor dem Flammkuchenofen stehen, Sybille Tetsch wird wahrscheinlich gerade Gäste bedienen. Sie werden die Prognosen verfolgen, sind sie sich sicher. Der Ausgang der Wahl werde das Schicksal von Proschim nicht verändern. Das muss die Zivilgesellschaft schon selber tun. „Aber wer rettet eigentlich die Retter?“, fragen Sybille und Alexander Tetsch. Ihr kulinarischer Kampf gegen die Braunkohle wird weitergehen, egal wie das Wahlergebnis heute Abend aussehen wird.
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Seit 1990 regiert in Brandenburg die SPD – wenn sie erneut die Regierung stellen will, wird sie dafür mindestens zwei statt einen Koalitionspartner brauchen. Das eigentlich Besondere an dieser Wahl ist jedoch, dass in einem Stammland der Sozialdemokrat*innen erstmals die AfD unter ihrem rechtsextremen Landeschef Andreas Kalbitz stärkste Partei werden könnte. In den Umfragen liegen SPD und AfD nahezu gleichauf bei um die 22 Prozent. Über der Idylle dieses warmen märkischen Morgens liegt also der Schleier der Furcht um den gesellschaftlichen Frieden im Land. Aber auch die Hoffnung auf die Jugend des Landes: Erstmals dürfen 51.000 Brandenburger*innen zwischen 16 und 18 Jahren ihren Landtag wählen.
Unter hundertjährigen Eichenbäumen geht es gen Wahllokal. Vor dem Haus einer Ärztin hängen drei AfD-Plakate übereinander, davor parkt ein Kombi mit FCK-AFD-Aufkleber. Der FDP-Kandidat hat sein Großplakat vorsichtshalber gleich an den eigenen Gartenzaun gehängt; und vor dem Haus des Grünen-Kandidaten steht sein Elektromobil.
Im Wahllkokal empfängt der Ortsvorsteher von der SPD jede*n Wähler*in mit Handschlag. Ehrenamtliche Wahlhelferin ist unter anderen die gut gelaunte Rentnerin, die zwanzig Jahre in der kirchlichen Behindertenschule gearbeitet hat. Es ist noch ein kleines Kommen und wieder Gehen. In der Wahlkabine ist man dann allein mit dem Wahlzettel und zwei Kulis. Kreuzchen Erststimme, Kreuzchen Zweitstimme, Zettel falten, ab damit in die graue Wahlurne. Umarmung für die Lehrerin, Handschlag für den Ortsvorsteher, rauf aufs Rad und rein in diesen Wahlsonntag. Mach keinen Scheiß, Brandenburg!
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