Waffenstillstand in Äthiopien: Hoffnung auf Frieden in Tigray
Nach zwei Jahren Krieg haben Äthiopiens Regierung und Tigray-Rebellen eine Friedenserklärung unterzeichnet. Das Ergebnis übertrifft viele Erwartungen.
Über eine Woche lang hatten äthiopische Diplomaten und TPLF-Führungsmitglieder in Südafrikas Hauptstadt Pretoria hinter verschlossenen Türen verhandelt, unter der Ägide zweier geachteter ehemaliger afrikanischer Staatschefs: Olusegun Obasanjo aus Nigeria und Uhuru Kenyatta aus Kenia, im Auftrag der Afrikanischen Union (AU). Die ersten Direktgespräche in zwei Jahren Krieg hatten am 25. Oktober unter düsteren Vorzeichen begonnen.
Die Kämpfe in Tigray hatten nach ihrem Wiederaufflammen Ende August eine mörderische Intensität erreicht. Die Verluste auf beiden Seiten bei rücksichtslosem Artillerie- und Drohnenbeschuss gingen in die Zehntausende, dazu kam eine unbekannte Zahl ziviler Opfer der Hungerblockade des TPLF-Gebietes durch Äthiopiens Regierung. Äthiopiens Armee, unterstützt vom Nachbarland Eritrea, gelang Mitte Oktober der Durchbruch ins TPLF-kontrollierte Hochland, aber ein Sieg war nicht in Sicht.
Der TPLF starb die Bevölkerung weg, während Äthiopiens Regierung vor dem Staatsbankrott stand: In der globalen Krise infolge des Krieges in der Ukraine, der Verteuerung von Lebensmitteln und einer schweren Dürre war der Krieg im eigenen Land nicht mehr finanzierbar. Beide Seiten hatten Interesse an einer Einigung, und die internationalen Vermittler in Pretoria machten klar: Ihr geht hier nicht ohne ein Ergebnis weg.
Das Ergebnis übertrifft viele Erwartungen
„Aufregend“ nannte das TPLF-Chefunterhändler Getachew bei der Unterzeichnungszeremonie in Pretoria. Ein UN-Vertreter sagte: „Offensichtlich war der Weg zu einer Einigung nicht leicht zu beschreiten.“ Äthiopiens Chefunterhändler machte klar, worin das Hauptinteresse seiner Regierung besteht: „Nun ist die Zeit gekommen, unsere Beziehungen zu unseren Partnern wieder aufzunehmen“ – also zu den Geldgebern, die sich wegen des Krieges von Äthiopien abgewandt hatten.
Vordergründig übertrifft das Ergebnis nun alle Erwartungen: das Ende der Kämpfe und der Anfang vom Ende der Tigray-Rebellion. „Die Parteien erklären und verpflichten sich zu einer sofortigen und dauerhaften Einstellung der Feindseligkeiten“, steht im Abkommen. Dies beinhalte „Minenlegen, Sabotage, Luftangriffe, direkte oder indirekte Gewaltakte, Subversion oder Destabilisierung der anderen Partei über Verbündete, Kumpanei mit jeder äußeren Kraft, die gegenüber einer Partei feindlich eingestellt ist“ sowie „alle Formen feindseliger Propaganda, Rhetorik und Hassrede“.
Bisher bezeichnet Äthiopiens Regierung die TPLF als Terrorgruppe, die samt ihrer Unterstützer ausgelöscht gehöre, was ihr seitens der TPLF den Vorwurf des Völkermordes eingebracht hat. Jetzt nannten die Chefunterhändler beider Seiten die Gegenseite jeweils „Brüder“.
Innerhalb von 24 Stunden sollen die Militärkommandanten beider Seiten in Kommunikation treten und dann den „umgehenden, reibungslosen, friedlichen und koordinierten“ Einmarsch der äthiopischen Armee in Tigrays Hauptstadt Mekelle ermöglichen. Binnen fünf Tagen sollen sie dann die Modalitäten einer Entwaffnung der TPLF klären, die nach spätestens 30 Tagen abgeschlossen wird. Humanitäre Hilfe soll fließen, ein politischer Dialog soll starten. Überwacht wird das durch ein „Gemeinsames Komitee“ der AU mit Militärexperten.
Auch Eritrea muss in den Frieden eingebunden werden
„Wir haben Zugeständnisse gemacht“, bekannte TPLF-Chefunterhändler Getachew in Pretoria und lenkte damit zugleich die Aufmerksamkeit auf Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed, an dem es nun liegt, ob der Frieden Realität wird. Das Abkommen verpflichtet ihn, auch Eritrea und die tigray-feindlichen Scharfmacher der Nachbarregion Amhara, die mit eigenen Milizen den Westteil Tigrays kontrollieren, in den Frieden einzubinden.
Je weiter er ihnen entgegenkommt, desto mehr Vorbehalte dürften auf TPLF-Seite wachsen und umgekehrt. „Die TPLF wird nur den Raum bekommen, den Abiy ihr gewährt, und wenn er so agiert wie in der Vergangenheit, wird dieser Raum schnell winzig oder nichtexistent werden“, warnt der Äthiopien-Experte René Lefort und fürchtet den „gewaltsamen Vormarsch einer Zentralmacht“.
„Die Augen der Welt richten sich nun von den Gesprächen auf die Umsetzung“, sagte in Pretoria AU-Vermittler Obasanjo. „Die nächsten Tage werden sehr kritisch“, meint Alan Boswell vom Konflikt-Thinktank Crisis Group, und listet auf, womit das Friedensabkommen steht oder fällt: „Stellen die Parteien wie vereinbart die Kämpfe ein? Versucht Eritrea, zu stören? Kommen aus Addis Abeba oder Mekelle Signale von Dissens, Spaltung oder Zweideutigkeit? Deuten die Parteien den Abkommenstext unterschiedlich?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen