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Wahl-Debüt von BSWVielleicht tut Sahra der Politik gut

Meinung oder Maulkorb? Ist doch klar, ich bin ja kein Kampfhund. Endlich bietet eine Partei mal leichte Entscheidungen an.

Sahra Wagenknecht von der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht beim Wahlkampfabschluss in Berlin Foto: Fabian Sommer/dpa

I ch weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mein Leben ist sehr anstrengend. Jeden Tag muss ich viele Entscheidungen treffen, und Deutschland lässt mich dabei im Stich. Es beginnt schon nach dem Aufstehen: Den Kaffee schwarz oder mit Milch? Die Milch von der Kuh oder vom Hafer? Selbst am Wochenende kann ich mich nicht entspannen: Nutella mit oder ohne Butter?

Wie gut, dass es jetzt eine Partei gibt, die mir Fragen stellt, die ich leicht beantworten kann: Meinung oder Maulkorb? Ist doch klar, ich bin ja kein Kampfhund. Krieg oder Frieden? Ich möchte auch nicht, dass Menschen sterben.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat an diesem Wochenende seine erste Wahl vor sich, und wenn die Umfragen annähernd stimmen, werden viele Menschen, nachdem sie schon am Frühstückstisch von der Weltlage überfordert waren, im Wahllokal endlich mal eine einfache Entscheidung treffen. Das BSW liegt bei 6 bis 7 Prozent, so viel wie FDP und Linke zusammen.

Das Gespenstische an grundlegenden Veränderungen ist ja, dass man sie erst nicht bemerkt. Und ich glaube, das Bündnis Sahra Wagenknecht könnte für die deutsche Politik so eine Veränderung sein. Wenn das stimmt, wäre dieses Wochenende der Moment, an dem sie bemerkbar wird. Die deutsche Parteienlandschaft könnte sich innerhalb weniger Wochen verändern, mit einem großen Knall in zwölf Wochen bei den Landtagswahlen.

wochentaz

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Vielleicht tut Wagenknecht der Politik gut

Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht vollzieht sich in Deutschland, was in anderen Ländern längst etabliert ist: eine linkskonservative, populistische Partei, ausgerichtet auf eine charismatische Anführerin. Jedes Land bekommt irgendwann die Parteien, die es verdient. Und auch wenn die Warnungen vor dem BSW mit seinen Scheinlösungen für den Ukrainekrieg berechtigt sind – vielleicht tut das Bündnis der Politik gut. Es sind ja nicht nur PopulistInnen mit der Bundesregierung unzufrieden. Und dass die Linke nicht als Alternative zur Ampel wahrgenommen wird, ist auch nicht allein die Schuld von Sahra Wagenknecht.

Selbst wenn man die Ukrainepolitik der Bundesregierung unterstützt, kann man fragen, ob es klug ist, wenn die SPD ihren Olaf Scholz als Friedenskanzler verkauft, um in der Woche vor der Wahl der Ukraine zu erlauben, deutsche Waffen für Ziele in Russland zu verwenden. Wenn die neue politische Konkurrenz also dazu führen würde, dass der Kanzler seine Ukraine­politik ehrlicher erklären würde, und sich auch die Grünen wieder mehr Profil zutrauten, wäre schon etwas gewonnen. Und dann ist da noch die leise Hoffnung, dass das BSW eine Alternative zur AfD sein könnte, konservativ, aber auf dem Boden des Grundgesetzes. Ob das zutrifft, wissen wir wohl erst im Herbst.

Die Europawahlen werden aber aller Voraussicht nach auch den schleichenden Tod der Linken offenbaren. Parteien sterben langsam und die Linke wird bis zur nächsten Bundestagswahl überleben. Aber falls das Bündnis Sahra Wagenknecht sowohl bei der Europawahl als auch bei den Landtagswahlen vor der Partei landen sollte, aus der sie hervorging, ist kaum vorstellbar, dass sich die Linke davon erholt.

Und das wäre, bei allen Fehlern, für die die ­Partei selbst verantwortlich ist, doch traurig. Ein einmaliges Projekt ginge zu Ende, die ­Wiedervereinigung der deutschen Linken. Ohne die Partei, die zu ihren besten Zeiten bei der Bundestagswahl 2009 knapp 12 Prozent bekam, hätten sich SPD und Union vielleicht nie zu einem Mindestlohn durchgerungen. Wir werden die Linke noch vermissen: Wenn die nächste Asylrechtsverschärfung beschlossen wird und es keine Partei mehr gibt, die laut dagegen ist.

Ich wünsche Ihnen trotzdem ein schönes Sonntagsfrühstück! Und die Antwort lautet natürlich: Nutella ohne Butter.

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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16 Kommentare

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  • Moderation , Moderator

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  • Wenn man sich -wie hier in dieser Ausgabe der TAZ beschrieben- das Konstrukt um Bürgergeld ansieht und wahrnimmt, dass hier die gesamte Öffentlichkeit hinter unglaublichen Verrenkungen verar.... wird, dann kann man "einfachen" Formeln einiges abgewinnen. Doch es steht zu befürchten, dass auch BSW sehr bald im Verschleierungssumpf verschwindet. Ohnehin sind die Hintergründe dieser "Bewegung" noch immer ziemlich diffus.

  • Ich teile Kersten Augustins Einschätzung zum „schleichenden Tod der Linken“. Nur fehlt mir sein Optimismus.



    Mittel- und langfristig wird wohl eine russlandaffine Querfrontpartei, die auf diffuse Elitenkritik im Stile des klassischen Populismus setzt, den Platz der Linkspartei einnehmen. Was das für die zukünftige Asylgesetzgebung bedeutet, mag ich mir gar nicht ausmalen.



    Auch diese Entwicklung ist Ausdruck des Trends, dass sich die politische Landschaft insgesamt nach rechts verschiebt.

  • Das BSW bringt den Schwung den Die Linke mal mit Lafontaine, Wagenknecht und Gysi mal hatte. Das BSW legt die Finger in die Wunden und den erheblichen Versäumnisse der Ampel. Das BSW macht als Oppositionspartei deutlich mehr Wirbel als die CDU/CSU. Es macht Freude die klaren Aussagen dieser Partei zu vernehmen.

  • "Wie gut, dass es jetzt eine Partei gibt, die mir Fragen stellt, die ich leicht beantworten kann"

    Seltsam, bisher hatte mich die Versimplifizierung komplexer politischer Sachverhalte eigentlich eher bei den etablierten Parteien irritiert: Wer die aktuelle CO2 Einsparlösungen nur ein wenig hinterfrägt ist ein ganz Schlimmer, gar ein Rechtspopulist. Wer nicht stramm auf Linie bei den Feministinnen ist ist ein Rechsextremer (alles hier in der taz so ernsthaft berichtet).



    Und nun fassen Dritte komplexe Themen korrekt und pointiert zusammen und nun ist es wieder falsch. Vielleicht liegt es ja genau daran, dass hier ausnahmsweise einmal korrekt nach Luhmann Komplexität reduziert wird (auch hierzu gabs erst demletzt eine Forderung bei der taz)



    Man könnte das alles aber noch viel mehr vereinfachen. Wenn einem die Wagenknecht nicht passt, soll ers eben einfach sagen. Dann kann er sich wieder den Nutella Butter Streitfragen widmen.



    So das war jetzt mein Versuch einer Glosse.

  • Na ja, mit den Linken verliert das Land nichts. Sieht man ja an Rackete, eine Schlepper-Aktivistin zur EU-Wahl.

    Für mich stellt sich die Frage:

    ÖDP oder Wagenknecht?

    Die ÖDP ist sehr klein, hatte jedoch mit ihrem Erfolg zum Artenschutz-Volksbegehren mehr für Natur- und Tierschutz getan als die Grünen in 20 Jahren.

    Die Grünen sind sowieso unwählbar geworden.

    Nach Lektüre von "Die Selbstgerechten" bin ich innenpolitisch voll auf Linie von Wagenknecht, der ich viel Erfolg wünsche.

    Außenpolitisch ist die Sachlage viel komplexer. Doch definitiv auf Seiten von Israel.

  • Sarah wagenknecht sie wie der Phoenix aus der Asche.

  • Die Linke scheitert in Deutschland vor allem an sich selbst. Ich bleibe stur beitragszahlendes, zähneknirschendes Parteimitglied. Als Sozialist ist der Wechsel zum BSW keine realistische Option. Wenn allerdings die offenkundige Überforderung des Parteivorstandes auch zukünftig keine Konsequenzen hat, dann sehe ich schwarz für die Partei. Wenn die Taktik, eine Kandidatin aufzustellen, die die eigene Partei selber eigentlich nicht toll findet, sondern nur als Vehikel nutzen möchte, ihre verdiente Niederlage eingefahren hat, gibt es vielleicht eine Chance für einen Neuanfang. Oder auch nicht. Man wird es sehen.

  • Frau Wagenknecht hat beste Beziehungen zu Russland, solang nicht absolut sicher keine Gelder für ihre Partei aus Russland kommen, ist absolutes Mißtrauen angesagt.

    • @Tino Winkler:

      Das glaubt Frau Wagenknecht. Putin setzt aber lieber auf die AfD, was auch ideologisch absolut folgerichtig ist.

      Nur die BSWler in ihrer ideologischen Demenz glauben, dass Moskau irgendwie "links" oder antiimerialistisch sei.

      Alleine diese unglaubliche moralische wie interlektuelle Fehlleistung disqualifiziert das BSW für mich. Wer nicht mal links und rechts auseinanderhalten kann, von dem kann ich keine tiefgehenden Analysen und Problemlösungen erwarten.

    • @Tino Winkler:

      Der VW Vorstandschefs hat wahrscheinlich beste Beziehungen nach China.



      Was wollen sie uns damit sagen, dass Frau Wagenknecht "beste Beziehungen" zu Rußland hat?

    • @Tino Winkler:

      So ist es !!!

  • Da ist was Wahres dran!



    Ich teile die Einschätzung, dass die Linke wahrscheinlich zugunsten des BSW verschwinden wird.



    Ich hatte noch gehofft, dass die Nominierung der sympathischen Spitzenkandidatin ein Startschuss für die Linke sei, doch irgendwie habe ich anschließend nichts mehr gehört.



    Das reicht dann einfach nicht.



    Dem BSW wurde ja einiges vorgeworfen, unter anderem, dass die Namensgeberin eine Partei nicht organisieren könnte.



    Das war wohl eine krasse Fehleinschätzung.



    BSW macht, meinem Eindruck nach, im Wahlkampf am Meisten Furore, sieht man/frau von der "afd" Negativ Kampagne ab.



    Es wäre tatsächlich traurig, wenn sich die Linke in Luft auflösen würde, es sieht allerdings danach aus.

    • @Philippo1000:

      " Ich hatte noch gehofft, dass die Nominierung der sympathischen Spitzenkandidatin ein Startschuss für die Linke sei, doch irgendwie habe ich anschließend nichts mehr gehört."



      Das liegt daran, dass die sympathische Spitzenkandidatin sich alle Mühe gibt, öffentlich zu betonen, dass sie eben nicht in die Linke eintreten möchte - und daran, dass ein erheblicher Teil des linken Wählerpotenzials mit dem, was sie repräsentiert, sehr wenig anfangen kann. Die Quittung in Form eines weiteren bitteren Wahlabends wird folgen.

  • Interessante Perspektiven.

    Dazu nur zwei Anmerkungen:

    1. Ich glaube nicht an den Tod der Linken (und auch nicht deren gesamtdeutscher Partei, was ja nicht das Gleiche ist). Im Gegenteil: Der Raum für eine internationalistische Grassroot-Linke ist im heutigen Parteiensystem doch weiter und offener denn je, nicht nur was z.B. Wohnen, Migration und prekäre Arbeitsverhältnisse anbelangt. Die Linkspartei hat ihn bereits durch ihre strategische Ausrichtung angezielt. Jetzt muss sie ihn bloß durch echte Basisarbeit erobern.

    2. Dass zur Zeit auf einmal aussichtsreiche Parteien aus dem Boden zu sprießen scheinen, wirkt für mich wie eine gesellschaftliche Suchbewegung: Irgendetwas Politisches fehlt, irgendetwas muss gefunden werden, aber wir alle haben es noch nicht gefunden.

  • Das sehe ich genauso. Egal ob da manche Kritik angebracht ist, erfrischend ist, dass da nicht konditional geredet wird und mit Sachzwängen dahergekommen wird. Politik lebt vom Streit und ein Populismus von links ist mir lieber als eine Demagogie von rechts.



    Es geht ja auch nicht um die Regierungsübernahme, es geht darum andere Parteien zu Antworten zu zwingen, die sie sonst gerne vermeiden.