Waffenexporte an die Türkei und Israel: Deutsche Waffen in alle Welt
2024 exportierte die Bundesregierung Waffen im dreistelligen Millionenbereich, sagt ein neuer Bericht. Man missachte die eigenen Grundsätze.

„Von restriktiven Waffenexporten kann bei der Bundesregierung keine Rede sein“, sagt Max Mutschler, Wissenschaftler am Bonner Konfliktforschungsinstitut BICC und Vorsitzender der GKKE-Fachgruppe für Rüstungsexporte, der taz. Der Arbeitsverbund aus katholischer und evangelischer Kirche trägt jedes Jahr die spärlichen Daten von Bundesregierung und Wirtschaftsministerium zusammen, um so für mehr Transparenz bei den deutschen Exportgenehmigungen von Waffen und anderen Rüstungsgütern zu sorgen.
Das größte Empfängerland deutscher Waffen ist demnach weiterhin die Ukraine. In den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres gab es Genehmigungen für die Lieferung von Rüstungsgütern im Wert von etwa 7 Milliarden Euro an das von Russland angegriffene Land. Das ist deutlich mehr als die Genehmigungen im Vorjahr, die bei 4,4 Milliarden Euro lagen.
Die GKKE betont in ihrem Bericht, dass sie die Waffenexporte in die Ukraine angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands als legitim erachte. „Doch die Bundesregierung stellt in ihrer Kommunikation die Exporte an die Ukraine immer nach vorne, in der Hoffnung, dass die Lieferungen an andere Länder weniger auffallen“, sagt Mutschler.
Kirchenvertreter stellen Lieferungen nach Israel infrage
Denn dafür, dass die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag eine „abrüstungspolitische Offensive“ versprochen hatte, sind gerade die Waffenlieferungen in Drittländer in neue Höhen gestiegen. Unter den ersten zehn Empfängerländern waren 2024 mehrheitlich Staaten, die weder der Nato noch der EU angehören – und das sogar, wenn man die Lieferungen an die Ukraine herausrechnet: Exportgenehmigungen für Waffen im Wert von etwa 2,4 Milliarden Euro wurden an Staaten wie Singapur (1,2 Milliarden Euro) und Algerien (559 Millionen Euro) erteilt. Demgegenüber standen Exportgenehmigungen für Lieferungen an die USA, Großbritannien und Norwegen in einem Umfang von 481 Millionen Euro.
„Rüstungsexporte drohen zunehmend zu einer geostrategischen Verfügungsmasse zu werden“, hieß es in einer Erklärung von Anne Gidion, Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie forderte „menschen- und völkerrechtliche Mindeststandards“, um zu verhindern, dass nicht definierte Sicherheitsinteressen und kurzfristige Interessenkonflikte zu mehr Rüstungsexporten führen.
Angesichts der Kriegsführung in Gaza stellt die GKKE deutsche Rüstungsexporte nach Israel infrage: „Wir fordern die Bundesregierung auf, keine Rüstungsexporte nach Israel zu genehmigen, wenn ein hinreichender Verdacht besteht, dass die Rüstungsgüter zu schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht benutzt werden“, so Karl Jüsten, der katholische Vorsitzende der Kommission.
Gerade Rüstungsgüter wie Panzermunition dürften nicht nach Israel exportiert werden, solange die israelische Regierung der Sicherheit der Zivilbevölkerung in Gaza keine signifikant höhere Priorität einräume, hieß es in einer Erklärung Jüstens. Laut parlamentarischen Anfragen hat die Bundesregierung allein seit August dieses Jahres Lieferungen im Wert von mehr als 117 Millionen Euro an Israel genehmigt.
Dabei bekennt sich die GKKE im Grundsatz für eine „sicherheitspolitische Unterstützung“ Israels durch Deutschland, die auch eine Lieferung von Rüstungsgütern einschließen könne, wie es in dem Jahresbericht heißt. Allerdings müsse sich Israel an die Regeln des humanitären Völkerrechts halten. „Verschiedene internationale und nationale Gerichte haben systematische und schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch israelische Kriegsführung im Gazastreifen festgestellt“, heißt es in dem Bericht.
Die Bundesregierung solle die israelische Regierung mit größtem Nachdruck dazu drängen, bei ihrer Kriegsführung der Sicherheit der Zivilbevölkerung eine signifikant höhere Priorität einzuräumen. „Solange dies nicht geschehen ist – nachgewiesen durch einen glaubwürdigen Strategiewechsel der israelischen Regierung – stellt die GKKE Rüstungsexporte an Israel in Frage.“
Die Hoffnungen wurden enttäuscht
Konfliktforscher Mutschler zufolge verstoße die Bundesregierung mit ihrer Rüstungspolitik im Nahen Osten auch gegen ihren eigenen Grundsatz, dass die Sicherheit Israels Priorität habe. „Deutschland rüstet etwa mit Lieferungen an die ägyptische Marine auch die Kontrahenten Israels auf.“ Auch Exporte an Länder wie Katar und Saudi-Arabien würden die Aufrüstungsspirale in der Region befeuern, so Mutschler.
Die GKKE sieht auch die Waffenlieferungen in Höhe von gut 230 Millionen Euro an die Türkei kritisch. Mutschler kritisiert, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Waffenlieferungen an Ankara damit begründete, bei der Türkei handle es sich um ein Nato-Mitglied. Auch bei Exporten an Bündnispartner müssten völkerrechtliche Maßstäbe angelegt werden. Ankara unterstütze lokale Milizen in Syrien und bombardiere teilweise auch selbst Ziele in Syrien und im Irak mit Artillerie und aus der Luft, um kurdische Gruppen zu schwächen, so Mutschler. „Das ist in weiten Teilen eine völkerrechtswidrige Vorgehensweise.“
Gidion zufolge habe die GKKE mit einer gewissen Zuversicht auf die Legislaturperiode geblickt. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel angekündigt, ein Rüstungsexportkontrollgesetz einzuführen. „Davon ist leider nicht viel geblieben“, so Gidion. Auch Mutschler sagt, mehr Transparenz bei den Waffenlieferungen sei dringend geboten. Oft sei unklar, welche Art von Rüstungsgütern Deutschland überhaupt liefere. Und selbst wenn etwa 80 Prozent der Genehmigungen bekannt seien: „20 Prozent von Lieferungen im dreistelligen Millionenbereich können sehr gefährlich sein.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau